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Kultur So wird der „Tatort“

Die überwachte Stadt sucht einen Mörder

Redakteur Feuilleton
Im Ausnahmezustand: Mike Majewski (Nils Hohenhövel) Im Ausnahmezustand: Mike Majewski (Nils Hohenhövel)
Im Ausnahmezustand: Mike Majewski (Nils Hohenhövel)
Quelle: WDR/Ester.Reglin
In einer Straßenbahn wird der Fahrer abgeschlachtet. Der Täter zeigt sich offen der Kamera im Wagen. Er will, dass man eine Geschichte zu seinem Gesicht findet. „Love is Pain“, der neue Fall des Dortmunder Teams, ist diese Geschichte. Eine Geschichte von der Liebe und ihrem Preis.

Liebe ist ein mörderisches Gefühl. Manchmal. Kann eins werden. Geschichten, in denen Zuneigung in Hass umschlägt, in Liebe, in Schmerz, dann in Gewalt, verbergen sich hinter den meisten Ziffern in der Kriminalstatistik von Tötungsdelikten.

Manchmal sieht man diese Geschichten aber nicht gleich, kann sie nicht lesen. Liebe ist auch ein geheimes Gefühl. Manchmal. Es gibt ein schönes biblisches Wort für die Liebe. Vom Einandererkennen ist da die Rede, wenn sich zwei finden.

„Love is Pain“ heißt der neue Fall fürs Dortmunder Team. Die „4Blocks“- und „Kleo“-Erfinder Bob Konradt und Hanno Hackford haben ihn geschrieben. Sabine Bernardi vom „Club der roten Bänder“ hat Regie geführt. Die Aggregatzustände der Liebe halten ihn zusammen, Melancholie und Wut, Verzweiflung und Trauer und Hass, Schmerz und Scham, das Einandererkennen und das Anerkennen. Wie sehr, merkt man erst am Ende.

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Am Anfang schlachtet ein Mann in einer Dortmunder Tram den Fahrer ab. Einen Hoodie trägt er, eine Basecap, sein Gesicht hält er in ihrem Schatten. Es wäre ein Leichtes, einfach so zu verschwinden. Dieser Mann aber stellt sich unter die Überwachungskamera des Wagens, blickt hinein, zeigt mit seinem Finger auf eine Träne, die er unter sein rechtes Auge hat tätowieren lassen. Dieser Mann will nicht nur gesehen, er will erkannt werden. Wir alle kennen sein Gesicht. Seine Geschichte kennen wir nicht.

Immer wieder nimmt uns die Kamera als Kommissare in die Pflicht. Wir überwachen Dortmund, wir sehen, wie Leute über Plätze laufen, durch Straßen, auf Häuser zu. Wir sollen auf ihnen was erkennen, den Täter finden. Die Farben wechseln vom Graublau der Überwachungskameraszenen ins seltsame Sepia der Bilder von Philipp Sichler. Soviel Dortmund hat man noch nie im Dortmunder „Tatort“ gesehen. So hat man einen „Tatort“-Ort sowieso noch nie gesehen. „Love is Pain“ ist eine Großstadtmoritat, eine Moritat aus einer überwachten Metropole. Aber das nur nebenbei.

Findet sich: Das Dortmunder Team Jan Pawlak (Rick Okon) Peter Faber (Jörg Hartmann, M.) und Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger)
Findet sich: Das Dortmunder Team Jan Pawlak (Rick Okon), Peter Faber (Jörg Hartmann, M.) und Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger)
Quelle: WDR/Martin Rottenkolber

Ein zweiter Mann wird erstochen. Wieder der Hoodie, wieder die Basecap. Wieder der Blick in die Kamera und das Zeichen. Allmählich nimmt die Geschichte Konturen an. Eine Jugendgang in Dortmund. Die beiden Opfer des Namenlosen gehörten ihr an. Ein anderer liegt im Wachkoma, seit er einen angeblich autoerotischen Unfall hatte. Eine Freundin sitzt am Bett, mit einem Gesicht wie ein Schuldkomplex. Der Mörder spielt mit Fabers Leuten.

Wobei das gar nicht mehr Fabers Leute sind. Der ist zum ersten Mal seit dem Tod von Bönisch, der geliebten Kollegin, wieder ordentlich im Dienst. Die Leitung der Mordabteilung hat aber erstmal Rosa Herzog. Die entschuldigt sich gleich. Faber ist es angeblich wurscht, und Herzog ist ihm recht. Die Trauer macht ihn milde, sein Zynismus liegt unter einem überraschendem Wattebausch aus Empathie.

Der Mann wird Mensch. Er würde heute keine Waschbecken mehr aus irgendwelchen Toilettenwänden brechen. Er würde mit dem Waschbecken vorher erstmal reden. Mal schauen, wie lang das anhält. Den Parka trägt er immer noch. Wenn er den ab- und ein Jackett anlegt, dann machen wir uns Sorgen.

Ganz neue Ermittlungsmethoden

Ein bisschen hölzern werden die horizontalen Plotfäden der drei Ermittler allerdings schon durch die Geschichte gespannt. Alle haben sie mit Liebe zu tun. Und alle reiben sie schmerzhaft herum an den Seelen von Faber, Herzog und Pawlak. Der kämpft mit seiner Schwiegermutter ums Sorgerecht für seine Tochter. Herzog wird wieder von ihrer Mutter, der Terroristin, heimgesucht. Und Faber stellt in der Kirche Kakteen neben das ewige Licht für Bönisch. Alle müssen Entscheidungen treffen.

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Eine Super-Recogniserin wird engagiert, eine Gesichtersucherin. Die folgt dem Täter von einer Kamera zur nächsten, findet ihn in Wimmelbildern. Was Ermittlungsmethoden angeht, scheint das Dortmunder Team einen Lehrgang besucht zu haben in den letzten Monaten. Alles andere ist klassische Polizeiarbeit, Biografien erforschen, Lebenslinien folgen, Türen eintreten.

Nach einer Stunde ist die Identität des Mannes geklärt, der wie auf einem Kreuzzug durch Dortmund zieht. Weil aber alle schweigen, die ihn kennen, fließt die Ermittlung in einem sehr sorgfältig sich beschleunigenden, sich verlangsamenden, immer soghaften Tempo vor sich hin.

Ein Gesicht findet seine Geschichte. Ein Team findet seinen Geist. Eine Zukunft nach Bönisch ist möglich.

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