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Kultur „Comandante“ in Venedig

Heldenverehrung auf Italienisch

Pierfrancesco Favino als „Comandante“ Pierfrancesco Favino als „Comandante“
Pierfrancesco Favino als „Comandante“
Quelle: Enrico di Luigi
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Ein Kriegsfilm eröffnet das Festival von Venedig. „Comandante“ wirkt wie eine italienische Variante von „Das Boot“ – mit einem Befehlshaber der Faschisten als Held. Wie passt das in unsere harten, zugleich politisch korrekten Zeiten? Ein Streitgespräch unserer Kritiker.

Im Hafen der Lagune von Venedig, unweit des Markusplatzes, liegt gerade ein U-Boot vor Anker. Der Kellner in der nahen Trattoria reibt sich die Augen. Der Anblick ist auch für ihn, den gebürtigen Venezianer, eine Premiere. Es handelt sich wohl um eine PR-Aktion für den Eröffnungsfilm der 80. Ausgabe der Filmfestspiele, „Comandante“ in der Regie von Edoardo De Angelis und mit Pierfrancesco Favino in der Hauptrolle. Der Regisseur ist ein unbeschriebenes Blatt, der Hauptdarsteller diesseits der Alpen ein Star, eine Art Italo-Götz-George, abonniert auf zwiespältige Helden mit Nehmerqualitäten und, letzten Endes, wenn es drauf ankommt, einem intakten moralischen Kompass.

„Comandante“, ein Lückenbüßer für Luca Guadagninos „Challengers“, der dem Schauspielerstreik in Hollywood zum Opfer fiel, ist ein düsterer Kriegsfilm, oldschool, eine Männergeschichte, in der die Frauen an die Seitenlinie relegiert sind. Besonders als deutscher Zuschauer fühlt man sich immerzu an „Das Boot“ erinnert. Mit diesem teilt „Comandante“ den engen Fokus auf das U-Boot und seine Mannschaft unter der Führung eines Mannes, den man früher einen harten Hund genannt hätte.

Im Inneren des Boots: Szene aus „Comandante“
Im Inneren des Boots: Szene aus „Comandante“
Quelle: Enrico di Luigi

Jan Küveler: Ein toller Film, eindringlich, poetisch, mit Bildern, die sich einprägen, großartigen Darstellern, allen voran Favino, der den Kapitän spielt. Aber eben auch ein Heldenepos in einer Zeit, der Heldenepen fremd sind – nicht nur italienische, von denen man sowieso überrascht ist, dass es sie überhaupt gab. Offenbar beruht die Geschichte einer gefährlichen Ausfahrt im Jahre 1940 in den Atlantik, an deren Ende die selbstaufopfernde Rettung flämischer Schiffbrüchiger steht, deren Schiff der Kommandant und seine Männer vorher selbst abgeschossen haben, auf wahren Tatsachen. Wie aber steht dieser Film in unserer Zeit, Hanns-Georg, noch dazu als Eröffnungsfilm von Venedig?

Hanns-Georg Rodek: Ich würde gar nicht widersprechen, was den technischen und inszenatorischen Aspekt angeht, das ist solides „Das Boot“-Niveau. Was ich mich frage, ist, warum das italienische Kino jetzt gerade anfängt, eigene Heldengeschichten aus der Mussolini-Zeit zu erzählen; bisher war die internationale Übereinkunft eher, dass es nicht allzu viel Heldisches von der italienischen Armee im Zweiten Weltkrieg zu erzählen gibt; die Eroberung Griechenlands gelang den Italienern erst, als die deutsche Wehrmacht helfend eingriff.

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Jan Küveler: Es gibt den berühmten Witz von den drei kürzesten Büchern der Welt: „Die Geheimnisse der englischen Küche“, „Tausend Jahre deutscher Humor“ und eben „Italienische Heldensagen“. Aber abgesehen davon, wie repräsentativ die Geschichte ist, mag es befremden, in Zeiten von Ukraine-Krieg und Rechtsruck in Italien einen ungebrochenen Kriegsfilm so prominent zu programmieren. Ungebrochen heißt nicht hurrapatriotisch, dafür sind Ton und Atmosphäre doch zu zerquält, schmerzerfüllt und melancholisch. Aber eben doch auch keinen Antikriegsfilm. In einer Szene antwortet der Kapitän seinem belgischen Kollegen, der ihn ungläubig fragt, warum er ihn und seine Leute gerettet habe: „Weil wir Italiener sind!“ Wie wirkt das auf dich?

Hanns-Georg Rodek: Es wirkt wie eine Absetzung von den viel schlimmeren Verbrechen des ehemaligen deutschen Kriegsverbündeten, zumal ein italienischer Offizier einmal sagt, die Nazis würden die Schiffbrüchigen der von ihnen torpedierten Schiffe ertrinken lassen, die Italiener in diesem Film aber nicht (wir schweigen mal von den anderen italienischen U-Booten, die das auf die „deutsche Methode” erledigt haben). Man hat den Eindruck, dass der Film in dem in Italien vorhandenen Trend liegt, den eigenen Faschismus als gar nicht so böse darzustellen. Hast du das auch gespürt?

Jan Küveler: In gewisser Weise ja. Zumindest ist der Kapitän, auch wenn er seine Leute teilweise wissentlich in den sicheren Tod schickt, eine ungeteilt positive Identifikationsfigur. Eben weil er entgegen anderslautenden Befehlen Feinde in Not rettet und dabei die Sicherheit seiner Mannschaft riskiert. Britische Kriegsschiffe lassen sie schließlich passieren, weil auch die Gentlemen mit der stiff upper lip ein Einsehen und Gewissen haben. Andererseits gerät der Faschismus auch nicht in Vergessenheit. Zwei flämische Saboteure wollen es den „faschistischen Schweinen“ des U-Boots zeigen – kassieren dafür aber auch eine heftige Abreibung. Insofern: eine Neigung zur Geschichtsklitterung ist vorhanden, aber nur in Spurenelementen.

Im Korsett aus Schmerzen: Pierfrancesco Favino
Im Korsett aus Schmerzen: Pierfrancesco Favino
Quelle: Enrico di Luigi

Hanns-Georg Rodek: Ich stelle mal eine etwas kühne Parallele auf. Im Januar 1933, einen Tag nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, kam der deutsche Film „Morgenrot” in die Kinos, über die Abenteuer eines ebenfalls realen deutschen U-Boot-Kommandanten im Ersten Weltkrieg. Der Film war in den letzten Monaten der Weimarer Republik geschrieben und gedreht worden, als ein Reichskanzler Hitler bereits unvermeidlich schien. Man sieht „Morgenrot“ heute als „Anbiederungsfilm“ der Ufa an die kommenden Machthaber. Seit einem Dreivierteljahr regiert nun in Italien die Partei von Giorgia Meloni, die den italienischen Faschismus gerne relativiert. Jetzt dieser Film. Zufall?

Jan Küveler: Das wäre der Maximalvorwurf. Ist eine Verbindung aber wahrscheinlich? Eher nicht von der Produktionsseite, die hat ja einen enormen Vorlauf. Und von der Festivalprogrammierung her gedacht? Die Eröffnung ist selbst ein Zufall, eigentlich hätte Guadagnino laufen sollen. Dann ist die Geschichte einer solchen Heldentat grundsätzlich verlockend, das würde auch Hollywood so sehen, egal ob unter Trump oder Biden. Und schließlich plant Meloni nicht gerade einen Angriffskrieg gegen Andorra, oder?

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Hanns-Georg Rodek: Dass der Film in diese prominente Eröffnungs-Position gerutscht ist, war natürlich Zufall. Ansonsten besteht die größte Fähigkeit eines Produzenten darin, kommende Trends und Themen möglichst weit vorauszusehen und im genau richtigen Moment mit dem Film herauszukommen. Ich erinnere nur an den neuen „Mission Impossible“, in dem Künstliche Intelligenz eine zentrale Rolle spielt – und der exakt dann ins Kino kam, als KI zum ersten Mal in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert wurde.

Jan Küveler: Ohne Zweifel leben wir in harten Zeiten. In der Ukraine sterben vor allem die Männer, und zwar weil andere Männer den Abzug drücken, Raketen abschießen oder Kampfdrohnen schicken. Gewissermaßen toxische Männlichkeit als Staatsräson. Das ist einerseits eine objektive Tatsache, anderseits, in Zeiten, die nicht nur hart, sondern auch empfindlich sind, ein Politikum mit Aufregerpotenzial. Ich bin gespannt, was dezidiert linke oder feministische Stimmen dazu sagen.

Hanns-Georg Rodek: Und ich freue mich auf den Film über einen unbestrittenen italienischen Nationalhelden, über Enzo Ferrari. Der läuft auch bald in Venedig.

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