Gegen Ende des Hundertjährigen Kriegs (1337 bis 1453), in dem englische Könige ihre Ansprüche auf den französischen Thron durchsetzen wollten, belagerten Truppen Eduards III. beinahe ein Jahr lang die französische Hafenstadt Calais, die trotz unerträglicher Zustände keine Anstalten machte, sich zu ergeben. Auf Anraten des wohl einflussreichsten Bürgers der Stadt, Eustache de Saint Pierre, entschloss man sich zur Kapitulation, um Plünderung und Zerstörung zu verhindern.
Der englische König forderte als Tribut, dass sechs honorige Bürger barfuß, im Büßergewand, um den Hals einen Strick vor die Stadt treten und ihm die Stadtschlüssel überreichen. Man werde dann weitersehen, doch schien das Todesurteil gewiss. Die Königin, überwältigt von Mut und Bußfertigkeit der sechs Bürger, intervenierte – und die zum sicheren Tod bereiten Märtyrer überlebten.
Auguste Rodin schuf in den 1880er-Jahren im Auftrag der Stadt Calais das berühmte, frühexpressionistische Denkmal, das die sechs todgeweihten Bürger in ihrer Vereinzelung darstellt und dabei in individueller Gestaltung ihres Schmerzes, ihrer Angst und Verzweiflung auf den bis dahin gängigen heroischen Aspekt einer historischen Monumentalplastik verzichtet.
Lediglich die Anordnung der Figuren – in der Mitte Eustache de Saint Pierre, förmlich umkreist von den fünf weiteren Opferbereiten – verweist auf die hierarchisch angelegte Geschlossenheit der nunmehr ausweglosen Entscheidung. 1895 wurde das Denkmal enthüllt.
Tapferste unter den Tapferen
Asta Gröting (geboren 1961 in Herford) ist Professorin an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig mit internationaler Ausstellungspraxis als Künstlerin. Sie hat für ihre Skulptur „Ein Bürger von Calais/die Füße von Eustache de Saint Pierre“ aus dem Jahr 2015 Abgüsse von Rodins Skulptur genommen – einen in Bronze, den anderen in Aluminium. Der Tapferste unter den Tapferen ist aber nur scheinbar abwesend.
Seine übergroßen Füße gemahnen an Standhaftigkeit, an Stärke und Mut, an über die eigenen Befindlichkeiten hinausgehende gesellschaftliche Verantwortung. Sie sind ein Lob der Gemeinschaft. Nicht zuletzt, weil in ihnen, geschützt, fast verborgen glänzende Sneakers stecken. Symbolgeladen, denn die Turnschuhe gemahnen auch daran, dass es herausfordernd sein dürfte, in diese Fußstapfen zu schlüpfen. Der Versuch wäre es allerdings wert.
Leap Society fördert Ankäufe von Museen
Asta Grötings Edition (Exemplar 4 aus einer Auflage von 5 plus 2) wird nun in einer Versteigerung angeboten. Bei einem Schätzpreis von 46.000 Euro wird das Werk in einer Benefiz-Auktion in der Langen Foundation in Neuss aufgerufen (am 23. September 2023) aufgerufen. Veranstaltet wird sie von Leap, einer Organisation, die sich der Förderung von Kultur- und Kunstprojekten widmet.
Die philantropische Kunsthistorikerin und -sammlerin Bettina Böhm hat nach Jahren im Dienst der internationalen Wohltätigkeitsorganisation Outset die Leap Society im Jahr 2021 gegründet. In Zeiten, in denen die Budgets der öffentlichen Institutionen schrumpfen, sind derartige Unternehmungen von größtem Wert.
In der Auktion kommen 38 Lose im überwiegend mittleren fünfstelligen Taxbereich unter den Hammer. Darunter sind Arbeiten von Julian Charrière, Tony Cragg, Anne Imhof, Katharina Grosse, Thomas Ruff oder Julian Rosefeldt. Der Erlös fließt zur Hälfte in die von Leap geförderten Kunstprojekte, die andere Hälfte geht an die Künstler, die Werke eingeliefert haben.