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Kultur Hauptmanns „Wiesenstein“

Hier war Saufen eine Einstellungsbedingung

Leitender Feuilletonredakteur
Gerhart Hauptmanns Villa in Agnetendorf Gerhart Hauptmanns Villa in Agnetendorf
Gerhart Hauptmanns Villa in Agnetendorf
Quelle: picture alliance / arkivi
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Wer im Hause Gerhart Hauptmanns verkehrte, musste trinkfest sein. Auf „Wiesenstein“, der schlesischen Villa des Dichterfürsten, war Gastlichkeit Ehrensache. Davon erzählen auch manche Stücke aus dem Haushalt, der jetzt aufgelöst wird.

„Bin ich noch in meinem Haus?“ Diese bange Frage sollen die letzten Worte Gerhart Hauptmanns gewesen sein, der einige Zeit als der bedeutendste lebende deutsche Dichter gegolten hatte, bevor es 1946 für ihn ans Sterben ging. In seinem Haus, ach was, in seinem Palast, dem legendären „Wiesenstein“ bei Hirschberg in Schlesien, heute Jelenia Góra, in dem die gesamte elegante Welt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein und aus gegangen war, befand sich der 83-Jährige tatsächlich noch, als er seine bange Frage stellte. Dafür hatten die sowjetischen Militärs gesorgt, und die Polen, die jetzt hier das Sagen hatten, akzeptierten es.

Aber Hauptmanns Hausrat, nicht unbedeutende Antiquitäten, schöne Möbel und vor allem die Arbeiten von Malerfreunden wie Leo von König, Emil Orlik, Ludwig von Hofmann kamen im Zuge der Nachkriegswirren unter die Räder. Darum ist es durchaus eine kleine Sensation, wenn jetzt das Berliner Auktionshaus Bassenge am 30. November 2023 einen Bestand von immerhin 70 Losen anbieten kann, die vom „Wiesenstein“ stammen, der übrigens vom Berliner Architekten Hans Grisebach erbaut worden ist. Es handelt sich um Objekte, die sich in der Schweiz erhalten haben, wo der Hauptmann-Sohn Benvenuto seinen Wohnsitz hatte. Mit seinem Leben ist hier vieles daher mindestens so sehr verwoben wie mit seinem Vater.

Aber einige Gegenstände gibt es doch, die ganz und gar das Selbstverständnis des großen Dramatikers und Erzählers Gerhart Hauptmann widerspiegeln. Der sah sich einesteils als Nachfolger Goethes. Andernteils inszenierte er sich aber auch als Fürst im Stil der italienischen Renaissance. Er hatte, anders als sein großes literarisches Vorbild, bereits als junger Mensch eine Weile in Rom gelebt, wo er sich zunächst der Bildhauerei widmete – in seinem noch immer lebendig wirkenden Erinnerungsbuch „Das Abenteuer meiner Jugend“ beschrieb er diese Zeit.

Leo von König, „Gerhart Hauptmann“, 1927
Leo von König, „Gerhart Hauptmann“, 1927
Quelle: Galerie Bassenge/L. v. König

Seiner Liebe zu Italien ist Gerhart Hauptmann treu geblieben. Er bereiste es immer wieder. Und da er erst durch seine enorm erfolgreichen Theaterstücke wie „Die Weber“, „Der Biberpelz“ oder „Die versunkene Glocke“, später auch infolge des Literaturnobelpreises, der ihm 1912 verliehen worden war, ein Leben auf großem Fuße führen konnte, hat er so manches aparte Mitbringsel von diesen Reisen auf den „Wiesenstein“ überführt.

Dazu gehört auch der abgebildete sitzende Löwe aus Terrakotta. Diese wohl aus dem 19. Jahrhundert stammende, 73 Zentimeter hohe Skulptur wird von Bassenge für 3500 Euro angeboten. Da sie am Aufgang zum „Wiesenstein“-Gebäude stand, darf man davon ausgehen, dass jeder seiner vielen Besucher sie wahrgenommen und als Emblemtier des Dichterfürsten verstanden hat. Dass es sich um einen freundlichen Löwen handelt, passt gut zu diesem Mann, denn er war bekannt für seine persönliche Liberalität, seine Großzügigkeit und nicht zuletzt für eine verschwenderische Gastlichkeit, der er gerade auf dem „Wiesenstein“ mit stundenlangen Gelagen frönte, die mehrfach beschrieben worden sind.

Terrakotta-Löwe
Skulptur am Treppenaufgang zum Portal von Wiesenstein
Quelle: Galerie Bassenge/

Wenn Hauptmann neues Personal einstellte, kam im Vorstellungsgespräch irgendwann unweigerlich die Frage: „Können Sie saufen?“ Und je nachdem wie die Antwort ausgefallen war, vergab der Hausherr eine Stelle oder auch nicht. Saufen war auf dem „Wiesenstein“ Ehrensache, und der Hausherr ging mit gutem Beispiel voran.

Die Kehrseite seiner Konzilianz, das sei an dieser Stelle nicht verschwiegen, war allerdings, dass er es allzu vielen Leuten recht machen wollte. Nach revoluzzerhaften Anfängen als naturalistischer Dramatiker, der die Arbeiter und kleinen Leute auf die Bühne brachte, schlüpfte er schnell in die Rolle des Repräsentanten. Er begrüßte als einer der ersten deutschen Intellektuellen zunächst den Ersten Weltkrieg, dann die Weimarer Republik und schließlich auch die Nazis mit seinem berühmt-berüchtigten „Ich sage Ja!“ von 1933.

Doch wie dem auch sei: Seine literarische Leistung bleibt unbestritten, und eine farbige, charismatische Figur war er in jedem Fall. Auch wer sich keinen Gegenstand, auf dem noch „das Auge des Meisters geruht“ hat, in die Wohnung stellen will, sollte die Chance der Vorbesichtigung nutzen. Um zu sehen, wie das mal in Deutschland ging, Dichterfürst zu spielen, ja Dichterfürst zu sein.

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