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Kultur „Tatort“ München

Die Silberrücken, sie leben hoch

Redakteur Feuilleton
Zu zweit unter Gamern Zu zweit unter Gamern
Zu zweit unter Gamern
Quelle: BR, Bavaria Fiction GmbH
Im „Tatort“ gehen die Generationen gern aufeinander los. Das lässt sich nicht vermeiden. „Game Over“ schickt Münchens „Tatort“-Team, die Altherren-Ermittler des Sonntagabendkrimis, in die Szene der Gamer. Reality und Realität spiegeln sich. Kann das gut gehen?

Dass zwei Generationen sich im Sonntagabendkrimi aneinander reiben, lässt sich inzwischen in den seltensten Fällen wirklich vermeiden. Die zunehmende Geriatrifizierung des „Tatort“ führt immer dann geradezu zwangsläufig dazu, dass sich über einer oder mehrere Leichen beide Seiten eines gewaltigen Generationsgaps anschauen, wenn sich Drehbuchautoren des kriminellen Potentials einigermaßen zeitgenössischer Phänomene annehmen. Oder – zum höheren Zwecke der Gewinnung jüngerer Zuschauerschichten – den Auftrag dazu erhielten.

Hätte es nicht die einigermaßen radikale und sehr mutige Verjüngung an den Rändern der „Tatort“-Landschaft gegeben, in den kleinsten Sendeanstalten, in Bremen und im Saarland, die beinahe komplette Ermittlerschaft könnte, würde man den mittlerweile verschollenen Kommissar Nick Tschiller des 59-jährigen Til Schweiger mitrechnen und das Renteneintrittsalter für Fluglotsen für Fernsehkommissare in Anwendung bringen, in den Ruhestand geschickt werden. Das Durchschnittsalter nähert sich der Mitte der Fünfzig.

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Manchmal – wie in der Schwarzwald-Episode in der vergangenen Woche, die so plakativ „Das geheime Leben unserer Kinder hieß“ und mit bräsig altväterlichem Blick auf diese seltsame Jugend von heute schaute – ist das erzählerische Reiben der Generationen erhellend wie ein feuchtes Feuerholz, dass man an einem Schächtelchen entlang streicht.

Da grummelte der 54-jährige Hans-Jochen Wagner als Kommissar Frieder Berg angesichts der digitalen Verdienstmöglichkeiten, von denen die jungen Leute heute Gebrauch machen und Millionen in Minuten erwarten, vor sich hin, dass bloß „wir Grasdackel“ (will sagen, wir alten Säcke, wir Boomer) es heute noch mit ehrlicher Arbeit versuchen. Aus der Haltung kam der Schwarzwald-„Tatort“ anschließend keine Sekunde mehr heraus.

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Dass die Münchner Kollegen – Durchschnitt (nach dem Alter von Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl gemittelt, die seit 92 Fällen Batic und Leitmayr sind ) 66 Jahre – um das alles wissen, um das Alter und die Gefahr der selbstgefälligen Bräsigkeit, machen Lancelot von Naso, der sehr sorgfältig und ausdrucksstark und feinfühlig Regie führte in „Game Over“, und die beiden brutal guten Drehbuchautoren Stefan Holtz und Florian Iwersen gleich ganz am Anfang klar.

Eine Halle hatte gepulst und getobt, während auf gigantischen Bildschirmen Ballerspiele betrieben wurden. Eine junge Polizistin war auf einer ziemlich idyllischen Landstraße vor der Stadt erschossen worden – Polizeikontrolle, ein Rücklicht ging nicht an einem alten Benz.

Und dann stand der Kollege Leitmayr – warum spielte keine Rolle – im Tierpark Hellabrunn einem Großprimaten gegenüber, Silberrücken schauten sich an. Da wird Leitmayr zum Tatort gerufen, der Gorilla geht ab.

Der Dackel vom Hackl

Selbstironie kann so wunderbar sein. Vor allem, wenn sie sich wie ein roter Faden durch das ganze von künstlichem Licht beflackerte Dunkel dieser Geschichte zieht. Es kommt zum Beispiel noch der Ludwig vor, das ist der Dackel vom Hackl, der, weil der Hackl ja seit dem Ende des letzten Falles tot ist, ein neues Herrchen braucht, die letzte Hundepflegefamilie hat ihn wieder zurückgegeben – weil er zu alt sei. Hätten die Kinder gesagt.

Aber wir schweifen ab. Was sich die Geschichte nicht leistet. „Game Over“ verliert von Anfang an keine Zeit, ist einer der gradlinigsten, geradezu altmodisch dramatisiertesten Sonntagabendkrimis der letzten Zeit. Es geht natürlich nicht um Gorillas (um die Beweglichkeit von Silberrücken schon, aber davon später vielleicht mehr), sondern um Gamer. Und um die Polizei. Und um Gier und Geld und Macht – „Game Over“ ist ein klassischer „Tatort“ im Glitzergewand einer Gamer-Geschichte.

Oskar Weber (Yuri Völsch) ist Star unter den Gamern
Oskar Weber (Yuri Völsch) ist Star unter den Gamern
Quelle: BR, Bavaria Fiction GmbH
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Der Benz wird nicht sehr viel später ausgebrannt gefunden, ein verbrutzelter Kriminal-Kollege liegt im Kofferraum. Man scheint ihn gefoltert zu haben. Die Polizistin hatte auf dem Weg in den OP, den sie lebend nicht mehr verlässt) noch „KOL“ auf den Handschuh einer Schwester gekritzelt. Der tote Polizist führte von einem sündhaft teuren Appartement aus ein viel zu teures Leben.

Eine sinistre Gamergruppe namens „Munich Sheriffs“ macht sich verdächtig. Sie haben Counter Strike gespielt, ein Shooter Spiel, das selbst Leitmayr noch was sagt, so alt ist es. Ein Up-Coming-Supergamer namens Oskar hilft – angebetet von Kalli Hammermann, dem Assistenten der Silberrücken – bei der Identifizierung der lächerlichen Pseudonyme, mit denen die Sheriffs bei Counter Strike antreten.

Beiläufigkeit ist ein Tugend

Keine Angst, es wird alles erklärt, was für alle durchschnittlich alten linearen „Tatort“-Zuschauer zur Nachverfolgung der Ermittlung nötig ist. Allerdings auf eine „Tatort“-untypische Art: beiläufig, immer eingeflochten in den Fortgang des Falls, unter weitgehender Vermeidung der immer hochnotpeinlichen Erklärbärdialoge.

Im ständigen und für das Alter der Ermittelnden erstaunlich raschen Fluss der Erzählung werden alle Gaming-relevanten Themen gestreift. Wann Sucht beginnt, was eigentlich – wenn man gut darin ist – gegen Gaming spricht, Cellisten üben ja auch hunderte von Stunden an einer schwierigen Passagen, was ist soziopathischer Jugend Musiziert oder eine Gaming-Meisterschaft.

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Reality und Realität spiegeln sich. Die Kommissare jagen – naja – durch echte Flure wie Counter-Striker durch elektronische Gänge. Analoges Wissen – wo ist eine Fahrgestellnummer, wie krieg ich von außen eine Balkontür auf – wird auf Augenhöhe gegen digitales ausgespielt. Nichts ist von flachwitziger Klischiertheit, nichts von Altherrenarroganz.

Am Ende wird das digitale Neuland, die neue Welt, von denselben menschlichen Grundanlagen und -trieben und -bedürfnissen regiert und ins Böse verkehrt wie die alte – von Macht und Gier und Geld. Für deren tödliche Folgen in der realen Welt bleiben halt die Batics und Leitmayrs zuständig. Die Silberrücken, sie leben hoch! Und lang.

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