Klassikkolumne:Höhenflüge und Charme

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Der Komponist Olivier Messiaen starb vor 30 Jahren. (Foto: Werner Neumeister/imago)

Neues vom Klassikmarkt: Bach ist für Tastenspieler nach wie vor interessant. Aber auch Messiaen hat seine Apologeten. Und die Dirigentin Emmanuelle Haïm ist längst kein Geheimtipp mehr.

Von Reinhard J. Brembeck

Die Alte-Musik-Bewegung, die nach 1945 dazu führte, dass Beethoven, Mozart, Bach und frühere Komponisten heute ganz anders aufgeführt werden als bis dato und oft verschnarcht üblich, war wie alle anderen Musikavantgarden auch von Männern geprägt: Nikolaus Harnoncourt, John Eliot Gardiner, Jordi Savall, Philippe Herreweghe... Dirigierende Frauen hatten es da mindestens genauso schwer wie im Klassikmainstream. Eine der ersten und bis heute erfolgreichsten unter den Alte-Musik-Dirigentinnen ist Emmanuelle Haïm, die zur Jahrtausendwende mit Le concert d'Astrée ihre eigene Gruppe gründete. Vergangenes Jahr feierte sie deren zwanzigstes Bühnenjubiläum. Zwei der Jubiläumskonzerte, in Berlin und Paris, hat sie jetzt auf einem Live-Doppel-Album herausgebracht: "20 ans. Une nouvelle fête Baroque" (Erato). Highlight dieses Barockfests folgt hier auf Highlight, es gibt Schnipsel von Rameau und Campra, Purcell, Händel und Vivaldi, Sängerstars von Rolando Villazón über Nathalie Dessay bis hin zu Sandrine Piau sind mit von der Partie, und selbst Simon Rattle tritt als Gastdirigent auf. Haïms Dirigieren ist Freude, ist Überschäumen, Leichtigkeit, Tanz und auch stets ein Schuss Melancholie: Was für eine Betörung!

(Foto: N/A)

Benjamin Alard spielt wie im Barock einst grundsätzlich üblich alle Arten von Tasteninstrumenten, Orgel wie Cembalo wie Clavichord. Alard, Jahrgang 1985, hat zudem einen großen Traum: Er will sämtliche Werke Johann Sebastian Bachs für Tasteninstrumente aufnehmen und hat mit Harmonia Mundi auch eine Plattenfirma gefunden, die bei diesem Irrsinnsprojekt mitspielt. Mittlerweile ist Alard bei seinem sechsten Bach-Album angekommen. Da spielt er auf einem 1763 gebauten Originalclavichord, das ist ein Kleininstrument für den Hausgebrauch, das Übebuch für Bachs Sohn Wilhelm Friedemann. Es folgt auf einem Originalcembalo von 1740, auch dieses Instrument bezaubert, der sehr viel berühmtere erste Band des Wohltemperierten Klaviers, diese Folge von 24 Stückpaaren durch alle Tonarten. Im Übebuch sind elf Stücke der späteren Sammlung in Frühform erhalten, das erklärt die Zusammenstellung. Alard spielt drängend und überzeugt, hell und klar.

(Foto: N/A)

Luca Guglielmi ist ein genauso neugieriger und fantasievoller Tastenspieler wie Benjamin Alard. Den ersten Teil von Bachs Wohltemperiertem Klavier hat er schon längst auf Cembalo aufgenommen. Jetzt lässt er bei Avi den zweiten, mehr als 20 Jahre später entstandenen folgen, allerdings auf der Kopie eines Fortepianos des berühmten Klavierbauers Gottfried Silbermann. Das ist schon ein frühes Klavier, das um 1700 in Italien erfunden wurde, sich aber lange nicht durchsetzen konnte, weil zu leise. Dem Fortepiano fehlt zudem auf wohltuende Weise die pathetische Wucht des modernen Klaviers. Bach kannte und schätzte Silbermann und seine ziemlich teuren Instrumente. Entscheidender aber als solche historischen Aspekte ist, dass die Musik des späten Bachs zumindest bei Guglielmi auf dem Fortepiano klarer, entschlossener und moderner klingt als auf dem Cembalo.

(Foto: N/A)

Wie Bach war auch Olivier Messiaen von Orgel, Klavier und Kirchenmusik besessen. Messiaen war aber auch auch ein Mann der Farben und Natur, beides prägte seine Musik, die immer warm und voller Vogelgezwitscher ist. Das macht ihn zu einem der populärsten unter den Komponisten des 20. Jahrhunderts. Zum 30. Todestag Messiaens erinnert der Pianist Alfonso Gómez jetzt an diesen Komponisten. Die "Vingt regards sur l'Enfant-Jésus" sind ein zweistündiger Zyklus aus 20 Meditationen, die Jesus als Kleinkind porträtieren, voller Versprechen, Freude und Hoffnung. (Kairos)

(Foto: N/A)

Streichquartett: Die Form verbindet man mit Wien um das Jahr 1760. Umso überraschender ist die Entdeckung, die der Geiger und Dirigent Fabio Biondi jetzt mit sechs Quartetten von Carlo Monza gemacht hat, einem damals in Mailand berühmten und seither sehr konsequent vergessenen Komponisten. Biondis Quartette sind heitere kurze Stücke, sie tragen Titel wie "Opera in musica" (so heißt auch die bei naïve erschienene CD), "Jagd", "Vulkans Schiede" oder "Nächtliches Vergnügen". Ein heiteres Vergnügen ist dieses Album in jedem Moment. Monzas charmante Musik ist nicht nur verdiente Erholung nach den Höhenflügen von Bach und Messiaen, sie kann sich auch mit ihnen messen.

(Foto: N/A)
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