Es ist seit elf Jahren das deutsche Lied der Lieder, wenn etwas gefeiert werden muss. „Tage wie diese“ von den Toten Hosen wurde schon in besseren Zeiten von der Fußballnationalmannschaft gesungen und beim letzten Aufstieg von Fortuna Düsseldorf. Die CDU stimmte es an, als sie 2013 bei der Bundestagswahl 41,5 Prozent erreichte, woraufhin die Toten Hosen protestierten und Angela Merkel sich entschuldigte. Auch über Heinos Interpretation beschwerten sich die Altbierpunks.
Nun singt es Anastacia, die Amerikanerin, auf Englisch. Die Version stammt von Campino und den Toten Hosen selbst. Sie haben Anastacia mit einer eigenen Heimaufnahme von „Best Days“ versorgt, um ihr den Geist der Hymne zu vermitteln und die deutsche Art, Erfolge zu genießen. „An Tagen wie diesen / Haben wir noch ewig Zeit“ wird zu „These are the best days (yeah) / And there’s no end in sight“. Aber es ist schon etwas anderes, ob man sich über die Uhr hinwegsetzt oder einfach weitermacht, wenn es am schönsten ist. Campino ist mehr als zufrieden mit „Best Day“ von Anastacia: „Endlich singt das mal eine echte Sängerin.“
Ein ganzes Album hat sie mit zwölf deutschen Stücken aufgenommen. „Our Songs“ heißt es, unsere Lieder. Wo beginnt die kulturelle Aneignung, wo hört die gönnerhafte Geste auf, wenn eine Sängerin, die 1968, als der Pop erwachsen wurde, in Chicago, wo der Rock damals zu Hause war, zur Welt kam – wenn sie also Schlager wie „An guten Tagen“ von Johannes Oerding, „So bist du“ von Peter Maffay und „Wie schön du bist“ von Sarah Connor übersetzen lässt und die Welt hinausträgt? Solche Fragen aber stellt das Album gar nicht.
Anastacia wurde im Jahr 2000 durch „I’m Outta Love“ bekannt. Der Song war in Amerika ihr größter Hit, dort landete er auf Platz 92, während er sich in den deutschsprachigen Ländern wochenlang unter den ersten zehn hielt. „Boom“, die Fußballhymne zur WM 2002, ging in Amerika und Großbritannien unter. „Anastacia“, ihr Album von 2004, stand 73 Wochen lang in Deutschland auf Platz eins.
Danke, Deutschland!
Zu „Our Songs“ sagt sie: „Ich habe Deutschland sehr viel zu verdanken.“ Und so pflegt sie auch die Scorpions mit „Still Loving You“, „Forever Young“ von Alphaville sowie „An Angel“ von der Kelly Family auf ihre Weise in ihr Werk ein. Sprock, so nennt sie ihren inbrünstigen Stil, in dem sie alles singt: Soul, Pop und Rock.
Die Kelly Family wurde zu einem deutschen Phänomen, als sich die amerikanisch-irischstämmigen Straßenmusiker dort niederließen, wo ihnen der lauteste Applaus entgegenschlug, im Rheinland und in Schwaben. Andere blieben Amerikaner oder Briten und wurden zu deutschen Superstars wie David Hasselhoff mit seinem Freiheitslied zum Mauerfall oder Chris Norman mit Musik von Dieter Bohlen.
Warum Anastacia in ihrer Heimat auf der Straße nicht erkannt, aber beim „Schlagerboom“ in Kitzbühel, bei der Rossatzbacher „Starnacht“ und bei „Wetten, dass..?“ vergöttert wird, weiß niemand. Vielleicht liegt es daran, dass ihr Sprock, ihr knödelnder und dabei kunstvoller Gesang, perfekt zu Stimmungsliedern wie „Tage wie diese“ passt und diese in erhabene Songs verwandelt, mit denen man vor der Fernsehjury jedes Sängerwettbewerbs bestehen würde.
Aber auch wenn Anastacia sagt, sie wolle weltweit für das unterschätzte deutsche Liedgut werben und auch wenn sich „Our Songs“ vor allem an die Deutschen richtet: Es ist nicht nur nett gemeint, wenn sie einen der schönsten unserer Songs, „Cello“ von Udo Lindenberg, auf Englisch singt, mellow auf Cello reimt und die Balladenmelodie verziert wie eine Festtagstorte.
Sie erzählt die deutsche Popgeschichte, ohne dass sie ihr bewusst sein muss. Man hört es ja als Deutscher mit. Vom Ende und vom Exodus des Swingschlagers unter den Nazis und der zähen Nachkriegszeit über die Emanzipation des Krautrock, als es um die Kunst ging, eine eigene weltläufige Rockmusik zu machen und sich von der angloamerikanischen zu lösen, bis hin zu den Neuen und noch Neueren Deutschen Wellen.
Was die Weltstars aus Amerika und Großbritannien immer komisch fanden, war das Mitklatschen im Marschtakt, auf dem ersten und dem dritten Beat, statt auf dem zweiten und dem vierten. Was sie noch seltsamer fanden, war die Obsession für das gesungene Wort, die Lyrik. Auch die Frage „Englisch oder Deutsch?“ wurde schon debattiert, als hinge alles davon ab.
Um all das schert sich Anastacia nicht im Geringsten. Sie singt „Symphonie“ von Silbermond als „Symphony“, „Geboren, um zu leben“ von Unheilig als „Born to Live“, „Durch den Monsun“ von Tokio Hotel als „Monsoon“. Ein Dutzend Lieder für das Land, wo sie als Sängerin zu Hause ist.