Als Meghan Markle vor einigen Jahren ihren Traumprinzen Harry aka Henry heiratete, staunten nicht wenige Kommentatoren über ihren „No-Make-up-Look“. Nicht, dass die Braut tatsächlich kein Make-up getragen hätte – ihr Make-up war lediglich in dezenten Farben gehalten. Selbstverständlich trug Markle Schichten von Grundierung, Concealer, Bronzer, Rouge, und allem anderen, was das Köfferchen des MUA, eines Make-up Artists, so hergibt. Und sah dabei doch so natürlich aus, als sei sie soeben aus sehr erholsamem Schlaf erwacht. #wokeuplikethis
Nun sorgte wiederum eine Frau in England mit ihrem No-Makeup-Look für Furore: Melisa Raouf trat im Finale der Miss-England-Wahl gänzlich ohne Make-up auf. Tatsächlich hatte die Miss-Kandidatin sogar über eine spezielle Kategorie Zugang zum Wettbewerb gefunden – der Kategorie „bare face“. Das Gesicht also musste nackt sein. Erlaubt war ihr nur Lippenpflege und Hautcreme, mehr nicht. Sie sei gar nicht grundsätzlich gegen Make-up, so Raouf, habe aber jahrelang den Zwang zur Perfektion am eigenen Leib gespürt. Es sei ihr darum gegangen, ein Zeichen zu setzen. Ist das nun ein positiver Trend nach Jahren mit immer extremer anmutenden Make-up-Routinen, die einem mehr oder weniger interessierten, vor allem weiblichen Publikum täglich auf Social Media dargeboten werden? Gar ein feministisches Statement?
Natürlich nicht, schließlich ist das Konzept der Misswahl für sich genommen sexistisch: Leicht bekleidete Damen lassen sich von einer Jury meist älterer Herren begutachten, und natürlich geht es nicht wirklich um innere Werte – selbst wenn die gekürte Miss Luft- und Raumfahrttechnik studiert, also etwas auf dem Kasten hat. Schlimmer noch: Die Missen müssen unverheiratet und kinderlos sein. Gott bewahre, dass eine Frau aus dem Gebrauchtwarensegment mit dem Titel der schönsten Frau des Landes versehen wird! Alles in allem also wirkt die Kategorie „bare face“ eher wie der Versuch, sich dem Body-Positivity-Trend anzubiedern, ohne wirklich positive Körperbilder zu propagieren.
Trotzdem setzt der Bare-Face-Look ein Ausrufezeichen, obendrein in England, wo jedes Wochenende zehntausende junge Frauen in Großstädten ihren Partymarathon mit einer aufwendigen Makeup-Routine beginnen. Vom Fake-Tan, also der aufgesprühten Bräunung, und dem Anbringen falscher Haarteile sowie dem Last-Minute Bleaching der Zähne geht es über zum Grundieren und Maskieren.
Und Maskieren ist hier kein Scherz, denn der Trend zum Contouring ist ungebrochen. Beim Contouring werden Nasen visuell verkleinert, Wangenknochen betont, Augenpartien geliftet. Was in schlecht beleuchteten Clubs die perfekten Proportionen vortäuschen mag, erinnert in Realität oft an Halloween-Maskeraden. Zwischen dem perfekten Kylie Jenner-Look und Chucky, der Horrorpuppe, liegen bisweilen nur einige Pinselstriche.
Auch hierzulande beherrschen schon Zwölfjährige das Handwerkszeug der MUA. Ganz dem DAF-Motto „Verschwende deine Jugend“ folgend, schulen sich Mädchen mittels Instagram-Tutorials zu Meisterinnen des Makeup-Auftrags. Dabei lernen sie vor allem eins: Verblende, als ginge es um dein Leben! Gemeint ist das kunstvolle Verwischen von Make-up-Konturen. Ganz nebenbei erhält der Begriff Verblendungszusammenhang hier eine völlig neue Bedeutung. Wenigstens diesen jungen Mädchen möchte man doch empfehlen, sich auf den „bare face“-Look einzulassen. Gibt es doch interessantere Arten, seine Jugend oder sein Geld zu verschwenden.
Mutprobe oder Selbstermächtigung?
Vielleicht sorgte auch deswegen der Oben-ohne-Auftritt der Studentin Raouf für Aufsehen in den sozialen Medien. Unter Hashtags wie #barefacetrendmovement oder schlicht #bareface posten vor allem Frauen aller Altersgruppen ihr Make-up-freies Gesicht auf Instagram. Allerdings finden sich unter dem ersten Hashtag nur einige Dutzend Beiträge – ein Online-Phänomen sieht anders aus. Vorerst mangelt es den Frauen (und Männern) wohl noch am Mut zum Makel.
Denn machen wir uns nichts vor: Viele Menschen, die im Gegensatz zu Melisa Raouf nicht mit makellosen Gesichtszügen und strahlendem Teint gesegnet sind, mögen „bare face“ im Netz oder Alltag eher als Mutprobe denn als Selbstermächtigung empfinden. So jedenfalls geht es der Autorin dieses Textes, deren Haut sich nicht entscheiden kann, ob sie noch Akne oder schon Falten produzieren möchte.
Und so ist der Wunsch nach mehr Natürlichkeit, insbesondere da, wo er von idealschönen Menschen in die Welt gerufen wird, vielleicht gar nicht so „empowernd“, wie man allgemein annehmen darf. Denn so sehr wir nach den Bildchen perfekt geschminkter Schönheiten lechzen, so sehr wissen wir doch um den Charakter der Gemachtheit. Viel zu oft greift die Kritik an den inszenierten und geschönten Bildwelten von Instagram zu kurz. Wir wissen ja, dass Bilder auf jeder Ebene des Entstehungsprozesses manipuliert werden können.
War Schönheit einst vor allem ein genetischer Zufall, dem man – sofern man über das nötige Kleingeld verfügte – mit entsprechenden OPs und Treatments etwas auf die Sprünge helfen konnte, avancierte sie im Zeitalter von Social Media zu einer absolut demokratischen Größe. Schönheit ist kein Zustand mehr, kein Besitz – etwas, das man hat oder nicht hat; sie gewinnt eher den Charakter einer medialen Performance. Man muss nur die technischen Voraussetzungen erfüllen (etwa über eine leistungsfähige Handykamera mit Profifeatures verfügen), um schönheitstechnisch partizipieren zu können. Fake it till you make it – das gilt auch für die glatte Haut.
Vielleicht erinnern sich Leser an die Hochphase des Prominenten-Shamings der 2000er-Jahre, als Paparazzi alles dafür taten, Stars und Sternchen ungeschminkt abzulichten, um die Realität von Akne, Falten und Cellulite zu „entlarven“. Jedenfalls für mich war das nie Anlass zu Schadenfreude, eher schon Mitleid über die Genossinnenschaft im Club der nicht allzu Perfekten, der Menschen also. In diesem Sinne ist es nur allzu menschlich, wenn wir Normal- bis Mäßig-Schönen weiterhin täglich ins Make-up-Täschchen greifen. Wenn schon Blenden, dann eben richtig.