Wenn wir ganz ehrlich sind, ist unser Leben die meiste Zeit über wahnsinnig beige und trägt einen traurigen Hut. Wir sitzen stundenlang in menschenabweisenden Büroräumen, essen schlimme Sachen und halten uns trotzdem eisern fit – Yoga, Muskelaufbau, Herzschlagfrequenzbegrenzen auf Befehl unserer Smartwatches, dabei dudelt uns immer irgendeine Playlist was ins Ohr. Wir fahren kleine Wagen, bestellen, was wir brauchen bei Amazon, damit wir nicht zu viel in Kontakt mit unseren Mitmenschen treten müssen. Wir langweilen uns fürchterlich, während wir so tun, als würden wir unseren Projekten nachgehen.
Und während und weil wir uns langweilen, arbeiten wir im Kopf an einer Philosophie unserer Beschäftigung: Eigentlich, aber das wussten wir bisher noch nicht, sind wir kleine Angestellte von Auftragskillern nicht zu unterscheiden.
Die waren, das wussten wir aus dem Kino, alles andere als fleischgewordene Büroklammerexistenzen. Sie fuhren irre Autos und rannten schnell. Vor allem aber waren sie glamourös, selbst wenn sie in Blut badeten. So wie Keanu Reaves als John Wick. Und wenn sie all das nicht waren, lagen sie wenigstens wie Alain Delon im „Eiskalten Engel“ an die Decke starrend im Hotelbett und sahen unendlich cool und alles andere als beige dabei aus. Und dann kam David Fincher mit seinem Alterswerk.
Das heißt „The Killer“ und ist ein Sechseinhalbakter, der auf einer Graphic Novel von Matz und Luc Jacamon beruht. Sieben Jahre heißt es, hat Fincher versucht, den Etat von am Ende wahrscheinlich 175 Millionen Dollar einzutreiben.
Einen Dreck scheren um Konventionen
Nicht mal Brad Pitt als eigentlich geplanter Hauptdarsteller hat allerdings gereicht, genügend Geldgeber zu locken. So landete Fincher bei Netflix und „The Killer“ wird ab November weltweit zu streamen sein. Der vorherige Kurzbesuch des Killers im Kino dient nur dazu, sich eine Oscarkandidatur zu ermöglichen.
Ein Alterswerk ist „The Killer“, weil er ultranüchtern durchkonstruiert ist, sauber und ohne jedes Ornament dramatisiert. Und sich einen beigen Dreck schert um die Konventionen des Auftragskillergenres.
Das heißt: Er schert sich insofern natürlich ganz viel drum, als er sie begutachtet, benutzt und dann in die Ecke schmeißt wie Finchers Auftragskiller die Muskatnussreibe, die ihm später in Florida während der brutalen nächtlichen Küchenschlacht gegen einen brutalen Kollegen zur Selbstverteidigung irgendwann in die Hände fällt.
Das wiederum hätte er locker verhindern können, wenn ihm nicht in Paris dieser dumme Fehler passiert wäre. Da saß er – einen Namen hat er keinen – in einem menschenabweisenden Co-Working-Loft. Machte Yoga, trainierte seine Muskeln, hörte die „Das ist The Smiths“-Playlist, besorgte sich hässliches Essen beim Burgerbrater um die Ecke und holte Amazon-Bestellungen ab.
Er trug dabei zur Tarnung Ganzkörperbeige samt traurigem Hut, weil das deutsche Touristen gern tragen, philosophiert er, und die kann keiner leiden, die meidet jeder wie der Auftragskiller das Weihwasser. Er philosophierte sowieso viel über seinen Job und den Zustand der Welt. Betete uns mantraartig – wir sitzen in der Sprechblase, die sein Kopf ist, und hören ihm zu – das Ethos seines Jobs vor: bleib bei deinem Plan, improvisiere nicht, Empathie ist Verbrechen (er hätte es im Büro weit gebracht).
Zur Traumvilla
Zwischendurch baute er sein Arbeitsgerät (Präzisionsflinte) auseinander und zusammen. Und beobachtete neben seiner Herzfrequenz und dem Leben in den Straßen von Paris vor allem das Luxushotel gegenüber.
Da kommt irgendwann doch seine Zielperson an. Und eine Lacklederdomina. Der Killer, der wir sind, legt an, zielt. Und dann liegt die Lackdame tot herum. Und das Improvisierverbot ist vorübergehend Geschichte. Der Killer flieht, verwischt seine Spuren, kommt in der Dominikanischen Republik an, wo er ganz weit draußen eine Villa hat, in der normalerweise seine schöne Freundin auf ihn wartet, wie man das aus anderen Auftragskiller-Filmen kennt.
Die wurde nun aber leider – die Auftraggeber waren sauer über das Versagen von Paris – stellvertretend für unseren Killer ins Koma geprügelt. Der wiederum – er ist halt wie wir und keine empathiefreie Zone – sinnt auf Rache. Eine Anti-Heldenreise beginnt, eine Schnitzeljagd nach den Verantwortlichen für das Attentat auf die Komfortzone des Killers, mit der Fincher die restlichen Kapitel seines schlanken Dramas füllt. Ziele sind der Jobvermittler, der Schläger, dessen Kollegin, der Auftraggeber.
Immer wird ein Plan gemacht, immer geht was schief. Wir sind in Santo Domingo, in Florida, in New York. Jeder Ort, jedes Kapitel bekommt einen eigenen Farbton, ein eigenes Tempo, eine eigene Aura. Zwischendurch, wenn man sich doch ein bisschen langweilt, fragt man sich, wie wohl ein James Bond von David Fincher aussehen würde. Und wie vielleicht Tilda Swinton als Blofeld wäre. Die sitzt unserem Killer irgendwann beim Whisky-Tasting gegenüber. Sie hat dem allen beigewohnt, was der Schönen unseres Killers angetan wurde.
Es ist müßig, darüber nachzudenken, was aus „The Killer“ geworden wäre, hätte sich ein großes Studio mithilfe von Brad Pitt zu Finchers Projekt hinreißen lassen. Ohne Michael Fassbender wäre er beinahe nichts geworden.
Ohne seine glamouröse Langweiligkeit, seine irgendwann explodierende Physis in der grandios auschoreografierten Prügelei in Florida, seine schweigende Eloquenz, ohne die Art, wie er Beige in allen Farben schillern lassen kann. Wie er ganz wir ist, und doch ganz anders.