WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Kunst
  4. Lawrence Lek am Kranzlereck: Willkommen in der Welt von morgen

Kunst Künstler Lawrence Lek

Das Auto als Sinnbild für alle menschlichen Zweifel

Willkommen im „NOX“ von Lawrence Lek Willkommen im „NOX“ von Lawrence Lek
Willkommen im „NOX“ von Lawrence Lek
Quelle: Lawrence Lek
Lawrence Lek ist Architekt, Gamer, Musiker. Im ehemaligen Kaufhaus am Kranzlereck am Kurfürstendamm in Berlin, dem wohl analogsten Ort der Stadt, kann man seine Welt aus Automatisierung, Überwachung und Psychologie befahren. Und versteht erst dort, warum uns große Veränderungen bevorstehen.

Lautlos gleitet die schwarze Limousine durch eine menschenleere Stadtlandschaft. Halbfertige Wolkenkratzer ragen als stumme Fanale in den Himmel, durchzogen von mehrstöckigen Highways. Alles hier ist digital: Die „spekulative Fiktion“ von Lawrence Lek, in der selbstfahrende, von Zweifeln und anderen Dysfunktionen geplagte Autos die Hauptrolle spielen, lässt eintauchen in die virtuellen Welten von Gaming, Film, Musik und Architektur, die der Künstler entwarf, bevor er Künstler wurde.

Genau das ist es, was seine Filminstallationen vermitteln wollen: In ihrer hochtechnisierten KI-Ästhetik wirken sie smart, hyperästhetisch und corporate, also wie von und für Unternehmen gemacht. Voice-Overs und Ambiente-Musik versetzen die Betrachter in ein urbanes Universum, das von intelligenten Maschinen gelenkt wird. Es geht um Automatisierung und Überwachung, Psychologie und Technologie, Perfektion und Scheitern. All das sieht aus wie die Kunst von morgen, erschaffen von einem Künstler, dem ein Freund das Künstlertum attestierte – in Ermangelung anderer Definitionen seiner computeranimierten Fantasieerzählungen. Geboren wurde Lek 1982 in Frankfurt am Main, aufgewachsen ist er unter anderem in Singapur und Japan, studiert hat er Architektur in Cambridge, London und New York. Er lebt unterwegs.

Traumatmosphäre in Berlin: Lawrence Leks „NOX“
Traumatmosphäre in Berlin: Lawrence Leks „NOX“
Quelle: © Lawrence Lek/ Foto: Andrea Rossetti

Leks bislang größte Ausstellung findet gerade in einem sehr analogen Ort in Berlin statt, einem ehemaligen Kaufhaus am Kranzler Eck am Kurfürstendamm. In den einst prominenten, charmant überkuppelten 50er-Jahre-Bau an der Ecke zum Bahnhof Zoo zog Ende der 90er-Jahre ein Sportartikelmarkt ein. Ausgeräumt hat das triste, von Rolltreppen mittig durchtriebene Gebäude nun die LAS Art Foundation, die als eine der interessantesten privaten Kunstinitiativen Berlins schon ein altes Heizkraftwerk und die Halle am Berghain mit immersiver Zukunftskunst bespielt hat.

Leks Ausstellung heißt „NOX“, was auf die „Nacht“ als dunkle Traumatmosphäre und auf die „Non-human Excellence“ des Rehabilitationsprogramms verweist, die die eigenwilligen Autos wieder in die Spur bringen soll. Film Noir meets Science-Fiction: Über drei Stockwerke durchwandelt man die filmisch-installativen Szenen der Schau mit Headsets, deren Audiospuren per Sensor auf die bespielten Bereiche reagieren.

Der Parcours beginnt im Erdgeschoss, wo vor einem großen Screen, eingefasst von Leitplanken, gespenstisch schwarze Limousinen parken, die nach oben hin in ihre Einzelteile zerlegt werden. Zunächst folgt man dem Exemplar im Film durch die Stadt, auf den Schrottplatz und hinter ein galoppierendes Pferd, wobei man den Fragen des Vehikels nach seiner eigenen Sinnhaftigkeit lauscht. Ein Stockwerk höher hört man dann dem Therapie-Bot der alles überschauenden Farsight Corporation zu: Er diagnostiziert dem maladen Fahrzeug eine gewisse Übersensibilität, woraus ein Behandlungsplan generiert werden soll.

Das Narrativ der Maschine: Immer wieder nimmt Lawrence Lek auf Klassiker der dystopischen Science-Fiction Bezug
Das Narrativ der Maschine: Immer wieder nimmt Lawrence Lek auf Klassiker der dystopischen Science-Fiction Bezug
Quelle: Lawrence Lek

Autonome Autos sind schließlich die Hauptakteure der Smart City, in der es keinen Platz für Befindlichkeiten wie Angst vor Verfall, Fehlerhaftigkeit und Unbeliebtheit oder für Überlegungen zur eigenen gesellschaftlichen Rolle gibt. Beäugt von herausgetrennten und somit seltsam entkörperlichten Autoscheinwerfern steht man schließlich oben in der Rotunde bei einer Reihe von Touch-Screens. Hier kann man nun selbst in die Rolle eines Farsight-Mitarbeiters schlüpfen und verschiedene Behandlungsmethoden für das Auto auswählen – sofern das Ganze denn funktioniert, denn die Technik ist immer wieder ein ernüchternder Reality-Check bei solchen interaktiven Ausstellungen.

Zugleich ist Dysfunktionalität der rote Faden der Schau: Die Geschichte vom Blade Runner auf der Jagd nach lebenshungrigen Replikanten, das Narrativ von der Maschine, die plötzlich skurrile Eigenheiten entwickelt wie der Computer HAL bei Stanley Kubrick, ist so alt wie Frankensteins Monster, das plötzlich Gefühle hat – und so geht es auch bei Lek, so der Begleittext, um „Handlungsfähigkeit, Ethik und Empathie im Zusammenleben zwischen Menschen und Maschinen“.

Nun stellt sich die Frage, warum ausgerechnet ein Auto als Sinnbild für menschliche Zweifel und für die Zukunft als computergesteuerter High Tech-Kosmos herhalten muss? Vielleicht, weil es als Fortbewegungsmittel und Körpervergrößerung den Fortschritt schlechthin repräsentiert – als Gerät, das Nostalgie und Utopie vereint und irgendwie zur alten Welt passt, aus der die existenziellen Fragen herüberschwappen.

Leks fiktive Smart City, in die er auch das Kranzler Eck als Werkstatt-Quartier der Farsight Corporation hineingerendert hat, liegt übrigens an der „Great Silk Road“, was zu Leks Idee und Wortneuschöpfung des „Sinofuturismus“ passt: Schon in seiner gleichnamigen interaktiven Sci-Fi-Videoinstallation von 2017 ging es um KI und China als neue geopolitische Massenmedienmacht.

Welt ohne Menschen: Das Auto wird bei Lek zum automatisierten Akteur
Welt ohne Menschen: Das Auto wird bei Lek zum automatisierten Akteur
Quelle: Lawrence Lek
Anzeige

Farsight ist darin ein Start-up der Automatisierungsbranche, das Mitarbeiter mit einer Frage anwirbt, die klingt, als stamme sie aus dem Silicon Valley: „Who needs a work life balance, when it’s so much fun?“ Lek verwandelt hier die Angst vor der von Robotern ersetzten Arbeit in ein voll automatisiertes Spieleparadies, in dem Arbeit zu Freizeit geworden ist. Auch bei NOX ist China weniger Bedrohung, sondern steht vielmehr beispielhaft für eine von Computern gelenkte Welt, in der Überwachung, Automatisierung und Gamifizierung den Menschen abgelöst haben. Statt seiner weisen nun die Maschinen menschliche Eigenschaften auf, sodass sie einem vertraut und sympathisch erscheinen. Dass sie möglicherweise entsorgt werden könnten wie die schrottreifen, wenn auch durchaus noch schicken Limousinen im Erdgeschoss, erzeugt auf absurde Art tatsächlich Empathie. Auch das scheint Teil des Spiels zu sein – Gefühle zu steuern, ist schließlich die Hauptaufgabe der Farsight Corporation.

Dennoch: Die Kälte, die hinter all dem steckt, visuell wie konzeptionell, kann man nicht abstreifen. Die businessgeschulte Smartness, mit der sich Lek durch seine teils ironischen, teils melancholischen, aber immer die Zukunft umarmenden Sci-fi-Szenarien bewegt, jagt einem Schauer über den Rücken. Obwohl er von Sadie Coles HQ in London vertreten wird – und seit gut sieben Jahren durch die Institutionen zieht, von der Julia Stoschek Foundation über die Urbanen Künste Ruhr bis zum Museion in Bozen: Man spürt, dass Lek nicht aus der Kunst kommt, er seinen neuen Kontext historisch nicht tiefergehend kennt. Auch wenn das per se keine Qualität sein mag, so ist diese Distanz doch genau das, was die Kunst immer wieder braucht, um sich nach vorn auszurichten und neue Sprachen zu entwickeln – selbst wenn die in der Welt der Games und der künstlichen Intelligenz schnell obsolet sind.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema