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Kultur Neuer Streamer Stage+

Eine Revolution für die Klassik

Redakteur Feuilleton
Unter Trompetern: John Eliot Gardiner dirigiert Bach Unter Trompetern: John Eliot Gardiner dirigiert Bach
Unter Trompetern: John Eliot Gardiner dirigiert Bach
Quelle: Paul Marc Mitchell
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Spotify & Co. vernachlässigen anspruchsvolle Klassikfans. Diese Lücke will die Deutsche Grammphon mit ihrem Streamingkanal Stage+ füllen. Jetzt gibt’s Bachs Weihnachtsoratorium mit John Eliot Gardiner aus London sogar live aufs Berliner Sofa. Und für jeden Weihnachtstag einen kompletten „Ring“.

Wir sitzen auf dem roten Sofa. Die drei Kerzen vom Adventskranz brennen. Es ist dunkel draußen. Die Sternen-Lichterkette, die wir irgendwann mal aus London mitgebracht haben, strahlt rot. Kekse liegen bereit. Der Hund schnarcht. Draußen ist es dunkel. Sämtliche Weihnachtsoratorien der Stadt haben wir wieder einmal verpasst. Wir sind in Berlin.

Und wir sind in London. Besser gesagt: Gleich sind wir da. Noch steht bloß Stage+ blassblau auf dem Bildschirm des Fernsehers. Ein Countdown läuft.

Dann sitzt da John Eliot Gardiner, der britische Originalklangpapst, der irgendwie nicht älter zu werden scheint, und erzählt. Und schafft es, in zehn Minuten eben jenes Weihnachtsoratorium zu erklären, das er gleich in der Kirche von St. Martin-in-the-Fields aufführen wird – live gestreamt von potenziell Millionen von Menschen auf Sofas, Stühlen und vermutlich in Betten.

Die Zeit, in der es entstand, erklärt er, warum es eigentlich kein Oratorium ist, wie da Theologie Klang wird. Und warum gerade jetzt, wo so viel Horror in der Welt ist, dieses Stück uns all unserer Werte versichert, uns bestärkt, uns Licht und Hoffnung gibt.

Ziemlich oft sagt Gardiner, der eigentlich Atheist ist, „unglaublich“. Und dann streichelt er übers Faksimile des Autografs und erzählt, wie Bachs Notenschrift allein schon vorgibt, wie sich seine Musik bewegt, zu bewegen hat.

Man sieht ihn bei Proben, hört die herrlichen barocken Oboen und beobachtet den Zwiegesang der Konzertmeisterin von Gardiners English Baroque Soloists und dem engelhaften, entrückenden Sopran des Hugh Cutting.

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Dann steht Gardiner da auf unserm Bildschirm, fast ein bisschen überlebensgroß im Samtjackett mit roten Ärmelbündchen, mitten in London, in der Kirche St. Martin-in-the-Fields genauer gesagt. Weihnachtlich ist da nichts. Es scheint aber kalt da zu sein. Es werden Schals und Pelze getragen in den Reihen hinter Gardiner. Der dirigiert die ersten drei Kantaten des Weihnachtsoratoriums. Und wir sind – bis auf die Abogebühr und Stromkosten fürs Streaming – dabei auf unserem Sofa, ohne ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen.

So ähnlich waren wir während der Pandemie häufig dabei auf dem Sofa. Bei gestreamten Theater- und Opernaufführungen, gestreamten Konzerten aus den Wohnzimmern von Daniel Hope und Igor Levit, kostenlos oder für zwanzig Dollar etwa bei „Met Stars Live“, der jahrelang coronabedingt lahmgelegten New Yorker Metropolitan Opera. So sind wir seit 2008 dank der „Digital Concert Hall“ in der Berliner Philharmonie bei den liveübertragenen und den archivierten Konzerten der Philharmoniker dabei.

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Das hat Stage+ vorbereitet. Stage+ ist sozusagen die globale Concert Hall – der neue Klassik-Streamer des Labels Deutsche Grammophon, einem der zentralen Dealer für klassische Musik. Vor 125 Jahren gegründet vom Erfinder des Grammophons, immer gern vorne dabei, wenn es und die Verzahnung von kreativen Inhalten, Technologie und Marketing geht.

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Ein Streamer für eine Zielgruppe soll Stage+ sein, die gar nicht so spitz ist und bisher von Spotify und Apple Music und YouTube nur eher stiefmütterlich versorgt wurde. Ein Streamer für Menschen mit Liebe zu ganzheitlichen Klassikern. Für uns auf dem Sofa. Endlich Zielgruppe.

Gebildet, sagt Clemens Trautmann, der Chef der Deutschen Grammophon. Unterscheidungs- und zahlungskräftig. Qualitätsbewusst. Technikaffin. Im Besitz von Video- und Hi-Fi-Equipment wie Soundbars. Inzwischen – wie selbst Trautmanns und unsere Eltern – geübt im Umgang mit Streamern.

„Musik fürs Auge, Magie fürs Ohr“

Und an ausgefeilten Metadaten für allerlei Suchoperationen interessiert, die es bei Spotify und Co. nicht gibt – an Angaben über Aufführungsorte und -daten, Produzenten, Aufnahmeleiter, die sich suchen und auflisten lassen können. Und vor allem daran, an einem Ort nicht nur den akustischen Output, sondern sozusagen das audiovisuelle Gesamtwerk klassischer Künstlerinnen und Künstler samt Dokumentationen und Interviews an einem Ort versammelt zu haben.

Einem digitalen Ort, der, darauf legt Trautmann Wert, kein geschlossenes Ökosystem der Deutschen Grammophon ist. Musikern so nah zu kommen, wie es nirgends sonst möglich ist, den virtuellen Raum für die klassische Musik neu auszumessen, zu revolutionieren: „Musik fürs Auge“, heißt der Slogan, „Magie fürs Ohr“.

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Es ruckelt ein bisschen in London, beim Übergang von Gardiners vorab aufgezeichneter Einführung zum echten Livestream. Was wir sehen aus St.-Martin, ist zunächst nicht das, was wir hören. Die Bilder hängen hinter den Tönen her. Wir starten neu. Und nochmal. Schauen zur Sicherheit ein paar Minuten auf dem Tablet, schalten dann vorsichtig wieder auf dem großen Bildschirm zurück.

Es klingt ja immer schön. Versprochen war aber das Ganzheitliche, der barrierefreie Zugang zu Live-Events. Nach ein paar Minuten wird dieses Versprechen endlich eingelöst. Die Schnitte werden nicht mehr mit der Handkante ins Oratorium geschlagen. Alles entspannt sich.

Gelb ist der Altarraum ausgeleuchtet, das wollen wir jetzt nicht als Symbolbild für DG, das Gelblabel, begreifen. Es ist auch blau dabei. Vielleicht ein Ukraine-Symbol. Vielleicht Politik.

Musiker, die eine Mission haben

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So schön, so transparent, so licht, so farbenfroh und gefühlsecht hat selbst der Weihnachtsoratorien-Recke Gardiner es selten hinbekommen. Diese Musiker, diese Sänger haben eine Mission. Und man ist mittendrin auf dem Sofa, nicht nur dabei.

Und ist berührt, erhoben, wie man es wäre, säße man in Mantel und mit Pelzkragen zwischen den andern in Mantel und Pelzkragen in London und nicht auf dem roten Sofa in Köpenick.

Wer da allerdings welche Partie singt, wissen wir nicht. Im Vorspann war es kaum zu lesen, in den Metadaten nicht angegeben. Die in St. Martin haben Programmhefte, wir auf dem Sofa nicht. Müssen wir auf der Homepage von Gardiners Monteverdi Choir googeln. Das geht ja auf dem Sofa, in St. Martin ist das eher schwer. Der Sopran ist also Hugh Cutting. Der Evangelist Nick Pritchard.

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Das mit den Programmheften und den Booklets für die Audio-Alben ist eine der kommenden Etappen der Stage+-Roadmap, sagt Trautmann. Stage+ ist ein dynamischer Prozess. Sie wollten zum Start nicht gleich den ganzen Deutsche-Grammophon-und-Decca-Katalog digitalisiert hinwerfen, sondern eine kuratierte Auswahl. Um eine Brücke von den Live-Events zum Medienschaffen der präsentierten Künstler und Ensembles im Bestand schaffen.

Ein gutes Dutzend Arbeitsplätze wurde dazu eigens geschaffen. Robert Zimmermann, der Mitgründer der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker, arbeitet seit vergangenem Jahr für die Grammophon.

Was man jetzt sieht und für 14,90 Euro pro Monat buchen kann, ist sozusagen der noch nicht ganz gefüllte Werkzeugkasten eines ziemlich brillanten Klassik-Streamers. Genutzt werden können alle gängigen digitalen Ausspielmöglichkeiten.

Wagners „Ring“ dreimal komplett im Video

Die Sortierung ist ziemlich intuitiv. Nach (gegenwärtig gut 1000 kuratierten) Alben, etwa 250 vollständigen Konzert- und Opernvideos, Hunderten von Künstlern und Komponisten, den wichtigsten Epochen, Veranstaltungsorten (von Roms Accademia Nazionale di Santa Cecilia über Bayreuth, Dortmund und Salzburg bis zur Wiener Staatsoper). Nach akustischer Qualität (bis hin zu Lossless und Dolby Atmos) und visueller Aufbereitung (bis zu 4K).

Dokumentationen gibt es, Kurzvideos (unter anderem mit, naja, David Garrett) und Interviews – mit Daniel Barenboim und über Schostakowitsch. Allein drei Bayreuther Versionen des Wagnerschen „Ring des Nibelungen“ sind als Video abrufbar (der aktuelle von Valentin Schwarz, der von Frank Castorf und der „Jahrhundert-,Ring‘“ von Patrice Chéreau), von den Audio-Gesamtaufnahmen gar nicht zu reden.

Und jede Woche gibt es mindestens ein Live-Event wie Gardiners Weihnachtsoratorium oder das Silvesterkonzert von Andris Nelsons und dem Leipziger Gewandhausorchester. Die kommen dann, um zu bleiben, im Stage+-Kosmos, wie der Schwarzsche „Ring“, wie das Weihnachtsoratorium.

Wir googeln hinter Hugh Cutting her. Das ist der „Man of the Match“ von St. Martin. Bei Spotify und bei YouTube. Purcell gibt es und Bach. Beim Gelblabel gibt es noch keine Aufnahmen vom Männersopran, der so verschwenderisch mit hingetuschten Klangfarben umgeht und singt, als würde er ein Instrument spielen und als würden für ihn die Gesetze der Schwerkraft nicht gelten. Kann ja noch kommen.

Was sie im Sommer mit Jay Scheibs Bayreuther „Parsifal“ machen, weiß Trautmann noch nicht, da gibt es Augmented-Reality-Elemente. Für die müsste man mit einer Spezial-Brille auf dem Sofa sitzen. Da wird sich was bewegen müssen. Das könnte eine Zukunft sein auch für die Klassik. VR-Brille und Dolby Atmos für ein endgültig ganzheitliches, immersives Klassikerlebnis. Stage+ wird nicht stillstehen.

Bach Weihnachtsoratorium Kantaten 4 bis 6 am Freitag, dem 16. Dezember 2022, um 20.30 Uhr im Livestream aus St. Martin-in-the-Fields auf Stage+

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