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Meinung Höchste Gipfel im Guinness-Buch

Ich und Reinhold Messner haben versagt

Umsonst? Zippert im Schneegestöber des Bungsbergs Umsonst? Zippert im Schneegestöber des Bungsbergs
Umsonst? Zippert im Schneegestöber des Bungsbergs
Quelle: Achim Apell
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Reinhold Messner hat jetzt doch nur 13 Summits bestiegen. Immerhin habe ich 16 geschafft. Nämlich den höchsten Gipfel in jedem der 16 Bundesländer. Wenn das jetzt auch angezweifelt wird? Immerhin hatte ich ja meine Gipfelroute mit Messner geplant. Er gab mir einen guten und weisen Rat.

Reinhold Messner hat die 14 Summits doch nicht geschafft. Ihm fehlen 65 Meter am Annapurna. Der gefürchtete „Berg-Chronist“ Eberhard Jurgalski hat das zweifelsfrei nachgewiesen. Messners Name wurde bereits aus dem Guinness-Buch der Rekorde getilgt, und nun bin auch ich in großer und nur allzu berechtigter Sorge, denn mich verbindet mehr als mir heute lieb ist mit dem legendären Bergsteiger.

Im Juni 2016 traf ich mich mit Reinhold Messner in Bozen. Ich brauchte seinen Rat und seine Erfahrung, denn ich wollte nicht nur 14, sondern sogar 16 Gipfel bezwingen. 16 Summits, die höchsten Berge jedes Bundeslandes, ein vollkommen größenwahnsinniges Projekt, vor allem für jemand, der im Ravensberger Hügelland aufgewachsen ist und über keinerlei alpinistische Erfahrung verfügte.

Ich wollte damals von Messner wissen, warum er denn dieses Projekt niemals ins Auge gefasst hatte, bekam von ihm aber eher ausweichende Antworten. Er bezeichnete die Zugspitze als einzigen Berg, der eine gewisse Herausforderung darstelle, über die anderen Erhebungen wollte er sich nicht äußern und riet mir, einfach einen Fuß vor den anderen zu setzen, dann könne mein Plan möglicherweise gelingen.

Es ist inzwischen allgemein bekannt, dass ich das Unglaubliche geschafft habe. In relativ kurzer Zeit habe ich alle 16 Ländergipfel bezwungen und mich auch durch eine Netzhautablösung nicht vom Aufstieg auf die Zugspitze abhalten lassen. Doch anfangs hatte niemand an mich geglaubt, ich wurde für verrückt erklärt. Ein angeblich guter Freund sagte mir direkt ins Gesicht: „15 Gipfel, das trau ich dir grad noch zu aber für 16 muss man aus anderem Holz geschnitzt sein.“

Ich begann selbst, an mir zu zweifeln. Diese verfluchten 16 Gipfel lagen ja nicht alle schön beieinander, in einem übersichtlichen Gebirge wie dem Himalaja, sondern vollkommen wahllos über ganz Deutschland verteilt. Die absolut ultimative Herausforderung. Der föderale Alpinismus steckte in Deutschland noch in den Kinderschuhen, ich hatte von keiner Seite irgendwelche Unterstützung zu erwarten.

Niemand kann sich vorstellen, was es bedeutet, sich über fast drei Jahre hinweg immer wieder zu einem neuen Gipfelsturm aufzuraffen. Die ersten drei oder vier Berge waren kein Problem, aber spätestens, als ich in einem grauenhaften Schneesturm auf dem Bungsberg (167 m) stand und kaum die Hand vor Augen sehen konnte, fragte ich mich, ob ich mich nicht doch übernommen hatte. Ich wusste nicht, wie ich zum Parkplatz zurückfinden sollte, der Sturm hatte meine Fußspuren verwischt und die „Waldschänke“ Ruhetag.

An der Gipfelstele des Kutschenbergs
An der Gipfelstele des Kutschenbergs
Quelle: Achim Apell

In solchen aussichtslosen Situationen nicht zu verzweifeln, dazu braucht es beinahe übermenschliche Kräfte. Aber damals, auf dem höchsten Berg Schleswig-Holsteins, wurde mir endgültig klar, man muss immer nach vorne schauen, selbst, wenn man nichts sehen kann und man muss fest an sich glauben. Wie sagte schon meine Mutter: „Sei du selbst, bevor es jemand anders tut.“ Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen. Man muss Demut zeigen, vor den Urgewalten der Elemente. Und man muss dazu bereit sein, die unglaublichsten Phrasen zu dreschen.

Gerade wenn man sich mit Bergbesteigungen beschäftigt, darf man sich für keine Plattheit zu schade sein. Der Dalai Lama empfahl: „Gehe einmal im Jahr dorthin, wo du noch nie warst.“ Aber ich wollte sogar sechsmal im Jahr auf einen Gipfel steigen, auf dem ich noch nie vorher gewesen war. „Einfach einen Fuß vor den anderen setzen“, Messner hatte leicht reden. Im Gipfelbuch der Helpter Berge (179 m) sucht man seinen Namen vergebens, und auch auf dem Langenberg (843 m) oder dem Erbeskopf (816 m) hat er nie gestanden. Der Mann ist ja nicht lebensmüde. Den Brocken hat er allerdings ohne Sauerstoffmaske und ohne Benutzung der Schmalspurbahn bezwungen, dafür gebührt ihm mein Respekt.

Würde man alle 16 Berge aufeinandertürmen, dann käme man auf eine Höhe von 12.888,38 Meter. Das ist weitaus höher, als der bisher bekannte höchste Berg. Das muss man sich einfach mal klar machen. Die ersten zweitausend Meter sind kein Problem aber danach beginnen die Schwierigkeiten. Auf 12.000 Meter Höhe ist die Luft so unfassbar dünn, dass man fast hindurchschauen kann. Ans Einatmen ist schon gar nicht zu denken. Auf solche Situationen ist man nicht vorbereitet.

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Ein weiteres, von mir zunächst unterschätztes Problem war die Verständigung. Immer wieder sah ich mich Eingeborenen gegenüber, deren Sprache mir nicht bekannt war. Das harte hessische Idiom in der Rhön, die herb veschliffenen Endungen des sauerländischen Westfälisch oder die erstaunliche Aneinanderreihung von Vokalen, mit der man sich am Fichtelberg unterhält, klangen für mich sehr fremdartig. Rückblickend war es wenig verwunderlich, dass ich häufig in die Irre geschickt wurde, ein Dialektwörterbuch wäre hilfreich gewesen, ein einheimischer Führer vielleicht auch, aber den gab mein Budget nicht her.

Heute fragt man mich oft, was war denn das schwierigste bei dem Unternehmen, was war die größte Herausforderung? Die Antwort auf diese Frage wird viele überraschen. Das schwierigste war mit Sicherheit nicht die Höhe, sondern die Niedrigkeit der Berge. Es war teilweise fast unmöglich, sie überhaupt zu finden. Steigeisen, Sauerstoffmaske, Karabinerhaken, Seile, all das nützt einem überhaupt nichts.

Reinhold Messner hat den Dollberg nie bezwungen
Reinhold Messner hat den Dollberg nie bezwungen
Quelle: Achim Apell

Die höchste Erhebung Bremens im Friedehorstpark ist mit bloßem Auge nicht zu erkennen. Der Kutschenberg im wilden Grenzland zwischen Brandenburg und Sachsen verändert ständig seine Gestalt und entzieht sich den Blicken. Die Helpter Berge in Mecklenburg-Vorpommern werden von Milliarden von Stechinsekten bewohnt, die in anderen Regionen fehlen und die einen längeren Gipfelaufenthalt unmöglich machen. Der Hasselbrack in Hamburg ist nicht ausgeschildert, weil die Stadt den Rauhfußkauz nicht stören möchte, der dort vielleicht irgendwann mal gebrütet haben könnte. Den Gipfel des Großen Beerbergs in Thüringen darf man gar nicht erst betreten, weil das Betreten verboten ist. Der Gipfel des Bungsbergs wird im Winter nicht geräumt und auch bei Glatteis nicht gestreut. Wer den Wurmberg in Niedersachsen von der falschen Seite aus besteigt, wird von freilaufenden Downhillern und Freeridern angegriffen oder gerät unter die Räder eines Monsterrollerfahrers.

Tatsächlich müssen immer Berge in Deutschland am Wochenende wegen Überfüllung geschlossen werden, dank des E-Bikes dringen jetzt auch untrainierte Rentner in Bereiche vor, in die nie zuvor ein untrainierter Rentner vorgedrungen ist. Auf dem Gipfel des Feldbergs habe ich nur deshalb einen Platz gefunden, weil jemand von seiner Reservierung keinen Gebrauch gemacht hatte. Ich sollte noch erwähnen, dass es nur auf drei Gipfeln eine Übernachtungsmöglichkeit gibt, man muss sich die Zeit also gut einteilen, damit man nicht von Dunkelheit und Sperrstunde überrascht wird.

Eine weitere Gefahr bildet die prekäre Ernährungslage. In den Gaststätten der östlichen Gipfelregionen werden Gerichte angeboten, die besondere Herausforderungen an das Verdauungs- und Immunsysteme des Bergsteigers stellen. Aber auch der harmlos wirkende Krautknödel auf der Zugspitze kann einen schnell außer Gefecht setzen, weil man als Anfänger nicht bedenkt, dass Knödel oberhalb von 2900 Metern ihre molekulare Struktur ändern. Dass ich das alles überlebt habe, ist nur auf die ungeheure mentale Stärke zurückzuführen, die ich mir im Laufe meiner Expedition angeeignet hatte.

Doch nun ist mein Vermächtnis in Gefahr. Die Berge werden neu vermessen, was ich damals für einen Gipfel gehalten habe, könnte gar keiner gewesen sein. Die für den Laien so lächerlich klingenden 3250 Zentimeter des Friedehorstparks in Bremen könnten mir zum Verhängnis werden. Mehr als eine Stunde habe ich dort mit zwei netten Hundehaltern vergeblich nach dem Gipfelkreuz gesucht, was dort wohl mal gestanden hat. Ich habe versucht, praktisch jeden Zentimeter dieser dann doch recht weitläufigen Parkanlage wenigstens einmal zu betreten, aber es könnte doch sein, dass ich es am Ende nur auf 32,4 Meter geschafft und den wirklichen Gipfel um zehn Zentimeter verfehlt habe.

Sobald Eberhard Jurgalski anfängt, alles nachzumessen, bin ich den Rekord los, als erster Bielefelder, der die 16 Summits bezwungen hat. Alles, was ich mit meinem Buch „Zippert steigt auf“ verdient habe, muss ich zurückzahlen, die fest eingeplanten Folgebände „Zippert steigt schon wieder auf“ und „Erbeskopf – Schicksalsberg der Deutschen“ kann ich vergessen, dafür wird sich kein Verlag mehr finden lassen.

Im Friederhorstpark war der „Summit“ schwer zu finden
Im Friederhorstpark war der „Summit“ schwer zu finden
Quelle: Achim Apell
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Und was ist mit den üppigen Einnahmen, die ich mit Incentive-Vorträgen verdient habe, in denen ich tausenden von Zuhörern weismachte, auch sie könnten es schaffen, wenn sie nur fest an sich glaubten? Meine teuren Seminare zu Themen wie Motivation, Leadership, Riskmanagement und Nachhaltigkeit? Auch diese Einkünfte werde ich wohl kaum behalten können, wenn herauskommt, dass ich in Wirklichkeit höchstens 15 Summits und vielleicht sogar noch weniger bezwungen habe. Denn beim brandenburgischen Kutschenberg bin ich mir inzwischen selber nicht ganz sicher, ob das wohl die Gipfel-Stele, an der ich mich festklammerte, oder ein derber Spaß der Einheimischen war.

Wenn man aber mich und meine Leistungen nicht mehr respektiert, dann ist auch mein Lebensprojekt gefährdet. Denn ich wollte mit meinen Besteigungen vor allem dazu beitragen, dass Deutschland endlich einen Dreitausender bekommt. Unbedeutende Länder wie Österreich und die Schweiz sind voll davon aber die deutsche Zugspitze misst nur 2962 Meter. Dabei war die Zugspitze vor kurzem noch ein Dreitausender. Das vermuten Geologen vom Landesamt für Umwelt in Bayern. Vor etwa 3750 Jahren, die älteren Leser werden sich erinnern, kam es zu einem Abbruch von 200 Millionen Kubikmeter feinstem Gipfelgestein, seitdem misst die Zugspitze nur noch kümmerliche 2962 Meter.

Dieser erbärmliche Zustand muss ein Ende finden. Deutschland braucht wenigstens einen Dreitausender, um wieder zu sich selbst und zu neuer Größe zu finden. Das Dach unseres Landes könnte man problemlos wieder aufbauen, unter Beteiligung des Volkes. Die abgebrochenen Steine liegen alle noch irgendwo am Berg herum, man muss sie nur in der richtigen Reihenfolge wieder zusammensetzen und an die Bruchkanten kleben. Damit habe ich 2018 angefangen. Deutschland 3000, das war meine Mission. Doch wer wird sie weiterführen, wenn mein Ruf erst ruiniert ist, und was wird aus diesem Land ohne einen Dreitausender?

Das Standardwerk „Zippert steigt auf“ (Bergwelten, 2019) ist noch im Handel erhältlich, könnte aber bald auf dem Index stehen.

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