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Kunst Publikumsmagnet Feininger

Malen ohne Bekenntniszwang

Lyonel Feiningers „Der weiße Mann“ von 1907 Lyonel Feiningers „Der weiße Mann“ von 1907
Lyonel Feiningers „Der weiße Mann“ von 1907
Quelle: Carmen Thyssen Collection, Madrid and Museo Nacional Thyssen-Bornemsiza, Madrid / © VG Bild-Kunst, Bonn 2023
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Seit Wochen sorgt das Werk von Lyonel Feininger für einen überraschenden Besucheransturm in Frankfurt. Was aber fasziniert die Massen an dem eigenwilligen Werk? Ein genauer Blick auf die Bilder und unsere Gegenwart zeigt, wonach sich der Bürger in diesen Zeiten sehnt.

Es geht vor den Bildern zu wie an den Glühweinständen auf dem Weihnachtsmarkt. Lyonel Feininger in der Frankfurter Schirn – die Ausstellung bricht schon in den Eröffnungswochen alle Rekorde. Und wenn die Masse je ein triftiges Argument war: 50.000 können nicht irren. Dabei ist es ja nicht so spektakulär, was versprochen wird. Kleinteilig, nahsichtpflichtig, ganz ohne die Aufregungen, die der abenteuerlichen Kunst des 20. Jahrhunderts nachgesagt werden.

Die Schocks der Moderne, der Maler hat sie tunlichst vermieden. Und wenn ein Bild „Der Dom in Halle“ heißt, dann ist bei allem Flirren der kantig verschachtelten Farbflächen die visuelle Erinnerung an die Renaissance-Kirche völlig intakt. Und nie wäre es dem Maler eingefallen, doch einmal ins Bizarre abzuschweifen (wie Picasso) oder den Heiligen Geist als schwarzes Quadrat zu feiern (wie Malewitsch) oder von der sichtbaren Welt nur noch in blaugelbroten Rhythmen zu schwärmen (wie Mondrian).

Das kann nur ein Feininger sein!

Unter den mitunter gefürchteten Leistungsträgern der modernen Kunst blieb Feininger einer der zugänglichsten, mildesten. Und dass man auch Generationen später seine Bilder auf Anhieb identifiziert („kann nur Feininger sein“) und zur Urteilsfindung keinerlei Spezialausbildung braucht, das hat dem Maler schon immer die Herzen erschlossen.

Im Juli 1941 schrieb der Malerfreund Erich Heckel, der die Nazi-Jahre über in Deutschland geblieben war, an den Malerfreund Lyonel Feininger, der inzwischen in den USA lebte: „Heute an Ihrem 70. Geburtstag gehen unsere Gedanken mit besonders herzlichen Wünschen zu Ihnen und wir hoffen, Sie können diesen Festtag im Kreise der Ihren umgeben von Ihren Arbeiten in zuversichtlicher Stimmung verleben.“ Und höflich, wehmütig, ein bisschen glückskindneidisch, als habe der andere das bessere Los gezogen, denkt der Gratulant an die „warme immer bereite Freundschaft“: „Hier ist große Einsamkeit. Oft ist es schwer nicht zu erstarren und den Sinn nicht im Sinnlosen versinken zu lassen.“

Lyonel Feiningers „Dame in Mauve“ aus dem Jahr 1922
Lyonel Feiningers „Dame in Mauve“ aus dem Jahr 1922
Quelle: Museo Nacional Thyssen-Bornemsiza, Madrid / © VG Bild- Kunst, Bonn 2023

Von Einsamkeit, Erstarrung, Sinnlosigkeit erzählt Feininger nichts. Das ist immer wieder überraschend und auf eine Art bewegend, wie gänzlich frei das malerische Werk vom Bekenntniston geblieben ist. Nie würde ein Bild eine Stimmung verraten, eine Leidenschaft, ein Temperament. Und an keiner Stelle öffnet sich das Flirren der kantig verschachtelten Farbflächen oder wird durchsichtig auf den Lebenshintergrund. Was umso erstaunlicher ist, als Feininger als Karikaturist und politischer Kommentator begonnen und es in Magazinen wie „Das Narrenschiff“ oder „Lustige Blätter“ auf die Titelseiten geschafft hat.

Fechtkampf um ein Bild

Man muss es nicht mehr unbedingt wissen, was Eduard VII. und Joseph Chamberlain für eine Strauss miteinander fochten. Aber wie Feininger die beiden ihr „Friedens-Pfeifchen“ rauchen lässt, das bleibt große Klasse. Und man fragt sich, wie das zusammen gehen und miteinander funktionieren mag: als Zeichner hellwach und gegenwärtig zu sein und dann als Maler nach ein paar Durchläufen als Versuchs-Futurist den eigenen Stil zu entdecken und ihn wieder und wieder zu erproben - an Strandszenen und Segelbooten, an Stadtansichten und mittelalterlichen Kirchen. Und dabei offensichtlich völlig immun zu bleiben und die Folie Welt sorgsam abzudecken.

Allenfalls den Arbeiten der Zwanzigerjahre könnte man in ihrer expressionistischen Eleganz noch so etwas wie ein zeitgenössisches Lebensgefühl nachsagen. Aber aufs Werkganze gesehen, geht alles an Feininger spurlos vorbei, der Erste Weltkrieg, die gesellschaftlichen Brüche der Weimarer Dekade, der aufflammende Faschismus. Dass das Bauhaus, an das der Maler 1919 berufen worden war, unter dem Druck der faschistischen Kulturbarbarei schließen und Feininger als gebürtiger Amerikaner 1937 in die USA emigrieren musste, man sieht es dem Werk nicht an. Das hat auch etwas Irritierendes.

Blick in die Feininger-Ausstellung in Frankfurt
Blick in die Feininger-Ausstellung in Frankfurt

Und nicht weniger irritierend die Gemächlichkeit, mit der so manche „Meister“ des Bauhauses auf die vorgeschriebenen Utopien reagierten. Dass man eigentlich bestallt war, um dem neuen Menschen die neue Form zu entwickeln, das wurde im abgeschlossenen Atelier nicht ungern vergessen. Wie Feininger seine bildnerische Methode, Licht, Schatten und Architekturen in transparenten Schichten zu stapeln, ausgerechnet an spitzen Kirchtürmen in der thüringischen Provinz verfeinert und sich mit Vorliebe in Gelmeroda, Zottelstadt oder Possendorf umgesehen hat, das erscheint so anrührend seltsam wie Oskar Schlemmers kubisches Personal, das er die Bauhaustreppe auf- und absteigen lässt. Da konnte es noch so kühn fortschrittlich klingen, womit das Bauhaus für sich warb, einer wie Paul Klee blieb eben doch der Märchenerzähler, der er immer war.

Eminente Sinnlichkeit

Wenn man sich durch die klug arrangierte und mit Leihgaben überschwänglich versorgte Ausstellung (kuratiert von Ingrid Pfeiffer) durchgesehen hat, könnte man noch immer nicht wirklich sagen, worum es dem Maler zu tun war. Bei aller eminenten Sinnlichkeit bleibt sein Werk auf eine Weise auch technisch, und jedes weitere Bild erscheint wie ein neuerlicher Anwendungsfall der spezifischen Seh- und Malweise.

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Soll man es also visionär nennen, wie Feininger den Seheindruck prismatisch zerlegt? Alles gewinnt so den Charakter von Erscheinungen. Kleine Figurenschemen vor übermächtig aufragenden Gebäudeteilen, aufblitzenden Lichtkeilen und delikat modulierten Farben – das hat auch was von der stillen Anmut, mit der bei Caspar David Friedrich staunende Menschen vor dem Schauspiel der auf- oder untergehenden Sonne stehen. Eine spirituelle Botschaft wird daraus nicht. Feininger ist für den elegischen Ton zuständig, für leise Modulationen, für die lyrischen Abstände zwischen Maler und gesehener Welt.

Nicht zuletzt auch der Fotograf Feininger, der die magischen Effekte liebt, vor allem das Streu- und Punktlicht in der Nacht. Und vollends gibt sich der Maler in seinem in Amerika entstandenen Spätwerk zu erkennen. Jetzt, wo das anbetungssüchtige Maler-Ich vor unglaublich ragenden Architekturen stehen und dem Lichtfall in abgründige Häuserschluchten folgen könnte, werden Feiningers Linien weich, und der scharfkantige Kristall, durch den der Bauhaus-„Meister“ sich die Welt anverwandelt hat, zerbröselt immer mehr. Dass über allem die Feininger-Dinge – hart- oder weichlinig – ein Malerleben lang erkennbar bleiben und sich nie in der Abstraktion verloren haben und immer aussehen, als seien sie im Schimmern erstarrt, das sichert dem Werk seinen bleibenden Erfolg. 50.000 irren sich nicht.

Feininger. Bis zum 18. Februar 2024 in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt

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