Jetzt also wird Agatha Christie überarbeitet, für den zeitgenössischen Leser, der ethnische Stereotype, Witze über jüdische Namen und Nasen oder peinliche Beschreibungen nicht mehr ertragen will. Sogenannte „Sensitivity Reader“, meldet der Londoner „Telegraph“, hätten sich für Neuauflagen der Fälle von Hercule Poirot und Miss Marple Christies Sprache angenommen.
So wird aus „Karibische Affäre“ von 1964 Miss Marples Nachdenken über die „wunderbaren weißen Zähne“ eines Hotelangestellten eliminiert. Und in Christies 1920 erschienenem Debütroman „Das fehlende Glied in der Kette“ wurde Hercule Poirots Kommentar, jemand sei „ein Jude, natürlich“ gestrichen.
Natürlich ist das alles hochbedenklich. Warum kann man Lesern nicht die Originaltexte zumuten, im Vertrauen darauf, dass die sich ihre eigenen Gedanken über die Beschränktheiten einer vor 47 Jahren mit 85 gestorbenen Kriminalschriftstellerin machen? Ist es nicht Verfälschung, wenn Romanfiguren, durch deren innere Monologe Wahrnehmungen puckern, die sich heute niemand mehr gestatten würde, nun auftreten, als hätten sie ein Antidiskriminierungs-Training hinter sich?
Und wo soll das noch hinführen – wird man irgendwann nicht mehr feststellen können, dass Autoren wie Agatha Christie, Roald Dahl oder Ian Fleming rassistisch, antisemitisch oder sexistisch gedacht haben, weil man es nicht mehr mit ihrem um alle Irritationen bereinigten Werk belegen kann?
In Christies Fall haben die Eingriffe in ihre Texte eine besondere Note. Schließlich wurde ihr Werk schon zu ihren Lebzeiten für empfindsame Leser entschärft. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt ihr amerikanischer Verlag Briefe über rassistische Stereotypen in ihrem Werk, darunter auch einen von der einflussreichen Anti-Defamation League.
Ihr Agent gab die Briefe nicht an sie weiter, überließ es dem Verlag, alle möglicherweise anstößigen Stellen über Juden oder Katholiken zu streichen. Die daraufhin vorgenommenen Änderungen sind ihr nie aufgefallen.