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  3. Israel: Eva Illouz und ihr Buch „Undemokratische Emotionen“

Kultur Soziologin Eva Illouz

„Der jüdische Universalismus muss wiederbelebt werden“

Lehrt Soziologie in Jerusalem: Eva Illouz Lehrt Soziologie in Jerusalem: Eva Illouz
Lehrt Soziologie in Jerusalem: Eva Illouz
Quelle: picture alliance / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt
Die israelische Soziologin Eva Illouz hat ein Buch über den Populismus in ihrer Heimat geschrieben. Bewirtschaftet die Netanjahu-Regierung „undemokratische Emotionen“? Oder ist die Israel-Kritik ihrerseits populistisch? Warum man genau hinsehen sollte.

Vier Emotionen, die Demokratien unterminieren können: Angst, Abscheu, Ressentiment und (etwas überraschend in diesem Quartett) Liebe. In ihrem neuen Buch „Undemokratische Emotionen“ beschreibt die renommierte französisch-israelische Soziologin Eva Illouz, wie anhand von Gefühlen und Stimmungen Politik gemacht wird – in diesem Fall „undemokratische“ Politik. Was aber, wenn diese Politik das Resultat demokratischer und freier Wahlen ist?

Die an der Hebräischen Universität in Jerusalem lehrende Autorin macht gleich zu Beginn deutlich, welchen Begriff von (repräsentativer) Demokratie sie hat. Sie sieht darin ein System der Gewaltenteilung und des institutionellen Minderheitenschutzes, – etwas, das sich nicht in der Herrschaft einer temporären Mehrheit erschöpft. Völlig zu Recht konstatiert Illouz, dass fragile liberale Demokratien selten durch einen dramatischen Putsch zerstört werden, sondern dass sie eher langsam dahinsiechen. Etwa durch parlamentarisch durchgesetzte Einschränkungen der Pressefreiheit und richterlicher Autonomie, durch „Wahlkreisreformen“, die allein der stärksten Partei nützen, und dergleichen mehr. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hat ein solches System selbstbewusst als „illiberale Demokratie“ beschrieben, ein Ziel, an dem auch die regierende polnische PiS-Partei arbeitet und nicht wenige trumpistische US-Republikaner.

Weshalb aber sollte das gegenwärtige Israel paradigmatisch für solche Entwicklungen sein? Bedient Illouz hier nicht das seinerseits populistische Argumentationsmuster eines weltweit hasserfüllt agierenden Antizionismus, der Israel in eins setzt mit der Netanjahu-Regierung und diesen als spiritus rector aller neorechten Gestalten von Trump bis Bolsonaro darstellt? Ist es nicht eher so, dass sich der alerte Benjamin Netanjahu von den Illiberalen im Ausland inspirieren lässt, um das seit jeher demokratische und heterogene Israel auf Linie zu bringen?

Eva Illouz – und das macht die argumentative Schwäche ihres mitunter allzu schematischen Buchs aus, spricht zugleich aber auch für die Redlichkeit und Fairness der Verfasserin – führt genügend Gründe an, die das „Beispiel Israel“ genau nicht exemplarisch machen: „Angesichts der beträchtlichen Menge äußerer Konflikte und innerer Spannungen, die diese junge Demokratie erlebt hat, haben sich ihre Institutionen verblüffend lang als erstaunlich und außergewöhnlich stabil erwiesen (wobei sie nun unter dem Angriff der populistischen und messianischen Rechten zusammenbrechen könnten). Vor allem im Vergleich zu Ländern wie Polen, Ungarn, den Vereinigten Staaten oder Brasilien, die keine Feinde an ihren Grenzen haben (und von denen die ersten beiden sogar relativ homogen sind), kann man nur beeindruckt von der Tatsache sein, dass sich Israel nicht in eine kraftstrotzende Militärdiktatur verwandelt hat.“

Linksliberaler Zionismus

Das Buch „Undemokratische Emotionen“ ist Ende 2022 fertiggestellt worden. Seither regiert in Brasilien statt des rechtsextremen Jair Bolsonaro der vermeintlich linksdemokratische Präsident Lula da Silva, der sich freilich in Sachen Putin-Nähe von seinem Vorgänger um kein Jota unterscheidet. In Israel wiederum hat der von Korruptionsvorwürfen umstellte Premier Netanjahu inzwischen tatsächlich blank gezogen und mit Hilfe seiner extremistischen Koalitionspartner die Axt an den Rechtsstaat gelegt.

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Eva Illouz’ Buch ist also durchaus als Warnung zu lesen, die ihren Realitätsgehalt längst bewiesen hat. Geschrieben aus einer Position des linksliberalen Zionismus – und damit in einem denkbar sympathischen und integren Gesellschafts- und Politikverständnis – macht die Lektüre mitunter jedoch auch etwas ratlos. Wäre es also tatsächlich so, dass linken Demokraten (die in Israel ohnehin nie hochfahrende Pazifisten oder arrogante Weltverbesserer waren) nichts anderes bleibt, als die gegenwärtigen Gefahren zu analysieren?

Dabei ist die Analyse der Demokratie zerstörenden Emotionen durchaus plausibel. Aus der berechtigten Sorge vor einer iranischen Atombombe macht Netanjahu eine Politik der Angst, die innenpolitische Gegner und israelische Araber zu Feinden erklärt und nun nicht einmal vor den Richtern des Obersten Gerichtshofs Halt macht. Dabei ist aus Angst längst zelebrierte Abscheu geworden. Diese diffundiert in alle Bereiche der Gesellschaft – die bösartigen Ausfälle etwa gegen die gay community hat der Premier zwar zurückgewiesen, doch sie kommen nicht zufällig aus den Reihen der Parteien, die Teil seiner Regierungskoalition sind.

Im Unterschied zu auswärtigen „Israelkritikern“ weiß Eva Illouz allerdings genau, wovon sie schreibt und entwürdigt ihre bedenkenswerte Analyse in keiner Zeile zum denunziatorischen Amalgam. Das betrifft auch das Thema der Westbank-Okkupation. „Der Rassismus war nicht der Grund für die Besatzung, sondern ist eine Folge von ihr. Der Missbrauch benötigt eine Rechtfertigung, und der Abscheu liefert sie. Je alltäglicher und fester in der israelischen Gesellschaft verankert die Herrschaft wird, desto stärker ist sie auf Rechtfertigung angewiesen. Tatsächlich gibt es kaum eine überzeugendere Rechtfertigung für Herrschaft als Abscheu.“

Gerade da aber hätte man sich von einer Soziologin, die zuvor so profunde Bücher über die vertrackten Komplexitäten der menschlichen Natur geschrieben hatte, mehr Tiefgang gewünscht und Fragen, die wirklich wehtun. Wann nämlich kippt (berechtigte) Abscheu vor einem gewaltbereiten, irrationalen Atavismus, wie er unzweifelhaft Teile der palästinensischen Kultur beherrscht, nun seinerseits in einen kruden Rassismus, der in allen Arabern den feindlichen Anderen sieht? Und was ist der Zusammenhang zwischen einem wohlmeinendem liberalen Paternalismus, der reale Konflikte enervierend gesundbetet, und einem vermeintlichen „Befreiungsschlag“, der in illiberaler Rhetorik und (Un-)Taten nun die Grundlagen all dessen zu zerstören droht, was man doch angeblich verteidigen will?

Das Ressentiment als Problem

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Die dritte der von Illouz geschilderten undemokratischen Emotionen ist das Ressentiment. Hier drängt sich der Gedanke auf, dass hier womöglich allzu viel politische Korrektheit die Feder geführt hat. Der Rechtsruck einer Hälfte der israelischen Gesellschaft (aber immerhin tatsächlich „nur“ der Hälfte) wird zwar nachvollziehbar erklärt. Er sei, so Illouz, ein Resultat des Wahlverhaltens der Mizrachim, das heißt der Nachkommen der einst nicht aus West- und Osteuropa, sondern aus den arabischen Ländern nach Israel eingewanderten oder geflohenen Juden. Diese waren vom aschkenasischen Establishment jahrzehntelang in der Tat mit beträchtlicher Geringschätzung behandelt worden; der erste große Wahlerfolg des Likud von 1977 hatte dann eine Entwicklung in Gang gesetzt, in der die bis dahin Ton angebende zentristische Arbeitspartei der einstigen Staatsgründer immer weiter geschwächt wurde – bis zum heutigen Tag, an dem die einstmals so starke Awoda als Splitterpartei noch nicht einmal mehr ein Schatten ihrer selbst ist. Das kann und muss man bedauern, ebenso wie der Hinweis angebracht ist, dass der inzwischen von Benjamin Netanjahu geführte Likud ja ebenfalls von Politikern aschkenasischer Herkunft dominiert wird und demnach eine solche Herkunft nicht alles erklärt.

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Was aber, wenn es für die gebildete Generation der säkularen Staatsgründer und deren Traditionshüter sehr wohl verständliche Gründe gegeben hätte, ihre „orientalischen“ Landsleute, die aus Regionen der Despotie stammten, auf anfangs durchaus harsche Weise in einen Rechtsstaat nach europäischem Vorbild einzubinden? Und war es späterhin nicht so, dass das wunderbar sozialdemokratische Ideal der Chancengleichheit und des sozialen Aufstiegs schal geworden war und dann ausgerechnet Netanjahus erfolgreiche, mit dem Schlagwort des „Neoliberalismus“ kaum zu fassende Wirtschaftspolitik bei Millionen Israelis einen bis dato unbekannten Wohlstandsschub ausgelöst hat?

Wer solche kniffligen Fragen wagt – und gleichzeitig darauf aufmerksam macht, dass die Hunderttausenden, die in Israel heute eben jenen Rechtsstaat zu bewahren hoffen, vor allem in den großen Städten des Landes demonstrieren – begibt sich in ein Minenfeld, in dem neben anderen Vorwürfen auch jene des Kulturalismus oder gar des Rassismus hochgehen könnten. Doch so wie Liebe als vierte der fragwürdigen Emotionen immer und überall auch missbrauchbar ist als Idiolatrie der eigenen als mythisch hochgejubelten Nation, so kann – auf einer anderen Ebene – die hohe Tugend des Respekts travestiert werden zu intellektueller Verzagtheit.

Fast scheint es, dass erst auf den letzten Seiten dieses trotz allem eminent anregenden Buchs die Autorin das eher Defensive hinter sich lässt und eine reflektierte Zukunftsstrategie wagt. „Es ist der jüdische Universalismus, der durch ein Bündnis zwischen dem Liberalismus und einer dynamischen jüdischen Religion wiederbelebt werden muss. Das ist zweifellos der wahre und einzige Geist des Zionismus. Ob es ihm gelingt, bleibt eine tragisch offene Frage.“

Eva Illouz: Undemokratische Emotionen. Das Beispiel Israel. Aus dem Englischen von Michael Adrian. Suhrkamp, 259 Seiten, 18 Euro

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