Darf man sein Kind Adolf nennen? Um diese heikle Frage tänzelte eine Familienkomödie von Sönke Wortmann aus dem Jahr 2018 heiter und so erfolgreich herum, dass jetzt eine Fortsetzung nachgeschoben wurde. Letztere trägt – das kann man auch als mediale Reflexion auf Teil 1 und Teil 2, auf Vor- und Nachgeschichte verstehen – den Titel: „Der Nachname“.
Nachdem in „Der Vorname“ im bissigen Kammerspiel das Für und Wider einer Freimachung von historischen Ketten diskutiert wurde, dreht sich in „Der Nachname“ alles um den neuen Namen der frisch vermählten Mutter: „König“ steht jetzt auf den an sie adressierten Briefen. Iris Berben, Anfang 70, spielt das Familienoberhaupt, das einen viel jüngeren Mann geheiratet hat – der, Freud lässt grüßen, auch noch ihr Pflegesohn ist. Deren inzestuöse Beziehung wurde am Ende des Vorgängerfilms enthüllt – zum Schock der Geschwister Thomas (Florian David Fitz) und Elisabeth (Caroline Peters), die ihren Bruder René immer für schwul gehalten hatten.
Jetzt kann man im Kino beobachten, wie Thomas und Elisabeth mit ihren Partnern Anna (Janina Uhse) und Stephan (Christoph Maria Herbst) nach Lanzarote reisen, um das heimlich getraute Paar Dorothea und René König – nomen est omen – dort auf ihrem prächtigen Anwesen zu besuchen. Stephan ist Literaturprofessor mit der Aussicht, bald Dekan zu werden, Anna erfolglose Schauspielerin, ihr Mann Thomas wünscht sich ein zweites Kind, das hoffentlich ein Junge wird, und Anna steht dazu, ihren Mann mit einem Sportlehrer zu betrügen.
Ein Familientreffen ohne Streit, so lautet die beim Roadtrip über Vulkanlandschaften getroffene Abmachung. Doch dass es das nicht geben kann, und besonders nicht in einer Familie, deren Fundament aus so vielen Geheimnissen besteht wie das der Böttchers/Königs/Bergers, kann man sich auch ohne die literaturwissenschaftliche Expertise eines Professor Stephan Berger denken.
Dass Mutter und Pflegesohn heiraten und sie seinen Namen annimmt, ist nämlich nur der Anfang einer munteren Reihe an Skandalen. Wie viel, rechnen die Geschwister aus, bleibt jetzt überhaupt noch vom Erbe? Die sonstigen Pointen und Lügen, von denen jede Figur mindestens eine mit sich herumträgt, sollen an dieser Stelle nicht verraten werden. Nur so viel: Es kommt alles ans spanische Sonnenlicht.
„Name ist Schall und Rauch“
Die Prämisse von der „Nachname“ ist nicht so präzise und originell wie die in „Der Vorname“. Statt der weltgeschichtlichen Dimension steht hier die familiengeschichtliche im Vordergrund, und auch da fungiert das Tabu des neuen Nachnamens, der die Erinnerung an den toten Vater zum Verschwinden zu bringen droht, eher als MacGuffin, von dem ausgehend allerlei andere Individualprobleme thematisiert werden. Dafür wirken die Dialoge hier insgesamt natürlicher, dynamischer und lustiger – und dank Rückblenden auch ohne Kenntnis des ersten Teils verständlich. Regisseur Sönke Wortmann liefert, wie man es von ihm kennt, lockere Unterhaltung, die zugleich klassisch-antiken Anforderungen gerecht wird.
Eine Wendung reiht sich an die nächste. Keine der Wirrungen ist fatal, aber sie sind eben auch nicht nichts. Das Sich-Aufhängen an Namen – „Name ist Schall und Rauch“, wird an einer Stelle Goethe zitiert – ist paradigmatisch für dieses Changieren zwischen Bedeutung und Bedeutungslosigkeit. Wie wichtig ist es wirklich, ob jemand Dekan wird? Wie schlimm eine Affäre? Und ist der Inhalt des verbotenen Raums in Dorotheas Haus tatsächlich so schockierend, wie die Familienmitglieder bei seiner Entdeckung durchscheinen lassen?
Selbst der tragischste aller Konflikte – der des Ödipus – wird von Sönke Wortmann entdramatisiert und einer herrlichen Lächerlichkeit preisgegeben. Dass schließlich auch die hübsche Spanierin, die als Deus ex machina und Projektionsfläche auftritt, auf unvorhersehbare Weise in die Familienhistorie verstrickt erscheint, macht die Farce vollkommen.
„Man muss unterscheiden, ob die handelnden Personen für sich selbst komisch sind oder nur für die Zuschauer. Das erstere allein ist zur wahren Komik zu rechnen“, formulierte der Philosoph Hegel ein Ideal, dem die sich selbst zu keiner Zeit ernst nehmenden Figuren alle Ehre machen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich „Der Nachname“ von anderen prominenten Kammerspielen, in denen Familienmysterien im klaustrophobischen Zusammenprall zur Katastrophe avancieren. Wortmann entwirft keine dramatische Steigerung, keine tragische Unentrinnbarkeit der sich sukzessiv aufschaukelnden Konfrontation, wie sie etwa in „Der Gott des Gemetzels“, „Das perfekte Geheimnis“ oder „8 Frauen“ stattfinden.
Vielmehr inszeniert er eine Welt der Dauersaturiertheit, in der man aus Langeweile beleidigt spielt und Probleme erfindet, damit überhaupt etwas passiert im vor sich hin plätschernden Wohlstandskosmos. Mit Žižek gesprochen ist das der „Schein in seiner Reinform: Er entsteht nicht, wenn wir ein irreführendes Bild erzeugen, um eine Überschreitung zu verbergen, sondern wenn wir vortäuschen, dass es da eine Überschreitung gibt, die wir verbergen“. Einerseits erwächst daraus eine Wirklichkeit der doppelten Täuschung, des Vortäuschens des Täuschens, das nicht einmal mehr der Lüge erlaubt, echt zu sein. Anderseits zeigt sich, und womöglich liegt da ein Trost: Die anderen können manchmal auch der Himmel sein.