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Kultur Konzert in Berlin

Ein genialer Abend mit Steven Wilson und Porcupine Tree

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Porcupine Tree, Konzert in der Max-Schmeling-Halle, Berlin, 21.10.2022 Porcupine Tree, Konzert in der Max-Schmeling-Halle, Berlin, 21.10.2022
Steven Wilson, Gitarrist, Sänger und Komponist der Progressive-Rock-Band
Quelle: pa/PIC ONE/Peter Engelke/peng images
Barfuß, mit Scheitelfirsur, steht Steven Wilson in einer der größten Betonhallen von Berlin. Für die 11.000 Fans geht sein Solowerk wohl über in die Musik seiner Band Porcupine Tree – der Phil-Collins-Effekt. Das hohe Eintrittsgeld ist aber allein der Schlagzeuger schon wert.

Oder fangen wir doch mal ganz am Anfang an: Irgendwann um die Jahrtausendwende hatte dieser schräge Typ, Steven Wilson, aus Hemel Hempstead die Idee, die größte Progressive-Rock-Band aller Zeiten zu gründen. Also dachte er sich Texte aus, Musik, die am Anfang noch schwer an Pink Floyd erinnerte, und nahm sie auf Musikkassetten auf. Weil er so jung war, traute er sich selbst nicht so richtig über den Weg und erfand – für die Zeitungen – die Geschichte und die Legende der lange vergessenen Band „Porcupine Tree“, die am Ende nur er selbst war.

Gut drei Jahrzehnte später steht Steven Wilson, wie immer barfuß, aber mit modischerer Scheitelfrisur, in einer der größten Betonhallen von Berlin. Gut 11.000 Zuschauer sind da, die wenigsten mögen wissen, wie das alles begonnen hat; die meisten vermischen wahrscheinlich Wilsons mega-erfolgreiche Soloalben mit dem Werk der Band, eine Art Phil-Collins-Effekt.

Leicht macht er es diesen Leuten allerdings nicht. Neben dem neuen, harten und sperrigen Album „Closure/Continuation“ stehen vor allem Songs aus dem leicht übersehenen „In Absentia“ und dem kommerziellen Durchbruch „Fear of a Blank Planet“ auf dem Programm – das bewirkt eine Härte, die nicht unbedingt stilprägend für die Band ist. Auf den ersten Langspielern, wie man damals so sagte, stand Wilson eher für Melancholie und Dramatik. Jedenfalls bei Freunden des damals nischenhaft gefeierten Neo-Prog, der mit Marillion an der Speerspitze und Bands wie IQ, Twelfth Night oder Pallas ein Gegenpol zur Roland-MX1-Haarspray-und Schulterpolster-Variante einer musikalischen Revolution war.

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Politisch war Prog Rock nie, und auch Porcupine Tree waren es nicht. Die schwächsten Passagen waren demnach auch Wilsons Zwischenansagen, in denen er wohlfeil über „die USA“ lästerte, später über „die Musikindustrie‘“, die er offensichtlich strikt ablehnt und gleichzeitig doch umarmt. Kein Musiker schuf teurere Box-Sets als er und bringt seine Songs in immer neuen Formaten heraus. Wenn er den Robin Hood gibt, ähnelt er viel zu sehr dem Pink-Floyd-Jammerlappen und Antisemiten Roger Waters. Steht ihm nicht.

Der Schlagzeuger ist schon das Eintrittsgeld wert

Mit großer Präzision und Disziplin spielt sich das für die Bühne auf fünf Mann verstärkte Grundtrio durch das Set. Allein der King-Crimson-Dritteldrummer Gavin Harrison ist eine Klasse für sich, allein ihm zuzusehen, ist schon das (hohe) Eintrittsgeld wert. Im „Eye in the Sky“-Logo-Shirt, ein netter Wink in Richtung Alan Parsons, steht Richard Barbieri gut scheinwerferbestrahlt an den Keyboards und webt die dichten Teppiche.

Dann sind da die Momente, in denen einen die Musik der Band auf eine harsche Art mitreißt, physisch entführt, Bauchschläge verursacht und Kinnladen herunterfallen lässt. In den besten Momenten sind Porcupine Tree eine ganz, ganz großartige Band, also dann doch das Kollektiv, das Wilson sich anfangs nicht zu gründen traute. Über allem schwebt der immer leicht nölige und doch wunderbar harmonische Gesang des Masterminds Wilson, ziemlich nach vorn gemixt.

Schade, dass der Tieftauchgang in den Backkatalog die ersten Jahre mit „Lightbulb Sun“ nur streift. „The Sky Moves Sideways“ wäre eine große Ergänzung gewesen. Und der Singlehit, dessen Ausbleiben Wilson lange und viel zu larmoyant beim Publikum beklagte, war nicht etwa das wohlgefällige „Trains“, sondern wäre „Radioactive Toy“ gewesen. An diesem Abend und ganz generell.

Aber lassen wir das beiseite: Es war ein großes, wunderbares Konzert, bei dem die Leinwandprojektionen in keinem Moment das Geschehen auf der Bühne überlagerten. Totaler Fokus auf die Musiker. Das muss man in so einer Riesenhalle auch erst mal hinbekommen. Großer Respekt.

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