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Meinung Oliver Polak

Das waren meine besten Konzerte des Jahres 2022

Die Seele des Soul: Diana Ross Die Seele des Soul: Diana Ross
Die Seele des Soul: Diana Ross
Quelle: Getty Images
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2022 war ein Jahr der Befreiung: Nach der Pandemie entdeckten wir die Live-Kultur neu. Was mit mir passierte, als Diana Ross’ Stimme erklang, und was ich Gene Simmons von Kiss antwortete, als er mir jüdische Witze erzählte. Eine Rückschau des Comedians Oliver Polak auf unvergessliche Konzert-Momente.

Montreux

Es ist früh morgens. Berlin-Schönefeld. Draußen ist noch alles dunkel. Verschlafen laufe ich ins Flugzeug, auf meinem Kopfhörer Diana Ross’ „Touch me in the morning“. Easy Jet-Flug nach Genf.

Vor zwei Jahren, während Corona, besuchte ich Montreux in der französischen Schweiz. Eine Freundin hatte mir diesen Ort gezeigt, den vielleicht schönsten Fleck dieser Erde. Das Montreux Jazz Festival war abgesagt, und ich hatte mir vorgenommen, wenn alles wieder öffnet, zurückzukehren, um ein Konzert auf diesem Festival anzuschauen.

Angekommen nun im noch schlafenden Genf, steige ich in den Zug, um nach Montreux zu fahren. Die Strecke führt einmal um den Genfer See, auf meinem Kopfhörer die Supremes mit „My world is empty without you“. Ich schaue auf den See, in dem sich die Sonne golden wie ein Bonbonpapier von Werthers Echte reflektiert. Die Wärme durchdringt die Zugfensterscheibe und erhellt mein Gemüt.

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Angekommen laufe ich runter zur Strandpromenade. Hier haben sie die alten Grand Hotels nebeneinander aufgereiht. Luxuskarosserien, Menschen mit riesigen Sonnenbrillen. Ich betrete den flauschigen Teppichboden des Hotels, packe im Zimmer meine Badehose aus und laufe die Treppe zum See hinunter, springe rein und schaue drüben auf die französischen Alpen, die sich wie eine weiße Bettdecke über Évian-les-Bains ausbreiten.

Das Wasser ummantelt meinen Körper, die Sonne wärmt. Die Wellen, die John Bonham mit Led Zeppelin in seinem Drum Solo „Bonzo’s Montreux“ verewigte, sie lassen mich gleiten. Mein Blick fällt auf das wiederaufgebaute Kasino, das 1971 während einer Frank Zappa Show niederbrannte.

Damals waren Deep Purple Besucher dieses Konzertes und standen nach dem Feuer am Genfer See, der von Rauchschwaden überdeckt war. „Smoke on the water“. Der Rest ist Geschichte.

Diana Ross in Glasgow 2022

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Queen nahmen hier während der letzten fünf Jahre vor Mercurys Tod Platten in ihrem Studio auf. Montreux war für sie ein Safe Space vor der englischen Yellow Press. „We all came out to Montreux, on the lake Geneva shoreline.“ Ich trockne mich nicht ab, das hat die Sonne für mich erledigt. Gehe zurück zum Hotel und dann zur Konzerthalle.

Die Big Band mit Backgroundsängern betritt die Bühne und spielt auf mit einer Soulfanfare. Das Licht schummrig. Es erklingen die ersten Töne von „I’m Coming Out“, das Nile Rodgers und Bernard Edwards von Chic komponierten.

Ihre Stimme erklingt aus dem Off. Mit dem Schlagzeugeinsatz schwebt sie dann auf die Bühne. Die Königin des Soul. Diana Ross. Gekleidet in einem schwarzen Kleid, verziert mit Blumen und einem riesigen orangefarbenem Seidenmantel, die Haare offen, ein Lichtermeer von tausenden strahlenden Gesichtern, durch Handys erleuchtet.

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Es folgen Supremes-Klassiker. „Stop! In The Name of Love“, „You Can’t Hurry Love“ und „Baby Love“. Nach 46 Jahren verstehe ich endlich, warum Soul-Music Soul-Music genannt wird.

Bei „Ain’t No Mountain High Enough“ ist es so, als würde Diana Ross mein Herz in ein Werthers-Echte-Bonbonpapier einwickeln. Kostümwechsel, zart gehauchte Ansagen der 78-Jährigen, die wie eine junge Frau wirkt. Zum Finale holt sie im knallroten Kleid ihre komplette Familie, Kinder, Enkelkinder auf die Bühne.

Nach dem Konzert schlendere ich am Ufer des Genfer Sees zum Hotel, der Mond strahlt, das Wasser ist still. Kein Nebel auf dem Wasser.

Frankfurt

Durch den Regen laufe ich von meinem Hotel im Frankfurter Bahnhofsviertel zur Festhalle, durchnässt, die vielen Treppen hoch zum VIP-Bereich. Dort haben sich Freunde der Band und des Veranstalters eingefunden. Ich hatte diesen kindlichen Traum, dass es klappen könnte, verwerfe ihn aber gleich wieder. Der Veranstalter stellt sich mir vor und erwähnt beiläufig, dass er mich gleich wohin mitnimmt.

Nervös eile ich in die Toilette, trockne meine Haare unter dem Handtrockner, stehe vor dem Spiegel und werde nervös. Der Veranstalter sagt jetzt, dass ich kommen soll. Durch die Katakomben der Halle laufen wir über Flure, es ist dunkel, und ich folge seinem weißen, langen Haar.

Dann stehen wir in einem Gang, in dem sich die vier Garderoben der Bandglieder befinden. Er sagt mir, dass ich kurz warten soll. Hier stehe ich nun alleine in dem abgedunkelten Gang, bin unruhig wie ein Kind, das seine Superhelden, die ja eigentlich nicht existieren, trifft.

Eine Tür öffnet sich, und der Lichtkegel der Garderobe fällt wie ein Lichttürschatten auf den Boden. Aus dem Raum erklingt Stylistics „You are everything“. Ein weiterer Schatten fällt in den Flur. Die Silhouette eines großen Mannes im Superheldenkostüm. Es ist Paul Stanley von Kiss, er steht jetzt vor mir, streckt mir seine Hand entgegen und sagt mit dieser zarten, weichlichen, hohen Stimme: „You must be Oliver, the Comedian.“

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Ich zerbreche innerlich vor Aufregung. Es ist nicht nur der Fakt, dass er Paul Stanley ist. Auch dieses imposante Kostüm, die Plateauschuhe, die Schminke, dieser siebzig Jahre alte verkleidete Mann. Dann öffnet sich eine weitere Tür auf der anderen Seite des Gangs. Es ist Gene Simmons. Er fragt: „Oliver, what is twelve inch long and jewish?“ Ich zucke schüchtern mit den Schultern, und er beantwortet seine Frage mit: „Nothing!“

Paul und Gene lachen. Ich frage ihn, was der Unterschied zwischen einem Rottweiler und einer jüdischen Mutter ist. Er zuckt fragend mit den Schultern. „Der Rottweiler lässt irgendwann los“, antworte ich. Wir lachen.

Gene fragt mich, was der Unterschied zwischen jüdischen Müttern und Terroristen ist. Paul und ich schauen uns fragend an. Gene fährt fort, dass man mit Terroristen verhandeln kann.

Ich frage ihn, ob er weiß, warum jüdische Männer beschnitten sind. Er antwortet „You tell me.“ – „Weil eine jüdische Frau nichts anfassen würde, was nicht mindestens zwanzig Prozent reduziert wurde.“ Wir verabschieden uns, verbleiben mit einem „Auf Wiedersehen“.

Später blicke ich auf den Vorhang, der die Bühne verdeckt, und auf dem „KISS“ in großen Buchstaben prangt. Das „SS“ in Runenschrift. Eine Stadionsprecherstimme schreit: „All right Frankfurt, you wanted the best, you get the best, the hottest band in the world – Kiss.“ Der Vorhang fällt und „Detroit Rock City“ kracht aus den Lautsprechern.

KISS in Frankfurt

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Die Band schwebt auf kleinen ufoartigen Plattformen von der Decke und alles erstrahlt und explodiert. Feuerwerk, Kanonenschläge, verzerrte Gitarren. Es folgen zwei Stunden Blitzpopkrieg, zwischen Las Vegas, Kindergeburtstag und Zirkus.

„Shout it out loud“, „Rock and Roll all Nite“, „100.000 Years“. Bei „Love Gun“ fliegt Paul Stanley über das Publikum zu einer kleineren Bühne. „I was made for loving you“ lässt alle mit Kopfstimme mit uhuhen, und bei „Black Diamond“ schmeißen sie die vielleicht größte Discokugel der Welt an und lassen jedes einzelne Gesicht an diesem Abend aufblitzen.

Zwischendurch eine Ansage von Gene Simmons in lupenreinem Deutsch, der fragt, ob er den nächsten Song auf Hebräisch, Ungarisch, Englisch oder Deutsch ansagen soll. Nach Stunden süßlichen Lärms verlassen sie die Bühne, tapern in ihren astronautähnlichen Anzügen und Kiss-Uniformen still ins Dunkle. Und auf der riesigen LED-Wand erscheint zum Abschied: „Kiss loves Frankfurt“. Umringt von tausenden geschminkten Fans, die beseelt auf die leere Bühne starren. Ein Abschied für immer.

Doch am Ende ist es die eine große Liebe, die einem immer wieder das Herz erwärmt. Das Herz mit Seifenblasen umgarnt, um es dann in Zuckerwatte zu panieren.

München

Ich stehe mit meinen Freunden Jens-Christian, Thomas und Gerald ganz vorne vor der Bühne des Backstage Clubs in München. Drei Männer betreten aus dem Dunkel die vom Hazer mit Nebel betäubte Bühne und fangen leise mit ihrem ersten Song „Taifun“ an.

Ein Stück, das sich vom leisen Reh binnen zehn Minuten in einen Rockdinosaurier verwandelt. Uns von den Moogbasspedalen mit wehenden Hosenbeinen, erhellt von den Blindern, die folgenden drei Stunden in einem Hardrocktornado fliegen lässt. Motorpsycho aus Norwegen. Mein Alles.

Nach dem Konzert sitze ich in meinem Auto und zünde eine Zigarette an, denke an das Zitat von Frank Giering in „Absolute Giganten“: „Es müsste immer Musik da sein. Bei allem, was du machst. Und wenn’s so richtig scheiße ist, dann ist wenigstens noch die Musik da. Und an der Stelle, wo es am allerschönsten ist, da müsste die Platte springen, und du hörst immer nur diesen einen Moment.“

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