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  4. Isabella Rossellini: „Es geht um das Überleben der Gütigsten.“

Theater Isabella Rossellini

„Der Gütigste ist der Stärkste“

Freier Mitarbeiter im Feuilleton
Isabella Rosellini spielt „Darwins Lächeln“ in Hamburg Isabella Rosellini spielt „Darwins Lächeln“ in Hamburg
Isabella Rosellini spielt „Darwins Lächeln“ in Hamburg
Quelle: Sophie Boulet via. Kampnagel Internationale Kulturfabrik
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Isabella Rossellini ist Schauspielerin. Legendär ist ihr Auftritt in David Lynchs „Blue Velvet“. Autorin ist sie auch. Und Verhaltensforscherin. In ihrem Stück „Darwins Lächeln“ kommt jetzt alles zusammen. Sie erforscht das Universale der Gefühle.

Wie fühlt sich ein Huhn, wenn es zum ersten Mal ein Schaf sieht? Man wird es vermutlich nie wissen können. Wenn allerdings Isabella Rossellini ein verstörtes Huhn spielt, das zum ersten Mal ein Schaf sieht – von der plötzlichen Schockstarre bis zum aufgeregten Blick zum Nebenhuhn mit der Frage im Gesicht: „Siehst Du auch, was ich sehe?“ –, kann man eine Ahnung bekommen, wie es um das Hühnergefühlsleben beim Anblick von Aliens wie diesem bestellt ist. Es wirkt irgendwie sehr menschlich.

Doch Vorsicht, bloß nicht anthropomorphisieren! Davor wurde, so erzählt Rossellini, an der Universität immer gewarnt. Anthropomorphismus ist so etwas wie die kulturelle Aneignung der Verhaltensbiologie. Doch als Schauspielerin ist Rossellini gewohnt, sich in andere hineinzuversetzen. Warum nicht auch in die Tiere?

In ihrer Kurzfilm-Serie „Green Porno“ spielte sie das munter-groteske Geschlechtsleben von Schnecken, Bienen, Hamstern, Spinnen und Fischen. In ihrem neuen Bühnenstück „Darwins Lächeln“ geht es eben um Hühner, Gefühle und Charles Darwin, der die Evolutionstheorie in aller Welt berühmt machte.

Die erste Erkenntnis des Abends lautet: Rossellini kann ein Huhn spielen. Und das Publikum ist um keinen Deut weniger gebannt wie einst Kyle MacLachlan, als sie mit verführerischem Blick und rückenfreiem Zauberkleid „Blue Velvet“ in David Lynchs gleichnamigen Kultfilm säuselte.

Zweite Erkenntnis: Rossellini weiß, wovon sie redet. Nach ihrer Karriere als Schauspielerin und Model machte sie einen Abschluss in Biologie. Genauer gesagt in Ethologie, also der Wissenschaft, die das Verhalten der Tiere untersucht. „Ich wurde mit einer Liebe zu Tieren geboren“, sagt sie gegenüber WELT. „Und ich habe mich schon immer für Tiere interessiert, vor allem für das Verhalten von Tieren.“

„Meine Hühner und ich“

Die Gelegenheit, Hühner und andere Tiere in ihrem Alltag zu beobachten, hat sie an ihrem Wohnort in der Nähe von New York. „Ich lebe auf einem Bauernhof mit vielen Tieren“, erzählt Rossellini. „Ich finde sie faszinierend, amüsant und interessant, sie bringen mich zum Staunen.“

Vor ein paar Jahren veröffentlichte sie ein Buch mit dem Titel „Meine Hühner und ich“ mit eigenen Texten und Zeichnungen. Es ist ein Zeugnis von menschlicher Verwunderung und Belustigung im Angesicht einer vielfältigen Tierwelt. Und etwas davon möchte Rossellini auch mit ihren Bühnenabenden weitergeben.

Wie soll man es nennen, was Rossellini mit „Darwins Lächeln“ geschaffen hat? Eine Collage oder einen Bühnenessay? Es ist ein ungeheuer gewitzter und kurzweiliger, dabei aber auch kluger und durchdachter Abend, den Rossellini bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen erstmals in Deutschland präsentiert. Nach einem Abstecher zu den Filmfestspielen nach Cannes zeigt sie „Darwins Lächeln“ am Wochenende noch in Hamburg, weitere Termine bis Anfang kommenden Jahres sind im deutschsprachigen Raum bereits geplant.

Der Clou von „Darwins Lächeln“ ist, dass Rossellini die Evolutionstheorie mit der Geschichte der Fotografie, des Films und der Schauspielerei zusammenbringt. Sie springt von den Fotografien, die Darwin in seinem Buch „Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren“ verwendet, zur Filmleidenschaft ihres Vaters Roberto Rossellini, sie gibt eine prägnante Einführung in die gestische Verständigung im Italienischen und synchronisiert alte Stummfilme neu, sie zeigt eigene Kinderfotos und -filme, sie erzählt von ihren Shootings für die „Vogue“-Titelseiten und den Dreharbeiten ihrer Mutter Ingrid Bergman zu „Casablanca“.

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Wie Darwin will Rossellini dem Universalen der Gefühle auf die Spur kommen. „Darwin fragte sich, warum bestimmte Ausdrücke des Menschen auf der ganzen Welt verstanden werden, wir lächeln bei Freude, zittern bei Angst oder Wut, weinen bei Trauer, erröten bei Scham, die Nase kräuseln bei Ekel“, sagt Rossellini. Und Darwin beobachtete, dass Tiere sich ähnlich verhalten. Haben Tiere auch Gefühle? „Bis heute hat die Wissenschaft keine genaue Antwort auf die Frage der Emotionen, aber sie gesteht den Tieren Emotionen zu, was lange geleugnet wurde“, antwortet Rossellini.

Darwin machte in der Evolutionstheorie keinen Unterschied zwischen Tieren und Menschen, er vermutete sogar, dass Affen und Menschen gemeinsame Vorfahren haben. Wenig verwunderlich also, dass er auch beim „Ausdruck der Gemütsbewegungen“ vor allem nach dem Gemeinsamen suchte. Doch wie verträgt sich die Evolution der Gefühle mit den von Darwin proklamierten Regeln der „natürlichen Selektion“ und dem „survival of the fittest“?

Dieses Problem zeigte sich ausgesprochen deutlich mit einem besonderen Huhn: dem Pfau mit seinen hübschen Federn. Auch den Pfau spielt Rossellini an diesem Abend – mit passendem Kostüm, das Beifall auf sich zieht.

Darwin löste die Sache mit dem Pfau so, dass er neben der „natürlichen Selektion“ noch die „sekundäre sexuelle Selektion“ einführte. Das „survival of the prettiest“ nannte es der Literaturwissenschaftler Winfried Menninghaus einmal, der eine evolutionäre Ästhetik skizzierte. Mit dem Pfau bekommt auch die Kunst ihren Platz in der Evolution.

„Freundlichkeit ist der Schlüssel“

Und überhaupt, so sagt Rossellini, dürfe man das „survival of the fittest“ nicht als Durchsetzen der Stärksten und Aggressivsten begreifen. „Die heutige Ethologie begreift das Tier als Teil einer sozialen Gruppe. Sie zeigt, dass Kooperation, Freundlichkeit und Altruismus der Schlüssel sind. Der Stärkste ist der Freundlichste, es geht also um das Überleben der Gütigsten.“

So charmant „Darwins Lächeln“ durchs Anekdotische gleitet, es hat doch einen höheren Sinn. Es geht um das „survival of the kindest“ und um die Empathie als evolutionären Vorteil. Und was ist die beste Übung in Empathie?

Man kann es sich denken – die Kunst und das Schauspiel. Sie lehren – ohne Scheu vorm Anthropomorphismus! – die Einfühlung selbst dann, wenn das Gegenüber ein Huhn oder ein Pfau ist (was ja sprichwörtlich selbst unter Menschen vorkommen soll).

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Schönheit, Täuschung und Verstellung sind nicht die Abweichung einer Evolution der Gefühle, sondern die Art der Variation und Mutation, die sie im Gang halten. Das Theater ist eine Schule der Empathie, sogar artenübergreifend. Zum Schluss ruft Rossellini dem Publikum noch überschäumend empathisch zu: „Ich liebe euch, und ich möchte mein Leben mit euch verbringen!“

Die so geschmeichelten Zuschauer lassen sich nicht bitten, es folgt tosender stehender Applaus – für die Hühner und die Pfauen, vor allem aber für die große Schauspielerin Isabella Rossellini, die all das so wundervoll auf die Bühne bringt.

„Darwin‘s Smile“ ist am 27. Mai 2023 im Hamburger Kampnagel zu sehen.

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