David Cronenberg, der Altmeister des Körper-Horrors – in „Die Fliege“ von 1986 wird ein Wissenschaftler nach einem missglückten Experiment langsam zu einem Insekt – hat ein NFT-Kunstwerk auf die Plattform SuperRare gestellt. NFTs, das sind elektronische Dateien, die so gut gegen Löschen und Kopieren abgesichert sind, dass sie einen kommerziellen Wert gewinnen können; die neueste Mode auf dem Kunstmarkt.
Cronenbergs NFT heißt „Inner Beauty“ und zeigt die Nierensteine des Regisseurs, aufgenommen mit einer Endoskopie-Kamera. Sein Innerstes wird nach außen gekehrt.
Cronenbergs neuer Film „Crimes of the Future“ beginnt mit einem kleinen Jungen, vielleicht acht Jahre alt, das Muster eines gesunden Knaben. Aber er knabbert den Saum eines Plastikpapierkorbs ab, mit offenbar gutem Appetit, das Plastik scheint sich in seinem Mund zu verflüssigen und seine inneren Organe die Nahrung gut zu vertragen. Früher hätte man ihn einen Mutanten genannt, im heutigen Tu-mir-nicht-weh-Sprech vielleicht eher einen „Alternativnahrungskonsumenten“.
Scherz beiseite: Es wird in „Crimes of the Future“ hauptsächlich um innere Organe gehen. Und es wird uns bei jeder neuen Wendung klar werden, wie nahe wir der Cronenbergschen Zukunft bereits gerückt sind.
Es gibt da das Performancekünstlerpaar Saul und Caprice (Viggo Mortensen und Léa Seydoux) mit vagen Anklängen an Marina Abramović und Ulay. Und was sie tun, erinnert optisch an die Plastinate des Professor von Hagens – sie entblößen ihre Innereien, schlachten sie, im schönsten monetären Sinn, aus.
Mithilfe von Drogen hat Saul jegliche Schmerzempfindlichkeit verloren, was es Caprice erlaubt, seinen Körper aufzuschneiden und ihm Organe zu entnehmen. Die Performance aller Performances!
Der Körper als Schlachtfeld
Neue Organe, muss man hinzufügen, denn Sauls Körper besitzt die Fähigkeit, Organe zu entwickeln, die keine Funktion besitzen, eine Art gutmütiger Tumore. Der Tumor wird, als Feinschliff sozusagen, zudem mit einer Tätowierung versehen, was ihn einerseits als Kunstwerk ausweist und andererseits eineindeutig macht wie ein NFT; ein Amt für Neue Organe (repräsentiert von Don McKellar und einer wunderbar kauzigen Kristen Stewart) versucht die Kontrolle über die Entwicklung des neuen Marktes zu behalten.
Der Körper als Schlachtfeld, diese Entwicklung ist schon weit fortgeschritten. Die Frage ist nur, ob Cronenberg ihr hinterherhinkt oder schon wieder ein Stück voraus ist. Die Körpermodifikationen begannen – in den modernen westlichen Kulturen – mit Tätowierungen und Piercings und haben sich als Schönheitsoperationen inzwischen zu einer Industrie entwickelt.
Als Kritik an dieser Selbstoptimierungsindustrie begannen Künstler sich selbst zu verletzen. Die französische Operationskünstlerin Orlan zum Beispiel, der Chirurgen mit Skalpellen die Haut am Hals anhoben und Schnitte an ihren Schläfen setzten. Oder der australische Medienkünstler Stelarc, der sich ein synthetisches Ohr in seinen Unterarm implantieren ließ; beide Aktionen zitiert Cronenberg, ins Groteske vergrößert.
Die Kunst der Selbstverletzung ist inzwischen an ihre Grenzen gestoßen, die Provokation hat sich abgenutzt. Und die letztmögliche Steigerung wäre nur noch die Inszenierung des eigenen Todes, von der Abramović einmal gesprochen hat.
Die Cyborgisierung des Menschen
Insofern kann man die Klugheit von Cronenberg bezweifeln, seine Geschichte in jenem Kunstmilieu anzusiedeln, das schon sämtliche Variationen der „Fleischeskunst“ (wie Orlan es nannte) durchexerziert hat. Diese Kunst, ihre Fähigkeit zu schockieren und zum Nachdenken zu bringen, scheint ausgereizt.
Stattdessen werden wir inzwischen mit erheblich weitreichenderen Konsequenzen der Körpermodifikation konfrontiert: mit der Ersetzung von immer mehr Körperteilen durch künstliche Organe, der Fusion unserer Körper mit Technologie, der Cyborgisierung des Menschen.
Es gibt Leute (vor allem in den entsprechenden Industrien), die diesen „Transhumanismus“ als nächsten Evolutionsschritt der Menschheit sehen und für unvermeidlich halten. Cronenbergs gesamtes Werk kreist um die Frage, was Menschsein in Zeiten zunehmender Technisierung eigentlich noch bedeutet.
Vielleicht muss man „Crimes of the Future“ als Ausdruck eines resignierten Optimismus angesichts dieser Transformation sehen: Wenn wir schon alle Fliegenmenschen werden müssen, lasst uns wenigstens das Beste daraus machen. Und Kunst war schon immer gut für einen Perspektivwechsel: Wenn die inneren Werte den wahren Menschen ausmachen, warum dann nicht das Innere zu Werten machen?