Ein Mann ist viel allein mit sich. Im Spiegelbild starrt ihm sein eigener Geist entgegen, während draußen vor der Tür die lebenden Toten schreiend durch die Straßen stürmen. Er sieht ihnen durch die Jalousien zu und singt: „Ich weiß, ich müsste sie umarmen, sonst werd ich schon bald wie sie.“ Sein Lied heißt „Gegengift“, eines von elf Liedern auf seinem Album „Love Songs“.
Peter Fox ist wiederauferstanden. 14 Jahre ist es her, dass der Berliner Sänger Pierre Baigorry seine Figur für tot erklärt und mit ihr ihre Reinkarnation als „Stadtaffe“ beerdigt hatte. In nur einem Jahr war dieser Peter Fox durch eine einzige Platte über das Berlin der späten Nullerjahre zu einem monströsen Star im deutschen Popmusikgeschäft geworden. Wenn er über seine Stadt als liebenswertes Rattenloch und anziehenden Affenkäfig sang, fühlten sich alle als Berliner. Eingeborene, Zugezogene, Gelegenheitsbesucher.
Er sang auch über sein „Haus am See“, eine Fiktion des bürgerlichen Lebens, Zehlendorf statt Kreuzberg, die es bis ins Repertoire von Heino schaffte – und die Peter Fox in seinem zweiten Leben lieber ungeschehen machen würde: Es geht nicht darum, wo jemand wohnt, sondern um seine Sicht von dort auf diese Welt und auf sich selbst.
So ist der Peter Fox mit seinem Album „Love Songs“, das die Liebe und das Liedersingen feiert, um den Zeitgeist zu entgiften, zwangsläufig ein anderer. Ein 51 Jahre alter Mann, der morgens Schmerztabletten braucht und abends eine Beißschiene zum Schlafen (in „Ein Auge blau“). Und der im Song „Vergessen wie“ nicht mehr weiß, wie seine Stadt lebt, weil er sich in seine Einsamkeit zurückgezogen hat. In „Gegengift“ verschanzt er sich: „Und ich bleib hinter meinen Barrikaden.“ Davor laden alle ihren Müll ab, ihre Wut.
Die Wut der anderen
Der Mann, in den sich Peter Fox verwandelt hat, besingt die Stimmung in den 20ern des 21. Jahrhunderts und findet den Sound dagegen. Reggae, Dancehall, Hip-Hop, Afro Drill und Amapiano. Seine Musiker und er spielen verschiedene Updates der hybriden Stücke seines Albums „Stadtaffe“, die bereits Updates der Musik von Seeed waren, der Band um Pierre Baigorry. Die West- und Ost-Berliner Ska- und Reggaeszene hatte in den 80ern und 90ern die Stadt geöffnet und geprägt. Aus Subkulturen wurden Lebensstile und aus Songs wie „Dickes B“ von Seeed und „Schwarz zu blau“ von Peter Fox die Tonspuren mit ihren klingenden Klischees dazu.
Als Peter Fox sich im vergangenen Herbst mit „Zukunft Pink“ zurückmeldete, seinem ersten Stück für ein in Aussicht stehendes zweites Album, war seine Musik für einige kein multikultureller Beitrag zum urbanen Leben mehr. Sondern das beste Beispiel einer unverschämten kulturellen Aneignung. Bezichtigt hatte ihn der Aktivist Malcolm Ohanwe: Peter Fox bereichere sich an einer Musik, die einer marginalisierten Minderheit gehöre, den People of Color, denen es passieren könne, dass ihnen die deutschen Clubs den Zutritt zu ihrer gestohlenen Musik auch noch verweigerten.
In „Zukunft Pink“ ist eine digitale Schlitztrommel der Audiosoftware Fruity Loops zu hören wie im Amapiano, einer aktuellen House-Variante aus Südafrika. Die Wut könne er schon verstehen, sagte Peter Fox in „Titel, Thesen, Temperamente“ in der ARD, aber er sei der falsche Adressat: „Mann, ich bin Alliierter!“
Irritiert fand sich die Stimme der Berliner Allerweltsmusik in einer unentwirrbaren Debatte wieder, die sich vordergründig um Dreadlocks auf hellhäutigen Köpfen drehte. Peter Fox stand plötzlich zwischen denen, für die er immer zu singen glaubte – und einer Fraktion, mit der er nie etwas zu tun hatte, die blonde Dreadlocks bisher für kulturfremd hielt, die nun entschieden afrodeutsche Sounds verteidigte und ihm als Opfer einer woken Cancel Culture beisprang. Als könnte sich die Musik mit ihrer kompliziert postkolonialen und popkulturellen Aneignungsgeschichte nicht selbst wehren.
„Love Songs“ ist das Album, mit dem Peter Fox die eine Seite, die sich von allem bedroht fühlt, was die andere, die sogenannte woke Seite sagt und tut, mit elf lässigen Liedern in die Schranken weist. „Ich wasch die Kriegsbemalung ab, das Wasser wird rot“, singt er in „Weiße Fahnen“, gleich nach „Gegengift“. Die andere Seite, die der Aneignungsankläger, bittet er um Nachsicht. Er, der ältere, rothaarige Mann, macht weiter afrikanische, karibische, globale Popmusik auf Deutsch und aus Berlin, auch wenn er heute vielleicht mehr darüber nachdenkt.
Er verlässt wieder das Haus und tanzt durch seine Stadt. In „Celebration“ stellt er fest: „Bin innen gut wie Winnetou.“ Sein Winnetou ist nicht der kriegerische Winnetou zwischen den Fronten im Kulturkampf, er ist einfach nur eine Figur wie Peter Fox als Sänger, einer von den Guten: „Alle malen schwarz, ich seh die Zukunft pink, wenn du mich fragst, wird alles gut, mein Kind.“
Es wird, sagt Pierre Baigorry, zugleich sein letztes Album sein als Peter Fox.