Ein gläserner Würfel, ein grober Keil, eine schmucklose Kiste, eine riesige Kugel. Hier kommt zusammen, was nicht zusammengehört – und von schiefen Stelzen muss es auch noch getragen werden. So mag man denken beim Anblick dieses Stückwerks von geometrischen Körpern, das Rem Koolhaas mit David Gianotten nördlich des Stadtzentrums von Taipeh angerichtet hat. Der niederländische Stararchitekt sieht das natürlich völlig anders.
Architektur werde oft nur über die Fassaden beurteilt. Und deren zeitgenössische Gestaltung verhülle dabei, wie traditionell die Gebäude im Inneren angelegt seien. So erklärte Koolhaas, Gründer des einflussreichen Office for Metropolitan Architecture (OMA) in Rotterdam, seinen Entwurf der Wettbewerbsjury.
Sie hatte darüber zu entscheiden, ob OMA das Performing Arts Center in der Hauptstadt von Taiwan baut oder ob man es doch lieber halb eingraben, halb hinter fließenden Formen verstecken oder gar besser in einem Wald weißer Betonpilze unterbringen sollte, wie es die beiden Konkurrenten im Finale des Architekturwettbewerbs vorgeschlagen hatten.
Koolhaas und Gianotten haben sich durchgesetzt. Auch weil ihr ruppiger Bau äußerlich andeutet, was einen innen erwartet: drei Aufführungsräume – ein Globe Theatre, eine Guckkastenbühne, eine experimentelle Blue Box – für insgesamt 3100 Zuschauer.
Dazu kommt ein öffentlicher Parcours über Treppen, Rampen und Rolltreppen durch alle Bereiche des Gebäudes. So soll der Trubel des Shilin-Nacht-Markts, wo mittendrin nun das Theater steht, ins Haus gebracht werden. Der größte und populärste Markt von Taiwan öffnet nachmittags und schließt seine mehr als 500 Stände erst nach Mitternacht.
Es hat unerwartet lange gedauert, das Performing Arts Center fertigzustellen. 180 Millionen Euro soll es gekostet haben. Der Entwurf für das Haus stammt aus den Jahren 2008/2009. Zu der Zeit war in Taiwan die Kuomintang an der Regierung, jene Partei, die 1912 die erste chinesische Republik begründete und heute im demokratischen Parteiensystem der Republik China auf Taiwan, für eine „Ein-China-Politik“ und die Annäherung an das Mutterland steht. Peking sieht Taiwan seit der Abspaltung nach dem Bürgerkrieg 1949 als abtrünnige Provinz, die wiedervereinigt werden soll – notfalls mit militärischer Gewalt.
Angesichts des russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wird die Sorge vor militärischer Aggression auch gegen Taiwan wieder größer. Nun haben die USA der Republik Taiwan im Falle eines chinesischen Einmarsches erneut militärische Unterstützung zugesagt. Das sei eine Verpflichtung, die man eingegangen sei, sagte US-Präsident Joe Biden bei einem Treffen mit Japans Ministerpräsidenten Fumio Kishida in Tokio. China „spielt mit der Gefahr“, so Biden.
In diesem Sommer eröffnet das „Tausendjährige Ei mit Tofu“, wie das Performing Arts Center in Taipeh schon genannt wird, aber zur rechten Zeit. Denn jenseits aller ästhetischen und funktionalen Fragen setzt das Gebäude auch ein politisches Zeichen. Taiwan zeigt mit diesem Kulturbau der übermächtigen Volksrepublik, dass es einen Platz in einer Welt reklamiert, wo nicht nur die Kunst frei ist.