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Kultur Kunst in Kopenhagen

Ein Grund mehr, den Tivoli zu besuchen

Sylvie Fleury, „First Spaceship on Venus“, 2023 Sylvie Fleury, „First Spaceship on Venus“, 2023
Sylvie Fleury, „First Spaceship on Venus“, 2023
Quelle: Jan Søndergaard
Die Chart Art Fair in Kopenhagen hat den europäischen Norden im Blick. Das Programm ist skandinavisch weitsichtig und zeigt: Die dänische Hauptstadt hat noch mehr Potenzial.

Sie waren es leid, auf den großen Kunstmessen nicht als maßgebliche Repräsentanten einer spezifischen Region mit all ihren Besonderheiten wahrgenommen zu werden. Also taten sich einige Galerien vor elf Jahren zusammen und gründeten die Chart Art Fair: eine Messe in Kopenhagen – von ausschließlich skandinavischen Ausstellern.

Mut und Selbstbewusstsein zahlten sich aus. Es interessierten sich nicht nur die Sammler der nordischen Länder, auch die internationale Aufmerksamkeit wuchs – zusammen mit der allgemeinen Begeisterung für Kopenhagen als Kultur- wie Wirtschaftszentrum Skandinaviens.

Die nur 37 Teilnehmer der Chart Art Fair – viel mehr passen auch nicht in die großzügig angelegten Räume der Kunsthal Charlottenborg im Herzen der Stadt – haben sich nun zu einer Ausweitung der Kampfzone entschlossen, nämlich zu einem die Popularität steigernden Auftritt im Vergnügungspark Tivoli. 16 künstlerische Positionen sind über das Innenstadtgelände – ein buntes Gewirr von Buden, Restaurants, Konzerthallen und sogar einer Achterbahn – verteilt.

Im Vergnügungspark Tivoli

Für die Künstler, die ihre Werke für diesen Anlass gestaltet haben, ist es eine Herausforderung. Denn so legendär der Tivoli als magischer Ort grundlegender dänischer Sozialisation gelesen wird, duldet er immersive Eingriffe dieser Art unbeeindruckt, integriert sie ohne viel Aufhebens.

Die Kölner Künstlerin Anna Fasshauer, vertreten von der Galerie Forsblom (Helsinki), reagiert auf die Verhältnisse ganz verspielt und auch sarkastisch mit einer riesigen schrillgelben Aluminiumhantel (oder ist es doch ein Karaoke-Mikrofon?), das schräg aus einem Gebüsch ragt, als sei es ins Wanken geraten.

„Big Sür“ von Anna Fasshauer
Anna Fasshauer installierte ihre Skulptur im Vergnügungspark
Quelle: Courtesy of the aritst, Galerie Forsblom and Tivoli Gardens, © VG Bild Kunst Bonn, 2023, Foto: Jan Søndergaard

Harrison Pierce platziert auf einem Podest ein Aluminiummodell. „Khora (close)“ entstand auf der Basis eines Gehirn-Screenings, das der Londoner aus dem digitalen Raum überführt hat, um eine dreidimensionale Figur zu gestalten. Dieses Objekt übernimmt die Bedingungen des menschlichen Körpers und gibt sie in reduzierter Form mechanisch wieder – was die Betrachter zunächst einmal ziemlich irritiert (Galerie Carl Kostyál, Stockholm/London).

Der in Kopenhagen lebende Stockholmer Oliver Sundqvist hat drei aufblasbare Großfiguren (nach dem kommerziellen Vorbild Tubemen oder Skydancer) auf dem Balkon der Tivoli-Konzerthalle installiert und lässt sie dort im Wind tanzen. Er konkurriert regelrecht und vor allem spöttisch mit dem Gaudium eines Rummelplatzes: Alles sehr aufregend, doch wehe die Luft ist raus (V1 Gallery, Kopenhagen).

Auf das traditionelle Sonntagnachmittagserlebnis im Tivoli mit den Großeltern rekurriert Jonathan Meese mit „Oma Starwars Opa“ nicht – leider nicht. Wie stets bedeutungsschwanger hat er eine Art kosmisches Darth-Vaderchen in ein ausrangiertes Kassenhäuschen gesetzt. Ausgestattet mit Hirtenstab und Lämmchen, mit schwarzer Maske und auf dem Kopf einem Wecker, soll es wohl die kindliche Unschuld symbolisieren (Bo Bjerggaard, Kopenhagen).

Sylvie Fleury variiert mit dem dreieinhalb Meter hohen „First Spaceship on Venus“ aus Barbie-pink lackiertem Fiberglas ihr Anliegen, der Verhältnismäßigkeit von Geschlecht, Identität und Konsum ein populäres Gesicht zu geben (Anderson’s, Kopenhagen).

Auf der Kunstmesse

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In der Kunsthal Charlottenborg begrüßt die Besucher eine dicht gehängte Auswahl an Kunstwerken, die den Preisrahmen von 2000 Euro nicht überschreiten. Damit soll jungen Sammlern die Scheu vor dem möglicherweise vermuteten elitären Charakter dieser Messe genommen werden. Einerseits. Andererseits soll damit auch ein erster persönlicher Kontakt zu dem jeweiligen Galeristen hergestellt werden.

So lässt sich dann trefflich mit Börkur Arnarson von i8 (Reykjavík) über Ragnar Kjartanssons Salz- und Pfefferstreuer aus Porzellan diskutieren; „guilt“ steht auf dem einen, „fear“ auf dem anderen. Er hat derzeit eine große Ausstellung im unweit von Kopenhagen gelegenen Louisiana-Museum. Sein isländischer Galerist widmet ihm die gesamte Messekoje, mit Aquarellen, Drucken und seinem neuesten Video („Victim“, Edition von 6 Exemplaren, 75.000 Dollar).

Die Stockholmer Galerie Steinsland Berliner zeigt großformatige Gemälde von Leo Park, einem schwedischen Künstler mit internationalem Renommee. Mit „Bather“ thematisiert er ein Motiv der Moderne, beschreibt skulptural verschlungene Figuren mit zartem, vereinzelt tätowiertem Inkarnat an einem nordisch hellen, fast blassen Strand (12.000 Dollar).

Leo Park, „Bathing Scene III“, 2023
Leo Park, „Bathing Scene III“, 2023
Quelle: Courtesy of the artist and Gallery Steinsland Berliner, Foto: Olof Ringmar

Die Kopenhagener Galerie Bo Bjerggaard, Mitbegründer der CHART, widmet ihren Auftritt den Frauen respektive den Künstlerinnen und hier insbesondere dem Kuss, quasi als Phänomen mit höchst unterschiedlicher Triebkraft. Der Star unter den skandinavischen Künstlerinnen ist die Norwegerin Ida Ekblad mit ihren farbstarken Kompositionen, die ihre Affinität zu japanischen Anime aber auch heimischer Folklore spiegeln.

Auf der Messe ist sie lediglich bei Peder Lund (Oslo) mit der gusseisernen Adaption eines Ofens aus Großmutters Jugend vertreten. Anders als das Vorbild ist er mit zusätzlichen Etagen überhöht gebaut, die Seiten sind mit gegossenen Graffiti verziert, die umlaufende Bekrönung zitiert fein gearbeitete Anime-Motive (150.000 Dollar), ein schier endlos langes Ofenrohr verschwindet scheinbar in der Decke.

Vielleicht ein bisschen verkünstelt, auf jeden Fall mit überraschendem Ergebnis arbeitet sich das Künstlerpaar Inka & Niclas (Lindergård) an den Möglichkeiten des Mediums Fotografie ab. Sie übertragen großformatige elegische Landschaftsfotografien digitalisiert auf Stoff, der dann, zum elegant-barocken Faltenwurf arrangiert, gehärtet und glänzend zur Plastik mutiert (Dorothee Nilsson, Berlin).

Inka & Niclas, „SunsetPhotography IX“, 2023
Inka & Niclas, „SunsetPhotography IX“, 2023
Quelle: ©Inka&Niclas, Sunset Photography

Im Stadtteil Kødbyen

Dass man sich bei aller Konkurrenz dabei auf die Kooperation und gemeinsame Auftritte mit den Nachbarn besinnt, ist nicht nur eine lobenswerte, sondern sicherlich auch notwendige Voraussetzung. Etwa gleichzeitig mit der ersten Chart Art Fair eroberten Galerien und Künstler ein Areal mit ehemaligen Fleischverarbeitungshallen, benannten es nach New Yorker Vorbild begeistert Meatpacking District.

Dort in Kødbyen wirken sie mit einer zunehmenden Menge Restaurants und Bars, die den wiederum begeisterten Touristen gefallen. Mit Bedacht und mindestens genauso viel Kunst- wie Geschäftssinn wird man gerade im kleinen, sorgfältig kuratierten Rahmen das Niveau halten können. Der ausbaufähigen Popularität von Kopenhagens Bedeutung als Kunststadt steht offenbar nichts im Weg.

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