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Kunst Die Kunst der Völlerei

Wo das Schlaraffenland wirklich liegt

Freier Mitarbeiter im Feuilleton
Zu haben: James Gillrays „Germans eating Sour-Krout“ Zu haben: James Gillrays „Germans eating Sour-Krout“
Zu haben: James Gillrays „Germans eating Sour-Krout“
Quelle: Courtesy Bassenge
Das Berliner Auktionshaus Bassenge ist bekannt für seine thematischen Versteigerungen. In dieser Saison geht es rund ums Essen. Eine historische Karte ist besonders delikat. Mit ihr findet man ins Dorf Bratwurst am Senfsee. Aber die Reise ist nicht ganz billig.

Ganz weit im Nordosten liegt das Dörfchen Unschuld. Noch jenseits des Göttlichen Gnadenflusses am äußersten Rande des kleinen Königreichs der Jugendfrische wissen die Menschen womöglich nicht, dass nur ein paar teutsche geometrische Meilen weiter in den Bächen und Flüssen schon Milch und Honig und Schokolade fließen. Sie ahnen wohl auch noch nicht, dass hinter dem Imperium der großen Mägen und dem Reich der Trinker der Wein Stroom fließt, um beim Kotzinhaven ins versoffene Meer zu münden.

Im Jahr 1716 wurde das Schlaraffenland erstmals kartografiert, von dem schon der Nürnberger Meistersinger Hans Sachs erzählt hatte. Es ist ein ganzer Kontinent des Müßiggangs, der Trunksucht und der Völlerei, des maßlosen Konsums und der freien Verfügbarkeit aller Verbrauchsgüter, die man sich nur vorstellen kann. Die geografische und äußerst fantasievoll betextete Karte erschien im „Atlas novus terrarum“ des Nürnberger Verlegers Johann Baptist Homann.

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Der Augsburger Kupferstecher Matthäus Seutter hat sie nicht nur entworfen, er hat auch das Dorf Bratwurst am Senfsee erfunden, das Schmaucherland Tobago entdeckt und das unterfränkische Aschaffenburg höhnisch in Abschaffenburg umbenannt und in die entlegene Region Bettelmannia verlegt.

Für 900 in die „Schalck Welt“

In der Titelkartusche des 1730 gedruckten und handkolorierten Kupferstichs in der Größe von 50 auf 555 Zentimetern wird nichts weniger als das genaue Bild einer fiktiven, aber möglichen Gesellschaftsordnung angekündigt: „Accurata Utopiae Tabula. Das ist der Neu entdeckten Schalck Welt, oder des so offt benannten, und doch nie erkannten Schlaraffenlandes“.

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Die gut erhaltene Karte steht nun zum Schätzpreis von 900 Euro im Mittelpunkt einer Versteigerung beim Berliner Auktionshaus Bassenge: Allerlei „Delicatessen“ kommen dort am 2. Juni unter den Hammer. Viele zeigen, wie die Utopie vom Schlaraffenland über die Jahrhunderte fortschreitender Globalisierung zur Wirklichkeit wurde.

Im 17. Jahrhundert hing man sich reich gedeckte Tische als Gemälde an die Wand (niederländisches „Stillleben mit Hummer, Geflügel, Fischen, Gemüse und Erdbeeren“, 3500 Euro), heute gibt man sogar leer gefutterte Kaviardosen zurück (zehn Stück „Malossol“, 60 Euro). Die um 1800 gefertigten Äpfel aus Wachs (750 Euro) sehen den leicht angeschrumpelten Exemplaren aus dem Bio-Supermarkt täuschend ähnlich.

Die junge Frau auf dem atelierfrischen hyperrealistischen Gemälde von Max Ferguson scheint sich zu fragen, warum sie ausgerechnet „Tiramisu in Chinatown“ (12.000 Euro) bestellt hat. Und wer Sauerkraut heute noch so isst wie die Deutschen auf der 1803 radierten Karikatur von James Gillray (750 Euro), muss sich über Spott nicht wundern.

Bassenge bietet seit einigen Jahren in fast jeder Saison eine thematisch kuratierte Auktion an. Schon der Katalog macht Lust auf die Kunst des Genusses. Doch wem die 140 Lose (vom raren Barockaquarell eines Birnbaumzweigs mit Früchten von Giovanna Garzoni für 60.000 Euro bis zu Jean Labourdettes Schmeißfliegenporträt „We eat shit“ für 600 Euro) auf den Magen schlagen, kann zur Hausapotheke des Eat-Art-Pioniers Daniel Spoerri greifen. Der hat 1977 das heilige Wasser aus den Brunnen der Bretagne in mehr als hundert Glasfläschchen gesammelt, ordentlich beschriftet und in einem zusammenklappbaren Holzregal verstaut („La Pharmacie bretonne“, 3500 Euro).

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