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Traumberuf? Geht bloß nicht in die Werbebranche!

Idol aller Kreativdirektoren: Don Draper aus „Mad Men“ als Wachsfigur Idol aller Kreativdirektoren: Don Draper aus „Mad Men“ als Wachsfigur
Idol aller Kreativdirektoren: Don Draper aus „Mad Men“ als Wachsfigur
Quelle: Getty Images/Noam Galai
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Das größte Glück der Generation X war ein Job in der Werbung. Für gute Ideen gab es noch besseres Geld, rauschende Partys und grenzenlosen Glamour. Für den Kater hat das Internet gesorgt – aber ganz anders, als es die Alten erzählen. Ein Veteran rät der Generation Z, was sie lieber werden sollte.

Stell dir vor, du bist neunzehn. Du stehst beruflich ganz am Anfang, hast gerade deine Ausbildung als Werbekauffrau oder Mediengestalter begonnen. Und dann sagt dein Chef in der allgemeinen Montagsbesprechung: „Das Geschäft lief letztes Jahr bombig; unser Agenturausflug geht dieses Jahr nach New York.“

Ein Märchen? Nein, so sah die Wirklichkeit in jener Goldgräberzeit Ende des letzten Jahrtausends aus. Und zwar nicht nur in Hamburg, der traditionellen Werbehauptstadt Deutschlands, sondern auch in der Provinz, zum Beispiel in Trier.

Die Branche erlebte damals einen doppelten Boom. Zum einen verdiente sie wie eh und je am Printgeschäft. Für jede geschaltete Annonce, für jede gedruckte Broschüre erhielt sie 15 Prozent „Agenturprovision“. Da kam bei einem 200-Seiten-Katalog in 100.000er-Auflage und all den Stellenanzeigen, die damals die Zeitungen dick machten, einiges zusammen. Es war leicht verdientes Geld.

Zum anderen tat sich mit dem Internet ein neues Geschäftsfeld auf. „Wir brauchen dringend eine Website!“ Dieser panische Ausruf vieler Firmen verhallte nicht ungehört. Werbeagenturen machten es sich zunutze, dass man auf Kundenseite nicht wusste, welcher Aufwand mit der Gestaltung und Programmierung eines Internetauftritts verbunden war. Da wurde an manche Kalkulationen einfach eine Null drangehängt – die Kunden zahlten, ohne zu murren.

Doch eben jenes World Wide Web, das in seiner Anfangszeit den Werbern absurde Summen in die Taschen spülte, sollte ab den Nullerjahren das traditionelle Agenturgeschäft unterhöhlen. Unternehmen auf Mitarbeitersuche machten die Erfahrung, dass eine Stellenanzeige im Internet die gleiche Wirkung hat wie in einer Zeitung – aber nur einen Bruchteil kostet.

Kreativität nach Maß

Zudem stellten sie fest, dass man nicht jeden Prospekt drucken muss. Es reicht aus, ein PDF ins Internet zu stellen. Für das, was an kleineren Printaufträgen noch bleibt, braucht man keine Agentur, die Provisionen einstreicht. Im Zeitalter der Onlinedruckereien verschicken die Firmen ihre Druckdateien selbst. Und auch mit Websites lässt sich kaum noch Geld verdienen. Seitdem im Internet billige Homepage-Baukästen angeboten werden, verzichten viele kleinere Betriebe auf die Dienste professioneller Werber und basteln ihren Webauftritt selbst.

Die digitale Welt hat aber nicht nur das Brot-und-Butter-Geschäft der Agenturen zerstört, sondern auch deren inhaltlichen Kern: die Kreativität. Das ganze 20. Jahrhundert hindurch hatten Werber in dieser Hinsicht Narrenfreiheit. Dies lag daran, dass sich der Wirkungsgrad ihrer Ideen nicht messen ließ.

„Die Hälfte meiner Werbung ist rausgeschmissenes Geld. Ich weiß nur nicht, welche Hälfte“, hatte schon Henry Ford geklagt. Wenn ein neues Produkt auf dem Markt scheiterte, konnte die Reklame daran schuld sein. Es konnte aber auch an tausend anderen Dingen liegen, zum Beispiel an einem schlechten Vertrieb oder daran, dass das Produkt an den Kundenbedürfnissen vorbeizielte – wer wusste das schon!

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Werbung erfolgte nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“. Man probierte etwas aus – und wenn es nicht funktionierte, schlug man einen anderen Weg ein. Dadurch hatten Werber ein hohes Maß an kreativer Freiheit. Nur die Idee zählte. Wenn diese den Kunden begeisterte, hatte man die entscheidende Hürde genommen.

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Heute hingegen beginnt mit der Idee ein langer Hindernisparcours, an dessen Ende die Kreativität auf der Strecke geblieben ist. Jene, die in Unternehmen bei Kampagnen das Sagen haben, sind nicht länger die Marketingfachleute, sondern die Mathematiker. Controller beurteilen anhand von Klickquoten den Wirkungsgrad von digitalen Werbeaktionen. Die „Messbarkeit“ ist zum Mantra des modernen Marketings geworden. Was nicht statistisch erfasst werden kann, hat für die Unternehmensentscheider keine Relevanz. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Werbung – in jeder Hinsicht – immer berechenbarer wird.

Zudem hat sich mit der Digitalität das Verhältnis zwischen Unternehmen und Kunde grundlegend geändert. Im analogen Zeitalter, als Werbung ausschließlich über Fernsehen, Radio, Zeitungen, Zeitschriften und Postwurfsendungen erfolgte, war Marketing eine kommunikative Einbahnstraße. Das Unternehmen dozierte, der Kunde rezipierte. Das Ganze ähnelte dem althergebrachten Frontalunterricht in der Schule. Es ging darum, durch stetige Wiederholung den „Lernstoff“ (also die Werbebotschaft) im Kopf des Adressaten zu verankern.

Werbetexter und Art-Direktoren heute
Werbetexter und Art-Direktoren heute
Quelle: picture-alliance / Jochen Günther

Das klappte hervorragend. Slogans wie „Persil, da weiß man, was man hat“, „Schwäbisch Hall, auf diese Steine können sie bauen“, „Mars macht mobil, bei Arbeit, Sport und Spiel“ und „Komm doch mit auf den Underberg“ haben sich bei den Kindern der Siebzigerjahre ins kollektive Bewusstsein eingebrannt.

Solche Holzhammerwerbung war nicht witzig, aber wirkungsvoll, weshalb der Kolumnist Max Goldt bereits 1990 diese plumpe Form der Reklame gegen die „Cannes-Rollen-Werbung“ verteidigte: „Ich will den guten alten deutschen Werbespot, der vor Klischees strotzt und den Konsumenten für dumm verkauft! Klassische Szenen wie die Hausfrau, die weinend dreckige Laken aufhängt, und da kommt zufällig die beste Freundin vorbei und hat zufällig, wat’n Glück, das beste Waschmittel wo gibt dabei!“

Aus und vorbei! Mit den digitalen Kanälen hat die Basisdemokratie Einzug ins Marketing gehalten. Aus dem Dozieren ist ein Interagieren geworden. Mehr noch: Die sozialen Netzwerke haben die Machtverhältnisse in der Werbekommunikation auf den Kopf gestellt.

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Im analogen Zeitalter blieb enttäuschten Kunden nur die Kaufverweigerung. Allenfalls konnten sie im Freundeskreis vor einem Hersteller und dessen Produkten warnen. Heute hingegen haben sie die Möglichkeit, sich auf Facebook, Instagram und Twitter zu beschweren. Über die Kommentarfunktion oder eigene Posts können sie ihrer Verärgerung öffentlichkeitswirksam Ausdruck verleihen. Dadurch verfügen sie über ein Machtinstrument mit Erpressungspotenzial – was vor allem Trolle und Querulanten gern nutzen.

So können Salzgebäckhersteller ein Lied davon singen, dass in den Kommentarspalten ihrer Facebook-Fanseiten regelmäßig behauptet wird, in den Tüten wäre zu wenig Gebäck und zu viel Luft. Und ebenso regelmäßig stellen die Hersteller klar, dass die Luft notwendig sei, um ein Zerbröseln des Salzgebäcks bei Transport und Lagerung zu verhindern.

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Um genau zu sein: Es sind nicht die Salzgebäckhersteller, die dies klarstellen, sondern ihre Social-Media- oder Werbeagenturen. Vor allem Letztere sind froh, ein neues Betätigungsfeld gefunden zu haben. Denn in Zeiten, in denen sich selbst mittelständische Unternehmen einen eigenen Grafiker leisten, der typische Agenturaufgaben wie Flyerdesign und Etikettenadaptionen übernimmt, sind die Auftragsbücher vieler Werber ziemlich leer geworden. Da kommt das Social-Media-Marketing gerade recht.

Für einen Bruchteil dessen, was früher die Gestaltung einer Printanzeige kostete, entwerfen sie das digitale Äquivalent für die sozialen Netzwerke: den Post. Da solche Posts alle zwei bis drei Tage erscheinen, macht hier die Menge den Umsatz. Soweit die Kür. Die leidige Pflicht ist das Community-Management – der Umgang mit den mal mehr, häufig weniger qualifizierten Kommentaren zu den jeweiligen Posts.

Agenturen haben dabei relativ viel Handlungsspielraum. Die Firmen sind froh, wenn ihnen jemand die undankbare Arbeit abnimmt, sich freitagabends oder sonntagmorgens mit notorischen Nörglern und aggressiven Aktivisten zu beschäftigen. In der Regel beschränken sich die Agenturen darauf, das Unternehmen über das Geschehen in den sozialen Netzwerken auf dem Laufenden zu halten.

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Genau an diesem Punkt muss etwa in der Kommunikation zwischen der Agentur und dem Ravensburger Verlag zuletzt etwas schiefgelaufen sein. In seiner Presseerklärung zum Auslieferungsstopp eines vermeintlich skandalträchtigen Kinderbuchs heißt es: „Wir haben die vielen negativen Rückmeldungen zu unserem Buch ‚Der junge Häuptling Winnetou‘ verfolgt.“

Doch wer sich auf Instagram den entsprechenden Post anschaut, entdeckt nur wenige ablehnende Stimmen. So schreibt „ichlesgernbuecher“: „Dieses Buch unterstützt redfacing und reproduziert Rassismus und ihr macht damit als Verlag Geld. Das geht gar nicht, nehmt dieses Buch aus dem Sortiment und bildet euch weiter!“ „shatinri“ klagt an: „Schämt euch“. „jodiertesspeisesalz“ fragt rhetorisch: „jetzt wollt ihr einen doch komplett verarschen oder“. „jaeexists“ appelliert: „do better Ravensburger“. „elchinito11“ grummelt mit einem grimmigen Emoji: „Wirklich enttäuschend“. Und „bellesfeee“ bellt: „Nooooo way“ – gefolgt von zwei Daumen, die nach unten zeigen. Sieht so ein Shitstorm aus? Nein, das ist allenfalls eine Unmutsbrise.

Doch diese reichte einer übervorsichtigen Agentur anscheinend schon aus, um dem Ravensburger Verlag von negativen Reaktionen auf den Instagram-Post zu berichten. Dort müssen prompt die Alarmglocken losgegangen sein und die Zuständigen derart in Panik versetzt haben, dass sie das Buch zurückzogen. Das lässt natürlich Zweifel an der mentalen Stärke der Ravensburger Entscheider aufkommen. Doch auch die hasenfüßige Agentur erscheint in keinem guten Licht.

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Unwillkürlich fragt man sich: Was ist aus dieser Branche geworden, die einst Inbegriff von Größenwahn und Großkotzigkeit war? Die sich rosafarbene Porsches, weißes Pulver und jede Menge Unverschämtheiten leistete. Unvorstellbar, dass ihr heute noch jemand eine Titelstory widmen würde, wie es die Zeitschrift „Tempo“ im Mai 1995 tat. Damals fixte sie ihre Leserschaft mit den Worten an: „Viel Geld, viele Partys: Die Glücklichen – Beruf Werber. Menschen, die den ganzen Tag Ideen haben. Wie man so einer wird“.

Das mit dem vielen Geld stimmt schon lange nicht mehr. Weil über Jahre hinweg Heerscharen von Kommunikationsdesignern und Mediengestaltern in einen schrumpfenden Markt gespült wurden, war es den Agenturen ein Leichtes, die Gehälter zu drücken – Handwerker verdienen mittlerweile mehr.

Die Partylaune ist einer Katerstimmung gewichen. Statt den ganzen Tag Ideen zu haben, müssen Grafiker miterleben, wie ihre einfallsreichen Designs so lange durch die Marktforschung gejagt werden, bis sie zur Unkenntlichkeit geschreddert sind. Noch trostloser ist die Lage für Werbetexter. Die Kunden verlangen nicht länger originelle Slogans, sondern suchmaschinenoptimierten Sprachmüll, der für ein hohes Ranking bei Google sorgt.

Und New York? Das ist nur noch ein Lied von Frank Sinatra. Und die Erinnerung daran, dass man die Flugtickets dorthin früher aus der Portokasse bezahlte.

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