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„Mutter Courage“ – Das langweiligste Theaterstück der Welt

Freier Mitarbeiter im Feuilleton
Leichen über Leichen: „Mutter Courage“ am Berliner Gorki Leichen über Leichen: „Mutter Courage“ am Berliner Gorki
Leichen über Leichen: „Mutter Courage“ am Berliner Gorki
Quelle: Ute Langkafel
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Mit dem Kriegsstück „Mutter Courage“ feierte das Ehepaar Brecht/Weigel einen seiner größten Theatererfolge – keine schlechte Idee, es jetzt wieder zu inszenieren. Das Berliner Gorki aber verrennt sich völlig. Das ist typisch für das deutsche Theater.

„Mutter Courage und ihre Kinder“ kann wirklich das langweiligste Theaterstück der Welt sein. Wer wüsste heute nicht, dass der Krieg schlimm ist, dass er das Leben der einen kostet und die Kassen der anderen füllt. Das kann man alles mit dem im Exil verfassten Werk von Bertolt Brecht zeigen, doch man könnte noch viel mehr zeigen, und zwar Interessanteres.

Der Autor selbst notierte in seinem Arbeitsjournal, der Krieg sei für ihn ein riesiges Feld – „nicht unähnlich den Feldern der neuen Physik“. Der kühle Blick eines Naturwissenschaftlers, der die Bewegung kleinster Teilchen untersucht, so könnte man an „Mutter Courage“ herangehen: als neugieriger Erforscher des Sozialen, nicht als Moraltrompeter. Man muss schon die Bewegungsgesetze kennen, wenn man ins Weltgetriebe fassen will.

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Als Brecht nach 1945 nach Deutschland zurückkehrte und mit dem Berliner Ensemble sein eigenes Theater gründete, war die „Mutter Courage“ einer seiner größten Erfolge. Helene Weigel zog den Karren über die Bühne, der heute noch im Brecht-Haus in Buckow ausgestellt ist. „Die Weigel“, wie es immer hieß, spielte groß auf – und alle anderen Schauspieler mit ihr.

Als die Theater wegen Corona geschlossen wurden, zauberte das Berliner Ensemble aus dem Archiv einen Filmmitschnitt hervor. Und obwohl in Schwarzweiß und mit dünnem Ton, man konnte endlich sehen, dass hier – in Brechts eigener Inszenierung – etwas Großes gelungen war. Bis ins letzte Detail perfekt gearbeitet, zeigte sich Brecht als Theatermacher, als einer, der die Bühnenkunst beherrschte.

„Dennoch gehe ich fast nie mehr hin“

Mit „Mutter Courage“ ging das Berliner Ensemble auf internationale Tournee, mit dieser Inszenierung verbreitete es seinen guten Ruf in aller Welt. In Paris war das Publikum hin und weg, darunter auch ein junger Theaterkritiker, der meinte, einer Theaterrevolution beigewohnt zu haben. „Das ist der große Beitrag von Brecht: Sein Theater erspart sich die Predigt und ist dadurch viel mächtiger“, notierte der begeisterte Zuschauer. Sein Name war Roland Barthes.

Später bemerkte er: „Ich habe das Theater immer sehr geliebt, und dennoch gehe ich fast nie mehr hin“. Auf den gegenwärtigen Bühnen, die sich hinter Brecht zurückzufallen große Mühe geben, bleibt einem selten die Predigt erspart. Man versteht Barthes nur zu gut.

Am Sonntag feierte „Mutter Courage“ am Berliner Maxim-Gorki-Theater Premiere, Regie führte Oliver Frljić, der inzwischen Teil der künstlerischen Leitung des Hauses ist. Frljić meint es gut mit dem Zuschauer. Auf der Bühne stapelt er zum einen Leichen über Leichen, nackte ausgemergelte, in Müllsäcken verpackte oder in Alltagsklamotten. Wer bis dahin nicht wusste, dass es sich um ein Stück über den Krieg handelt und dass Krieg eine schlimme Sache mit vielen Toten ist, ist nun informiert.

Zum anderen vertraut Frljić auf sein Publikum, dass es mit dem Stück und der Handlung vertraut ist, denn auf der Bühne ist davon – der Strichfassung und der Spielweise gedankt – nicht viel Zusammenhängendes zu sehen. Und damit es nicht zu einfach wird, wechseln die Schauspieler alle paar Minuten die Rolle. Wer dabei nicht die Orientierung verliert, hat sich den Premierensekt jedenfalls redlich verdient.

Man kann natürlich schon der Meinung sein, dass „Mutter Courage“ eine einzige Anklage des Krieges und als solche eine Art „Stück der Stunde“ sei, nur macht diese Meinung schlechte Theaterabende. Die auch nicht besser werden, wenn beim Schlussapplaus Transparente entrollt und Parolen gerufen werden. Bloß gut, dass uns bei dieser Gelegenheit wieder einmal in Erinnerung gerufen wurde, dass „Mutter Courage“ das langweiligste Stück der Welt sein kann, wenn man es mit einer Predigt verwechselt. Nun weiß man, was geht und was nicht geht – und was man besser machen darf.

Brecht soll einmal gesagt haben, ihn interessiere letztlich das Theater mehr als die Veränderung der Welt. Das wünschte man sich beim Gegenwartstheater auch des Öfteren.

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