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Pop Duo Augn

„Was darf man eigentlich noch!“

Redakteur Feuilleton
„Menschen, die sich nichts verbieten lassen“: Augn, ein deutsches Duo „Menschen, die sich nichts verbieten lassen“: Augn, ein deutsches Duo
„Menschen, die sich nichts verbieten lassen“: Duo Augn
Quelle: AUGN/Arne Schramm
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Sie tragen Strumpfmasken, feiern das Mannsein und sympathisieren mit Systemkritikern im Osten. In Songs wie „Brandenburger Wolf“ und „Lügen“ gibt das Duo Augn dem Wutbürger eine Stimme. Wer sind die anonymen Trolle? Konzertbesuch in der Stadt, die sie hassen.

Es ist ein Mantra, eine Stunde lang läuft es vom Band: „Du wirst nicht viel bekommen für dein Geld.“ Was man bekommt beim Clubkonzert von Augn, einem Duo zweier anonymer Musiker, ist eine Bühne mit zwei Puppen, eine hält den Bass, die andere das Mikrofon, sie tragen Strumpfmasken wie Augn auf den wenigen Bildern, die von ihnen existieren. Manchmal wird das Mantra unterbrochen durch die Ansage: „Berlin ist scheiße.“

Wer auch immer Augn sind, woher sie kommen und vor allem, was sie wem mit ihren roh vertonten Wutausbrüchen sagen wollen – den Monarch in Kreuzberg haben sie für ihren ersten Auftritt in der Hauptstadt mit Bedacht gewählt. Der Club wirkt wie ein dunkles Hinterzimmer. Er befindet sich in einem Mietshaus am Kottbusser Tor, dem „Kotti“, wie die Zugezogenen ihren geliebten Brennpunkt nennen. Und es wird wieder geraucht. Als die Musik beginnt, stehen die Puppen und ihr Publikum im Nebel. Auch die 16 Stücke des bisherigen Gesamtwerks, des Debütalbums von Augn, es heißt „Du wirst sehen / Grauer Star“, laufen vom Band. Lieder wie „Berghain“, „Brandenburger Wolf“ und „Lügen“.

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Und wie „Vatertag“, der erste Song des Albums und des Abends: „Endlich mal wieder ein Mann sein, kann man ja heutzutage kaum noch, da wird gleich alles politisiert!“, schimpft der von Augn mit dem Mikrofon. Dazu bollert der Bass des anderen. Das Selbstmitleid des Sprechgesangs steigert sich zum Geschrei: „Was darf man eigentlich noch!“

Zu jedem ihrer Schlüsselstücke haben sie ein Amateurvideo gedreht. Im Film zu „Vatertag“ verstecken sie sich hinter Schweinsmasken und lassen sich im Kleinwagen von einer Klimaaktivistin über eine Landstraße in der Provinz ziehen. Das Autokennzeichen verortet sie in Görlitz, im Südosten Sachsens. Dort wird allerdings kein Vatertag gefeiert wie im Westen, sondern Herrentag.

Die Spurensuche nach den Künstlern hinter Augn scheitert Stück für Stück und Video für Video schon an ihrer Rollenpoesie. In „Vatertag“ brüllt der gekränkte Mann in seiner misogynen Blase. In „Bill Gates“ flüstert der Querdenker den Namen seines Feindes manisch wie ein Exorzist und bricht darüber in hysterisches Gelächter aus.

Vom Ich zum Du

Aber es kommen nicht nur herkömmliche Wutbürger zu Wort: In „Berghain“ findet sich ein junger Neuberliner orientierungslos am Samstagmittag vor dem Berghain wieder, während ihm am Telefon seine besorgten Eltern ins Gewissen reden. In „Deutschrap ist tot“ beschwert sich jemand stellvertretend für die Fanta-4-Generation: „Dieses ganze Gangstergetue und Mütterbeleidigen. Dann noch diese Waffenverherrlichung und das Zusammentun mit mafiösen Kreisen, sorry, das ist nicht mehr mein Deutschrap!“ Er wirbt für die CDU. „Jetzt müssen wir uns immer wie Opfer fühlen, weil wir scheißreiche Akademikerkinder sind!“

In „RTL“ bekennt sich jemand aus einem eher linksgrünen Milieu zum schmutzigen Vergnügen: „Geil, endlich wieder Dschungelcamp, mein Freundeskreis ist akademisch und auch gut belesen, aber ab und an muss man sich ja mal fühlen wie einer von den normalen Menschen!“ Es sprechen immer die, die gemeint sind.

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Einmal wechseln Augn aber doch die Perspektive. In „Very Sad Opfertyp“ wird aus dem Ich ein Du: „Du fühlst dich ausgegrenzt und verarscht wegen deinem Dialekt, überall werden Leute aus deinem Bundesland verarscht, ihr seid quasi die Witzfigur sämtlicher linksversiffter Mainstreammedien-Systemlingen, aber ihr haltet die Stellung und seid einfach so wie Menschen, die noch alles dürfen und sich nichts verbieten lassen.“ Auch hier spielt das Video im Osten, es zeigt einen aufgebrachten Dosenbiertrinker vor seinem renovierten Plattenbau. Sein singender Sympathisant, der Fürsprecher des Ostens, wird dabei zur dialektischen Figur. Der Ossi wird verzwergt zum allerletzten Aufrechten – und vorgeführt.

Gefeiert werden Augn als die deutschen Sleaford Mods. Wie bei den Sleaford Mods aus Nottingham schimpft einer in sein Mikrofon und einer programmiert die Bässe und die Beats dazu. Was bei den Briten „Tweet Tweet Tweet“ war, eine schäumende Tirade gegen die sozialen Medien, heißt bei Augn „Ficki Ficki“ und „Mein Arsch“, „Bitcoin“ und „Vintage“. Hohnhymnen auf Tinder, Instagram, das digitale Dasein überhaupt. „Irgendwie muss ich mein Social-Media-Game mal wieder pushen, irgendwie ganz schön wenig Impressionen in letzter Zeit, also laut meinen Insights, irgendwie find ich gehaltvollen Content voll important“, stellt der Sänger und Erzähler in „Mein Arsch“ fest und erklärt: „Ich hasse Hater, weil die immer nur am Haten sind.“

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Die Sleaford Mods sind analoge Hater, weil sie Moralisten sind. Augn sind Zyniker, die wissen, dass die digitale Öffentlichkeit die Figuren hervorgebracht hat, die sie spielen und denen sie ihre Stimme geben. Anonym und mit albernen Strumpfmasken, als musizierende Trolle und als Dummies auf der Bühne.

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Eingespielt werden sogar die Ansagen vor jedem Stück und der Applaus danach. „Jetzt wird aufgeräumt, unsere Regierung rüstet die Polizei auf Corsa-Streifenwagen um!“ „Die Sachsen haben Corona erfunden und lassen sich für eine Bratwurst impfen!“ „Tempo 30, das könnt ihr, Berlin!“ Augn sind eine Spaßguerilla des humorlosen Humors der paraöffentlichen Filterblasen. Gegen alles, gegen das Geraune und Gebrüll da draußen, gegen jeden eigentlich, der seine Weltsicht für die wahre hält: Es gibt sie noch, die Spießer, doch noch nie waren sie so divers wie heute.

So umschiffen Augn allerdings auch die Dilemmata ihrer Kollegen, die sich dem Protestlied neuen Typs verschrieben haben: Deichkind poltern nun seit 25 Jahren hedonistisch durch weit offene Türen („Auch im Bentley wird geweint“), bei Danger Dan singen auch Leute seine Lieder, die nie eingeladen waren („Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“).

Augn verschwinden hinter ihren ungeschliffenen Sounds und ihren vielen Stimmen. An die Wand des Clubs haben sie „CDU“ geschrieben, ungelenk mit Klebeband. Daneben stehen ihre starren Abgesandten. Und da tanzen sie grinsend und winkend selbst vor ihrer Puppenbühne und mischen sich unters Volk. Sie könnten auch Berliner sein.

Augn: „Du wirst sehen / Grauer Star“ (Isbessa Musik)

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