Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Kultur
  3. Die Biografie der Caroline Peters: Wie ich Recklinghausen mit Annie Ernaux zum Weinen brachte

Kultur Caroline Peters

Wie ich einmal Recklinghausen mit Annie Ernaux zum Weinen brachte

Redakteur Feuilleton
Demnächst in Sönke Wortmanns "Der Nachname" zu sehen: Caroline Peters Demnächst in Sönke Wortmanns "Der Nachname" zu sehen: Caroline Peters
Demnächst in Sönke Wortmanns "Der Nachname" zu sehen: Caroline Peters
Quelle: Rafaela Pröll
Caroline Peters wurde durch die Eifel-Serie „Mord mit Aussicht“ bekannt. Da war sie allerdings schon seit vier Jahren gefeierte Burgschauspielerin in Wien. Die Stadt hat sie sich erlesen und erlaufen mit Büchern im Kopf und unterm Arm. Eine Autorin war ihr dabei besonders hilfreich.

Irgendwer hat mal geschrieben – das war zu dem Zeitpunkt, als Caroline Peters mit der Eifel-Crime-Serie „Mord mit Aussicht“ als nach Hengasch/Landkreis Liebernich versetzte Kölner Kommissarin Sophie Haas bundesweit berühmt wurde –, sie könne die komplette Bibel spielen, ohne überhaupt ein Wort zu verlieren. Nur mit ihrem Gesicht. Das ist natürlich übertrieben. Aber nur ein wenig. Und ein bisschen schade jetzt. Weil uns diesmal nur ihre Stimme bleibt.

Caroline Peters – 1971 in Mainz geboren, in Köln aufgewachsen, in Saarbrücken zur Schauspielerin ausgebildet – lebt nämlich in Wien. Und ist auf dem Sprung nach Berlin. In Wien ist die Tochter eines Psychiaters und einer Literaturwissenschaftlerin seit 2004 Burgschauspielerin. In Berlin wird sie an der Schaubühne spielen in Inszenierungen von Simon Stone, einem ihrer Lieblingsregisseure. Da ist das Haus immer ausverkauft, sagt sie, im Burgtheater ist das nach Corona eher nicht so. Was ihr schon Sorgen macht. Fürs Theater, das sie braucht, für das sie brennt.

Lesen Sie auch

Im Kino ist Caroline Peters ab dem 20. Oktober mit Justus von Dohnányi und Iris Berben in Sönke Wortmanns „Der Nachname“ zu sehen. Im Fernsehen läuft am 29. Oktober die neue Folge ihrer ZDF-Reihe „Kolleginnen“.

Astrid Lindgren: Die Brüder Löwenherz

Die Kinderbücher, die mich am meisten ergriffen haben, waren die von Astrid Lindgren. Über die Reihenfolge, in der sie in mein Leben getreten sind, bin ich mir gar nicht so sicher. Ich glaube, Pippi Langstrumpf war das Erste, was mir meine Mutter vorgelesen hat. Dann kam „Ronja Räubertochter“. Das fand ich absolut fantastisch, weil die so clever war und alles selber machen konnte und im Wald gelebt hat, was man ja als Kind komischerweise wahnsinnig attraktiv findet, in der Natur und im Wald zu leben.

Und dann kam, das hat mir, das weiß ich noch, meine Großmutter zu Weihnachten geschenkt, „Brüder Löwenherz“. Da war ich elf oder zwölf. Das habe ich ausgepackt und angefangen zu lesen und konnte nicht damit aufhören, bis ich es durch hatte. Und ich musste, wie wahrscheinlich alle, wahnsinnig weinen.

Lesen Sie auch

Aber ich fühlte mich auch irgendwie erwachsener. Das hatte ich allein durchgelesen, hatte für mich selbst die Zeit darüber verloren. Das war ganz, ganz traurig, und ich bin trotzdem drangeblieben, hab nur nachts mal kurz zwei Stunden geschlafen und morgens gleich weitergelesen. Dass man von einer Geschichte so derart gefesselt sein kann.

Außerdem begegnet einem als Kind der Tod so oft ja nicht, jedenfalls nicht in der Literatur. Man beschäftigt sich nicht mit dem, der ist was für blöde Erwachsene. Und es war sehr wichtig für mich, dass so junge Kinder – die Brüder Löwenherz sind ja Kinder – sich mit all den Fragen beschäftigen und mir das erklärten, dass ich mit denen in einem Boot saß und nicht mit Erwachsenen, die einen kindlich behandeln. Dass ich als Kind einen erwachsenen Zugang zum Tod bekam.

Joe Hembus: Charlie Chaplin

Von dort ging mein Leseinteresse nahtlos in Biografien über. Eine der ersten war die von Charlie Chaplin. Das muss Mitte der Achtziger gewesen sein. Ich weiß noch, dass ich es in den Ferien gelesen habe. Das war ohnehin meine Lieblingslesezeit. Wir waren in Frankreich, meine Eltern hatten ein Ferienhaus gemietet, und das Buch lag da zufällig rum. Das war eine fantastische Erzählung.

Lesen Sie auch

Chaplins Leben und die Entstehung des Films. Wie er aus dem Vaudeville-Theater zum Stummfilm kommt. Er wächst in großer Armut auf und ist dann einer der allerersten Weltstars und Hollywood-Millionäre, und eine ganze Branche arbeitet sich mit ihm zu dem hoch, was wir jetzt als Filmwelt kennen. Wie er mit dem Zug durchs ganze Land fährt und überall stehen Tausende von Menschen an den Bahnsteigen und winken ihm zu. Er beschreibt sehr genau, wie sein Leben in einer Art Verlorenheit beginnt und in Reichtum mündet – und was das mit ihm gemacht hat.

Ulrich Hoppe: Casablanca

Anzeige

Aber vielleicht sollte ich chronologisch weitererzählen. Vor den Romanen war die Phase zwischen Kinderbuch und Bücher für Erwachsene. Bei mir wurde das zur Phase Filmbuch. Ich war aus irgendeinem Grund verliebt in den Film „Casablanca“ mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman. Ich habe ununterbrochen Bücher darüber gelesen. Da gab es in den Achtzigern diese Filmbücher vom Heyne Verlag mit Fotos von den Filmen und Texten über die Dreharbeiten, über das Leben der Schauspieler. Da gab es endlos Material, das hatte ich gefühlt tonnenweise. Und alles hab ich verschlungen.

Carl Zuckmayer: Als wär’s ein Stück von mir

Meine Mutter hat mich dann mit Carl Zuckmayers Autobiografie zusammengebracht. „Als wär’s ein Stück von mir“. Ich wusste da noch nicht so genau, dass ich mal Schauspielerin werden wollte. Das hat sich damals irgendwie in mir angebahnt. Vielleicht hatte ich deswegen so ein Faible für diese Geschichten, vielleicht hat mich das deswegen so mitgerissen, weil sich alles in der Zeit gerade in diese Richtung geschuppelt hat, ohne dass ich selbst das wusste.

Jedenfalls ist das ein fantastisches Buch. Weil man da so hineingezogen wird in die Welt der Zwanziger in Berlin. Was es da gab, welche Stücke, welche Premieren, welche Dichter wo auftraten, wie sie miteinander umgehen. Und wie dann die Nazis kommen, und wer dann vor denen wie flieht und wohin, und wie sie damit umgehen, dass sie verbotene Autoren sind, und wer dann noch mit wem befreundet ist, und wer wen verrät.

Zuckmayer ist leider heute völlig verloren gegangen, aber „Als wär’s ein Stück von mir“ ist immer noch wahnsinnig leidenschaftlich und mitreißend. Ich hab das auch vor ein paar Jahren noch einmal gelesen und war dann wieder genauso gepackt, mitgerissen wie damals.

Lesen Sie auch

Thomas Wolfe: Es führt kein Weg zurück

Und dann kam die Schauspielschulzeit. Da konnte ich nur noch in den Ferien lesen. Dann aber gern große Schinken und Romane. Und ich bin ein großer Fan von Thomas Wolfe geworden. Und von „Es führt kein Weg zurück“. Das ist ein Roman, der auch im Berlin der Dreißiger spielt und die Biografie eines Künstlers erzählt, der durch Deutschland reist kurz nach dem „Anschluss“ Österreichs. Überall sagt er, was er alles an Deutschland toll findet und was verschwindet, zerstört wird. Und er kann es gar nicht fassen.

Er geht zurück nach Amerika, dabei schlägt sein Herz eigentlich doch nach dem wilden europäischen Künstlertum. Aber das frisst sich gerade selbst auf. Thomas Wolfe schreibt so ergreifend, so monumental. Man sieht alles vor sich, hat die ganzen Bilder auch Jahre später noch im Kopf. „Es führt kein Weg zurück“ hatte ich bei jedem Umzug gleich obenauf zu liegen, weil ich immer drin blätterte und bestimmte Stellen doch sehr mochte.

Lesen Sie auch

Jonathan Franzen: Freiheit

Irgendwann habe ich dann alles gelesen, was so angesagt war. „American Psycho“ zum Beispiel. Nicht viel davon hat mich so ganz tief abgeholt. Bei manchem weiß ich noch, dass es mich gepackt, mitgerissen hat, ohne dass ich jetzt noch so ganz genau wüsste, warum das eigentlich passiert ist.

Anzeige

Mit Jonathan Franzens „Freiheit“ ist mir das so gegangen. Als ich damit angefangen hab’, konnte ich drei Tage fast nicht aus dem Haus gehen, weil ich nur noch weiterlesen wollte. Aber was mich daran fasziniert hat? Ich kann mich an das Leseerlebnis sehr gut erinnern, aber sehr schlecht an den Roman. Dass es da natürlich um Freiheit ging und um Frauenleben, weiß ich noch. Das ist schon komisch, dass das so wenig Spuren hinterlassen hat. Vielleicht sollte ich es noch mal lesen.

Lesen Sie auch

Ingeborg Bachmann: Requiem für Fanny Goldmann

Aus Caroline Peters' Bücherschrank: Ingeborg Bachmanns "Malina"
Aus Caroline Peters' Bücherschrank: Ingeborg Bachmanns „Malina“
Quelle: Suhrkamp/WELT

Als ich anfing, mehr und mehr in Wien zu arbeiten und dann auch peu à peu hierhergezogen bin, entdeckte ich Ingeborg Bachmann für mich. Weil man sich mit ihr diese Stadt erlesen kann. Sie schreibt so unglaublich viel über diese Stadt, wie sie strukturiert ist, welche Familien hier wie zählen. „Malina“ fand ich großartig.

Wichtig für mich war aber der Todesarten-Zyklus. Das ist ja kein abgeschlossenes Werk. Der Zyklus ist auf ziemlich verschiedene Arten erschienen. Piper hat immer mal wieder versucht, alle Geschichten in einem Band zusammenzufassen. Ich habe das nie kohärent gelesen, sondern immer nur darin herumgestöbert. Das ist wie ein Labyrinth von Geschichten, die irgendwie alle zusammenhängen und wo immer wieder plötzlich eine Figur auftaucht aus einer Geschichte, die man drei Jahre früher gelesen hat.

So entsteht ein Bild von Wien und wie es sich in den Fünfziger-, Sechziger-, Siebziger- Jahren entfaltet. Wie die Stadt sich entwickelt hat, als das ganze österreichisch-ungarische Reich nicht mehr an ihr klebte. Da gibt es eine fantastische Erzählung. „Requiem für Fanny Goldmann“ heißt die. Und sie handelt von einer Schauspielerin am Burgtheater und wie es der so geht, was die für ein Leben führt.

Das hat mich selbstredend besonders interessiert. Da kommen all die Plätze vor, an denen ich selber gerade entlanggegangen bin. Es hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht, die Orte aufzusuchen, die Ingeborg Bachmann da beschreibt.

Edmund de Waal: Der Hase mit den Bernsteinaugen

Zurück zur Erwachsenen-Lektüre. Eine ähnliche Erfahrung wie mit Ingeborg Bachmann hatte ich ein paar Jahre später mit Edmund de Waals „Hase mit den Bernsteinaugen“. Das hat mich wegen der Erzählweise, das ist ja ein Dokumentarroman, unglaublich fasziniert. Und wegen des Gebäudes, in dem die Geschichte spielt, in dem die jüdische Familie Ephrussi wohnt, deren Nachkomme de Waal ist. Und in dem die Nazis ihr Hauptquartier aufgeschlagen haben.

Das liegt ein paar Häuser vom Burgtheater entfernt. Da kam ich immer vorbei, während ich das las, und konnte mir das alles genau angucken. Der Fries an der Decke, der im Buch beschrieben wird, kann man von der Straße aus sehen, wenn man so schräg reinblinzelt. Dann gab es eine Ausstellung dazu in Wiens Jüdischem Museum. Und Edmund de Waal durfte für das Kunsthistorische Museum ins Magazin gehen und eine Ausstellung nach seinem Belieben kuratieren und damit etwas erzählen über die Kunstgeschichte.

Das hat mir sehr gutgetan. Mir mit Büchern und Bildern die Stadt in einem anderen Land zu erschließen, die mir sehr neu und fremd ist, sie zu greifen. Und die Realität im Buch immer wiederzufinden. Und umgekehrt.

Annie Ernaux: Die Scham

Aus Caroline Peters' Bücherschrank: Annie Ernaux' "Die Scham"
Aus Caroline Peters' Bücherschrank: Annie Ernaux' „Die Scham“
Quelle: Suhrkamp/WELT

Mit Annie Ernauxs „Die Scham“ hatte ich gerade ein ganz besonderes Erlebnis. Das hatte ich gelesen, weil ich das bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen vorstellen sollte. „Die Scham“ ist ja unter anderem deswegen ein so interessantes Buch, weil Annie Ernaux so einfach und sachlich beschreibt. Und damit so viel erlebbar macht.

Wie ihr Elternhaus ausgesehen hat. Wie die Elternhäuser ihrer Mitschüler ausgesehen haben. Ernaux übersetzt ein Leben in neutrale Zahlen – was bedeutet das, wenn man schon eine Toilette hat mit einem Abzug, während die andern noch aufs Plumpsklo gehen.

Das war für mich, als ich das für mich allein gelesen hatte, sehr nüchtern und interessant und toll, wie genau sie sich und ihr früheres Leben beobachten kann. Und dann war ich in Recklinghausen. 500 Leute waren da, alle in einem Alter, dass man annehmen konnte, sie haben die Nachkriegszeit als Kinder bewusst erlebt. Also die Zeit, in der „Die Scham“ spielt.

Lesen Sie auch

Nur waren wir eben nicht in der französischen, sondern in der deutschen Provinz, in der wahnsinnig viel zerstört worden war im Zweiten Weltkrieg. Die Leute haben fast geweint. Sie waren total berührt von der Geschichte. Hinterher sollte ich im Foyer auf einmal Autogramme in das Buch geben. Ich bin ja gar nicht die Autorin, habe ich gesagt. Aber die Berührung durch das Thema war so stark, dass ich quasi in Ernauxs Schuhen dastand.

Der Buchhändler an dem Abend war vollkommen überrascht. Der hätte jedem einzelnen Zuhörer ein Buch verkaufen können, er hatte aber nicht genug dabei. Alle, die mich ansprachen, hätten am liebsten stundenlang von sich und ihren Erfahrungen gesprochen, angeregt durch diesen Text. Das hat mich sehr berührt. Dass ein so intellektuell gehyptes Buch Menschen so direkt und emotional ansprechen kann.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema