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Meinung Die Lieblinge der Deutschen

Pablo, Lovis, Egon und Max bleiben lieber unter sich

Stellv. Ressortleiterin Feuilleton
Bloß weg hier! Miriam Cahns „Mit Gepäck rennen“ von 2006 Bloß weg hier! Miriam Cahns „Mit Gepäck rennen“ von 2006
Bloß weg hier! Miriam Cahns „Mit Gepäck rennen“ von 2006
Quelle: VAN HAM Kunstauktionen/Sa a Fuis Photographie
Viel wird darüber geredet, dass die Stunde der Frauen schlägt. Ein Blick auf das Angebot der Auktionshäuser zeigt, wie weit besonders Deutschland davon entfernt ist. Warum Hannah, Dora und Sophie keine Rolle spielen, aber fürs 22. Jahrhundert vielleicht Hoffnung besteht.

Der internationale Auktionsmarkt ist sehr traditionsbewusst. Jahr für Jahr finden immer zur gleichen Jahreszeit die großen Versteigerungen statt, meist mit den immer gleichen Namen, die sich über die Jahrzehnte einen festen, oft unerschütterlichen Blue-Chip-Status erarbeitet haben, der den Sammlern sichere Rendite verspricht. Jetzt war wieder Showdown in New York mit den Frühlingsauktionen bei Christie’s, Sotheby’s, Phillips und Co. Trotz der für die Händler unsicheren Zeiten fielen die Ergebnisse solide aus: Jean-Michel Basquiats „El Gran Espectaculo (The Nile)“ von 1983 brachte bei Christie’s 58 Millionen Dollar. Louise Bourgeois’ „Spider“ von 1996 erzielte bei Sotheby’s mit 30 Millionen Dollar einen Rekord für die Künstlerin.

Wie aber sieht der deutsche Markt aus, wo jetzt die wichtigen Wochen für Van Ham und Lempertz in Köln, Ketterer in München und Grisebach in Berlin anstehen? Sind die Künstlerinnen hier auch vorn mit dabei? Zum Vergleich: Van Ham bietet eine unbetitelte Bronzeskulptur von Louise Bourgeois aus dem Jahr 2006 (aus einer Edition von sechs Exemplaren) für 100.000 bis 150.000 Euro an. Konkurrieren hier Männer und Frauen wie in New York Basquiat und Bourgeois? Ketterer, Grisebach und Van Ham in Köln sind selbstbewusst genug, eine eigene Versteigerung „Ausgewählter Werke“ anzubieten, wie es seit jeher bei Grisebach heißt; Lempertz nutzt den internationalen Titel „Evening Sale“.

45 Lose, 2 Künstlerinnen

Den Anfang macht am 1. Juni Grisebach mit 45 Losen – tauchen wir also ein in das Best-of. Doch schnell gerät man ins Stocken, man liest nun von und über Hans, Pablo, Lovis, Egon, Max, Lyonel, Norbert, Franz, Günther, Theo, Sigmar, Per, Peter, Karl, Gerhard, Anselm, Imi und Emil. Ein schönes Rätsel kann man hier spielen rund um den Männerkanon. Lovis Corinth? Gerhard Richter? Nur Paula (Modersohn-Becker) und Hannah (Höch) dürfen sich in diesem Kreis beweisen – und verdienen anscheinend die besondere Aufmerksamkeit.

Hannah Höchs Gouache „Seltsame Vögel“ von 1924/25 für 20.000 bis 30.000 Euro
Hannah Höchs Gouache „Seltsame Vögel“ von 1924/25 für 20.000 bis 30.000 Euro
Quelle: © VG Bild-Kunst, Bonn 2023/Grisebach GmbH

Hannah Höchs „Seltsame Vögel“ von 1924/25 (Schätzpreis 20.000 bis 30.000 Euro) stechen dabei so manchen anderen Künstler aus. Ihre Singularität wird im Katalog durch viele Zeilen über ihre Männer betont: „(Kurt) Schwitters sollte für die Texte und die ganze Merz-Dramaturgie verantwortlich zeichnen und Höch die Ausstattung und Figurinen beisteuern.“ Das angebotene Blatt zeigt diese faszinierenden Figurinen, ihre Einzigartigkeit als Wesen zwischen Vogel und Mensch, ihre emotionale Ausdruckskraft, ihr Bemühen, nicht von der Stange zu fallen. Das Projekt wurde leider nie umgesetzt, die Gouache aber bleibt als Zeugnis einer der feingeistigsten Künstlerinnen der Moderne.

Künstlerinnen von Anfang des 20. Jahrhunderts wie sie wurden in den vergangenen Jahren zu Dutzenden wiederentdeckt und mit Ausstellungen gewürdigt – der Markt aber entwickelt sich sehr schleppend, die Nachlässe werden erst aufgearbeitet, die Sammler müssen noch gefunden werden.

Wagen wir also lieber einen Blick in den Katalog zur Gegenwartskunst, die bei Grisebach am 2. Juni versteigert wird: Los 1 ist Sophie Hellermanns Gemälde einer trotzigen jungen Frau, die eine Cola-Dose wegschießt (6000 bis 8000). Das Bild drückt die Widerspenstigkeit aus, mit der sich viele Künstlerinnen erst in den Markt drängen müssen.

Sophie von Hellermanns Gemälde „Ohne Titel“ von 2000 für 6000 bis 8000 Euro
Sophie von Hellermanns Gemälde „Ohne Titel“ von 2000 für 6000 bis 8000 Euro
Quelle: © Grisebach GmbH

Und man wird nun fündig mit Dora Maurer (Jahrgang 1937), deren 13-teilige Frottage-Mappe „hidden structures“ von 1979 (35.000 bis 45.000) entfernt an Hermann Glöckner erinnert. Ähnlich wie bei Geta Bratescu, bewegt sich ihr feines Werk jedoch zwischen Formalismus und Performance, Film und Fotografie. Vertreten ist auch die Malerin Cornelia Schleime mit einem traurigen Hund, „Der Melancholiker“ von 2005, der einen Hasen im Maul trägt (15.000 bis 20.000). Diese Beispiele können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass von 127 Losen nur 15 von Frauen sind. Das alle Grisebach-Auktionen überstrahlende Spitzenlos kommt von einem alten Bekannten, Lyonel Feininger. „Trompetenbläser im Dorf“ von 1915 aus dem Nachlass des Künstlers soll zwei bis drei Millionen Euro bringen.

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Es wäre jedoch unfair, das Vornamen-Spiel nur mit den Berlinern zu treiben. Bei Van Ham sieht es am 5. Juni nämlich nur unwesentlich besser aus. Eine Auswahl: Sigmar, Günther, Paul, Otto, Franz, Wolfgang, Norbert, Erich, Egon, Thomas, Heinrich, Alexander, Hermann, Emil und Karl. Von 54 angebotenen Losen sind fünf Werke von Künstlerinnen: Miriam Cahns großartiges Gemälde „Mit Gepäck rennen“ (90.000 bis 130.000) oder Sheila Hicks dekorative Wollarbeit (50.000 bis 70.000).

Erfreulich, dass mit „Eine feine Gesellschaft“ von 1997 ein Werk von Ursula auf den Markt kommt (25.000 bis 35.000). Die Autodidaktin, 1999 in Köln gestorben, wird dort zurzeit vom Museum Ludwig mit einer Retrospektive geehrt (bis 23. Juli). Ihr Auktionsrekord liegt bei rund 32.000 Euro mit Aufgeld, versteigert bei Sotheby’s in Paris 2021, für ein vergleichbares Bild. Katharina Fritschs 20 Zentimeter große Kunststoff-„Fliege“ von 2000 entstand außerhalb der Auflage von zehn und soll 50.000 bis 70.000 Euro kosten.

62 Lose, 5 Künstlerinnen

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Lempertz und Ketterer fehlen nun noch, um ein vollständigeres Bild des Status von Künstlerinnen in deutschen Auktionen zu zeichnen. Katharina Grosse (Jahrgang 1961) gehört zu den teuersten deutschen Künstlerinnen. Ihr fast vier mal fünf Meter großes, wie immer poppig-abstraktes Gemälde von 2008 aus Acryl und Sand soll bei Ketterer im Evening Sale am 9. Juni 150.000 bis 200.000 Euro kosten. Die Münchner erzielten vor zwei Jahren für kleinere bunte Kreisen von ihr 500.000 Euro.

Die Schätzung ist also nicht ganz unrealistisch. Ähnliches gilt für Karin Kneffel, die gleich mit drei Werken vertreten ist. Lichtdurchflutet sind ihre knackigen, hyperrealen grünen Weintrauben (100.000 bis 150.000). Nicht weit von diesem Preis entfernt, bewegen sich die „Heuhocken im Moos“ von Gabriele Münter (140.000 bis 180.000), die gemeinsam mit einem der berühmten frühen Filmstills von Cindy Sherman aus dem Jahr 1978 (80.000 bis 120.000) den Reigen abschließen. Fünf Künstlerinnen sind unter 62 Losen auszumachen. Die Spitzenlose stellen sie jedoch nicht. Hermann Pechsteins „Die Ruhende“ von 1911 zeigt eine schlafende Frau im Bett und ist auf 1,2 bis 1,8 Millionen Euro geschätzt.

Karin Kneffels Weintrauben ohne Titel von 2001 für geschätzte 100.000 bis 150.000 Euro
Karin Kneffels Weintrauben ohne Titel von 2001 für geschätzte 100.000 bis 150.000 Euro
Quelle: © Ketterer Kunst GmbH und Co. KG/VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Im Evening Sale der Modernen und Gegenwartskunst bei Lempertz am 6. Juni kann man Gabriele Münter wiederbegegnen; ihr etwas farbgieriger „Blick aufs Gebirge mit Gelber Wolke“ von 1934 wird für 250.000 bis 300.000 Euro angeboten. In Köln zählt man bei 97 Losen insgesamt immerhin zehn Künstlerinnen: Bekannte Namen sind Niki de Saint Phalle und ihr „Fontaine aux quatre Nanas“ von 1974/1991 (350.000 bis 400.000) und Yayoi Kusamas „Fisch“ von 1988 (25.000 bis 35.000). Einen näheren Blick in den Katalog lohnt auch Dadamainos „Volume“ von 1959 für geschätzte 25.000 bis 30.000 Euro. Hohe Zuschläge für sie liegen schon etwas zurück, etwa 2017 im Dorotheum mit rund 200.000 Euro, aber 2021 brachte ein „Volume“ bei Christie’s in Paris durchaus 100.000 Euro und übertraf so die Erwartung bei Weitem.

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Mit Blick auf diese Auktionsangebote zeigt sich wieder, wie wenig präsent die Künstlerinnen immer noch in Deutschland sind, wie aufwendig es aber auch für die Auktionshäuser ist, die Werke und die Sammler, die jetzt schon verkaufen wollen, zu finden. Sheila Hicks ist sicherlich ein Beispiel für eine Künstlerin, deren Markt sich in Deutschland erst entwickelt. Miriam Cahn hingegen hat ihre festen Sammler. Den Rekord für ihr Gemälde „Das genaue Hinschauen“ von 2018 hält Sotheby’s in London seit dem März 2023 mit 584.200 Pfund mit Provision.

Gabriele Münters „Heuhocken im Moos“ um 1930, geschätzt auf 140.000 bis 180.000
Gabriele Münters „Heuhocken im Moos“ um 1930, geschätzt auf 140.000 bis 180.000
Quelle: © Ketterer Kunst GmbH und Co. KG

Ist also die Lage international für Künstlerinnen so viel besser? In New York wurden in der Abendauktion mit Moderner Kunst bei Sotheby’s im Mai nur drei Frauen (Eli Nadelman, Berthe Morisot und Georgia O’Keefe) gezählt, bei Christie’s beim gesamten 20. Jahrhundert nur fünf.

Interessant aber wird es dort im 21. Jahrhundert, das in deutschen Auktionshäuser schwächer besetzt ist: Der Evening Sale bei Christie’s im Mai bot beispielsweise 14 Frauen bei 28 Losen an: Simone, Cecily, Robin, Vija, Yayoi, Barbara, Louise, Miriam, Danielle, Lynette, Etel, Rebecca, Emma, Diane. Im 22. Jahrhundert könnte also das Namenraten endlich für alle funktionieren.

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