Vor einem halben Jahrhundert, im Jahr 1969, erschien „The Cooking of the British Isles“, ein Buch, das eigentlich kein Kochbuch ist, sondern eine Mentalitätsgeschichte Großbritanniens anhand seiner Küche. Auf dem Cover prangt, wie um den Grundton zu setzen, nichts als ein saftiger, rosiger Braten, ein romantisches Bild, fast wie von Turner: Fleisch als Fleisch.
Dieses Bild wandelte sich in den frühen Nullerjahren, als die Briten begannen, die exzentrischen Eigenheiten ihrer Küche zu entdecken und zu verfeinern: in Gestalt des jovialen Jamie Oliver, der säuselnden Nigella Lawson, des puristischen Nigel Slater; jedes zweite Pub in London war plötzlich ein Gastropub, das lokale Zutaten und Bier aus kleinen Brauereien hipsterbärtiger Exbanker versprach.
Nun, pünktlich zum 70. Thronjubiläum der Königin, scheint ein weiteres Kapitel der wechselvollen Mentalitätsgeschichte aufgeschlagen: Die „Vegan Society“ klagt, die eigens zum Platinum Jubilee erschaffene Jubiläumstorte sei nicht vegan. Dass sie Milchprodukte enthalte, sei „ungesund“ und „grausam“. Nun wäre es verwunderlich, wenn der Interessensverband der Veganer hervorheben würde, wie saftig eine Sahnetorte ist – aber „ungesund und grausam“?
Überhaupt sei die Kreation eher passend für ein Fest am mittelalterlichen Hof von Henry VIII. In Zeiten des Klimawandels sei eine Torte bestehend aus Tierprodukten schlicht falsch, eine große Enttäuschung, „unethisch“, zumal man statt gewöhnlicher Gelatine auch pflanzenbasierte hätte verwenden können oder „Flax- und Chiasamen“.
Die Queen und ihr Cake
Ist das die befürchtete Meghanisierung der Verhältnisse, dass nun alles Britische vegan, yogagestählt und lichtdurchflutet sein soll wie der neue Lifestyle des nach Kalifornien exilierten Prinzen, die Veganisierung der Gesellschaft bis in die letzte Kronenspitze hinein, die alles andere, abweichende gleich als Angriff auf die eigene Lebensweise wertet?
Der Queen selbst kann es gleich sein, nach 70 Jahren auf dem Thron kann sie genau das tun, was sonst dem Sprichwort zufolge niemand schafft: to have your cake, and eat it, too.