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Spielt mehr Klassiker!

Freier Mitarbeiter im Feuilleton
Karina Plachetka und Matthias Reichwald in Calderons „Das Leben ist Traum“ Karina Plachetka und Matthias Reichwald in Calderons „Das Leben ist Traum“
Karina Plachetka und Matthias Reichwald in Calderons „Das Leben ist Traum“
Quelle: Sebastian Hoppe
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Die Menschen kehren allmählich zurück ins Theater. Aber dort regiert immer noch Kunstbeamtentum und moralische Besserwisserei. Was aber braucht ein großer Theaterabend? In Dresden kann man es erleben.

Spielt mehr Klassiker! Das darf sich das Theater in schöner Regelmäßigkeit anhören. Je leerer die Säle, desto lauter, nun – wo die Menschen trotz oder wegen der Inflation wieder mehr ins Theater gehen – etwas leiser.

Doch was heißt das: Klassiker zu spielen? Es gibt Hunderte Arten, Shakespeare auf die Bühne zu bringen, das gilt für Goethe oder Tschechow nicht minder. Jede Zeit muss ihre Klassiker wieder neu zum Leben erwecken und den Glutkern in ihrem Inneren freilegen.

Oft misslingt das. Schuld sind entweder ein in Ehrfurcht erstarrtes Kunstbeamtentum oder dümmlich-frivole Besserwisserei. Mit tatsächlicher Pflege des Erbes hat beides ungefähr so viel zu tun wie ChatGPT mit Thomas Mann.

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Wie man es besser macht, zeigt Tilmann Köhler am Staatsschauspiel Dresden. Das Rezept ist einfach: Man nehme „Das Leben ist Traum“ von Calderón, hüllt ein großartiges Ensemble in stoffgewordene Träume – Bühne von Karoly Risz und Kostüme von Susanne Uhl – und lässt das knapp über drei Stunden auf höchster Intensität köcheln, fertig.

Bloß nicht versuchen, klüger als der Text zu sein oder das Theater neu zu erfinden, sondern nur die eigenen Mittel in den Dienst der Sache stellen, sodass es Funken schlägt. Das Publikum dankt es mit begeistertem Applaus. Der Abend kommt federleicht daher, gerade weil er perfekt komponiert ist, was nicht allein die Live-Musik von Matthias Krieg betrifft.

Um einen überwältigenden Theaterzauber zu entfachen, braucht Köhler nicht viel. Es muss kein Hubschrauber auf der Bühne oder die große Pyro-Show sein. Es reicht ein Stück Stoff und dazu Licht, das Spiel der Schatten kann beginnen – zwischen Kindheitserinnerungen und Platons Höhlengleichnis. Doch die Bilder können täuschen, der Schatten wird umso größer, je weiter der Mensch sich entfernt, der am Ende jedes Licht verdeckt und die Bühne in die Dunkelheit der Weltnacht hüllt.

Oliver Simon und Daniel Séjourné in Tilmann Köhlers Dresdner Inszenierung
Oliver Simon und Daniel Séjourné in Tilmann Köhlers Dresdner Inszenierung
Quelle: Sebastian Hoppe

Und das ist das Thema des Stücks: Der Kampf zwischen Licht und Finsternis, zwischen Aufklärung und Tyrannei – und das Verhältnis zum eigenen Bild, also zu der sozialen Rolle, die man im großen Welttheater spielt.

„Das Leben ist Traum“ ist ein gigantisches Seelen- und Staatsdrama, entstanden im Siglo de Oro, zwischen „Don Quixote“ von Cervantes und Graciáns „Handorakel und Kunst der Weltklugheit“. Es ist die Geburt des neuzeitlichen Bewusstseins aus dem Zerfall des alten Habsburgerreichs, hier entsteht in Spanien am Beginn des 17. Jahrhunderts, was Helmut Lethen die „Verhaltenslehren der Kälte“ nannte – als Ratgeber in einer krisenhaften Welt.

Es ist eine Ordnung, die gerade deswegen zerfällt, weil sie es mit den falschen Mitteln zu verhindern sucht. Basilius, der von Christine Hoppe gespielte bedächtige und um Sicherheit bemühte König, wird gewarnt, dass sein Sohn den Staat in die Tyrannei führen könnte. Also sperrt er ihn weg, fernab jeglicher Zivilisation.

Macht schlägt Moral

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Doch das Böse, das man meidet, zieht man umso mehr heran: Mattias Reichwalds in verletzlichem Zorn und ungestümer Kraft großartiger Zygmunt bringt den Bürgerkrieg, nicht zuletzt, weil ihn die menschliche Isolation hat roh werden lassen. Er ist ein Held, dem anfänglich jegliche Distanz zur Rolle fehlt, der Macht nicht als Kunst des Ausgleichs, sondern nur als Gewalt kennt.

Später wird er begreifen, dass die Macht anders zu erhalten als zu ergreifen ist. Ist er nun ein besserer Mensch, gar moralisch gereift? Die golden glänzenden Stoffe hängen nur noch auf Halbmast, der Boden ist aufgerissen und der Volksaufstand landet im Kerker. Der neue Hof erreicht nicht mehr die Größe des alten, Macht schlägt Moral.

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Manch einer auf der Bühne wird zuletzt das kunstvoll geschminkte Gesicht verloren haben, es gibt kein glückliches Ende. Doch das Publikum hat etwas gewonnen: Einen Abend, der verführt und begeistert, der sinnlich berauscht und geistig ernüchtert, der das große Rätsel der Welt und des Theaters auf die Bühne bringt und es nicht durch halbgare Deutungsstümperei verdeckt.

Wann sieht man so etwas noch? Sehr selten, muss man gestehen. Die außergewöhnlichen Momente sind im Theater oft so selten wie im echten Leben. Ja, spielt mehr Klassiker! Aber bitte spielt sie so und nie mehr anders, ohne Scheu vor gewaltigen Bildern und ungeheuren Gedanken.

„Das Leben ist Traum“ am Staatsschauspiel Dresden, wieder am 1., 13. und 23. April.

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