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Kultur Pariser Nationalbibliothek

Im Paradies der Folianten

Korrespondentin in Paris
20.000 Werke sind allein im Freihandbereich zugänglich 20.000 Werke sind allein im Freihandbereich zugänglich
20.000 Werke sind allein im Freihandbereich zugänglich
Quelle: picture alliance / abaca
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In Paris wurde die Nationalbibliothek wieder eröffnet. 260 Millionen Euro kostete die Renovierung des 58.000 Quadratmeter großen Bücherschlosses im Herzen der Stadt. Zwölf Jahre hat sie gedauert. Glücklich über das Ergebnis sind nicht alle.

Als der Regisseur Alain Resnais für seinen Dokumentarfilm „Alles Gedächtnis der Welt“ durch die alte Pariser Nationalbibliothek streift und filmt, wirken seine Schwarz-Weiß-Bilder, als bewege er sich durch finstere Verliese, vollgestopft mit Holzkisten und Bücherstapeln, verstaubtes Papier weit und breit, vom Fußboden bis zur gewölbten Kellerdecke.

„In Paris hat man die Worte in der Nationalbibliothek eingekerkert“, sagt eine Stimme aus dem Off, während die Kamera die endlos scheinenden Regale voller in Leder gebundener Werke entlangfährt. Es ist das Jahr 1956, und Resnais behauptet: „Weil die Menschen Angst vor Worten haben, sperren sie diese weg.“

In der Rue de Richelieu, dem historischen Sitz der Pariser Nationalbibliothek, ist von dem alten Wortkerker nur noch die schöne Hülle geblieben: Offenheit, Transparenz, Licht und Zugänglichkeit war die Devise bei der Renovierung der alten Bibliothèque Nationale de France, kurz BnF genannt, die nach zwölf Jahren Baustelle am vergangenen Wochenende wieder öffnete.

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261 Millionen Euro hat die Generalüberholung des historischen Gebäudekomplexes gekostet, in den die Hofbibliothek von Franz I. 1721 eingezogen ist. Dieser hatte 1537 die Regel des dépôt légal, eingeführt, womit von allen Druckwerken ein Pflichtexemplar an die Hofbibliothek abgegeben werden musste.

Vieles hat sich verändert in diesem 58.000 Quadratmeter großen Bücherschloss im Herzen der Stadt, das unweit der Seine, zwischen Louvre und Garnier-Oper liegt. Der Besucher betritt das Haus nicht mehr von der Rue Richelieu, sondern der Rue Vivienne aus, wo Landschaftsgärtner, Künstler und Architekten einen fast 2000 Quadratmeter großen Garten aus Palmen und Gewächsen angelegt haben, die traditionell zur Papierherstellung dienten. Man könnte sich in Nizza wähnen.

Erdrückender Eingang wurde lichte Lobby

Die alte Ehrentreppe ist verschwunden, ersetzt durch eine Wendeltreppe aus Stahl und lackiertem Aluminium, was schon vor Jahren für erbitterte Proteste der Denkmalpfleger gesorgt hatte. Das Endergebnis ist überzeugend: Die Architekten Bruno Gaudin und Virginie Brégal haben den erdrückenden Eingang in eine lichte Lobby verwandelt und die Wege in dem Gebäudepatchwork durch einen gläsernen Wandelgang verkürzt.

Die Hauptaufgabe der beiden Architekten habe darin bestanden, in einem „architektonischen Palimpsest aus fünf Jahrhunderten wieder Einheit und logische, kurze Wege zu schaffen“, wie es Gennaro Toscano formuliert, der Begeisterung verströmende Konservator für Kulturerbe und Kollektionen am angegliederte kunsthistorischen Zentrum Ecole des chartes. „Wir geben den Pariser und allen Besuchern ein Schloss und einen Park zurück“, so Toscano.

Offenheit, Transparenz, Licht und Zugänglichkeit war die Devise bei der Renovierung
Offenheit, Transparenz, Licht und Zugänglichkeit war die Devise bei der Renovierung
Quelle: picture alliance / abaca

Aber vor allem von zwei kleinen Revolutionen ist in Paris die Rede: Der legendäre ovale Lesesaal steht fortan nicht mehr nur Forschern, sondern jedem offen. Der 18 Meter hohe Saal aus dem späten 19. Jahrhundert ist behutsam entstaubt und modernisiert worden, die ursprünglichen Regale und Lesetische wurden erhalten.

20.000 Werke stehen im Freihandbereich, darunter 9000 Comics, ein Großteil Mangas, was aus der Salle Ovale die größte Manga-Sammlung außerhalb Japans macht. Ein Korpus von 2000 Werken repräsentiert die französische Literatur, weitere 9000 Bücher decken geschichtliche, kunstgeschichtliche Themen und die Geschichte des Hauses selbst ab.

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Das Signal, das die Leitung damit aussendet, ist unmissverständlich. Man wolle sich „entschlossen einem breiten Publikum“ öffnen, sagt Chefin Laurence Engel bei der Eröffnung. Ganz offensichtlich will man nicht nur ein neues, junges Publikum anziehen, sondern auch eine Art Sehenswürdigkeit für sporadische Besucher schaffen. Leser, die sehr gezielt Bücher suchen oder breiter stöbern wollen, werden hier schnell an Grenzen stoßen.

Für Kunsthistoriker steht jetzt der atemberaubende Saal Labrouste ganz allein zur Verfügung. Im ovalen Lesesaal für die Öffentlichkeit steht „Mediation“ im Zentrum, so heißt das Modewort, gemeint ist Wissens- und Kulturvermittlung. Mithilfe von Bildschirmen darf man in die Geschichte des Hauses eintauchen oder durch ein Archiv von Digitalkunst stöbern.

Man wird früh aufstehen müssen

Einem Massenandrang werden die 128 Leseplätze allerdings nicht befriedigen können. Wer hier im historischen Ambiente lesen will, wird vermutlich früh aufstehen oder lange anstehen müssen.

Das breite Publikum will man außerdem durch ein neu geschaffenes Museum anziehen. Einige der schönsten Säle sind in Ausstellungsräume verwandelt worden, wo Besucher Einblicke in die sagenhafte Sammlung erhalten. Frankreichs Könige pflegten das, was man eine Museums-Bibliothek nennen kann – ein überdimensioniertes Kuriositätenkabinett. Und reicherten ihre Sammlung über die Jahrhunderte stetig weiter an.

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Von den mehr als 40 Millionen Büchern, Dokumenten und Objekten, über die beide Häuser der BnF verfügen, befindet sich etwa die Hälfte Rue Richelieu, die andere Hälfte, alle Druckerzeugnisse, wird in den vier Büchertürmen des von François Mitterrand 1998 eingeweihten neuen Hauses aufbewahrt.

Bei den zwanzig Millionen Stücken des Mutterhauses handelt es sich um Manuskripte, Landkarten, Stadtpläne, Zeichnungen, Drucke, Fotografien, Münzen, Medaillen, Schmuck, antike Kostbarkeiten, ja sogar Theaterkostüme, ein „weltweit einzigartiges, enzyklopädisches Kulturerbe“, wie es BnF-Chefin Engel formuliert.

Kiloschwere Schachfiguren Karl des Großen

Die erste Ausstellung zeigt unter dem Thema „Schätze“ („Trésors“) einige der kostbarsten Druck- oder Manuskriptexemplare der Sammlung: einen der zwölf Bände der Gutenbergbibel, die Noten von „Don Giovanni“, die Mozart mit gerade mal 30 flott auf das Notenpapier geworfen zu haben scheint, das Manuskript von Victor Hugos Roman „Notre Dame de Paris“, Casanovas Biografie, Roland Barthes „Fragmente einer Sprache der Liebe“.

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Abgesehen von diesen Kostbarkeiten, die aus konservatorischen Gründen nach drei, vier Monaten durch andere Objekte ersetzt werden müssen, kann man die teils kiloschweren Schachfiguren von Karl des Großen bestaunen, angefertigt aus Elfenbein, ein Geschenk des Kalifen von Bagdad, sowie den Thron Dagoberts, eine Schale aus purem Gold (2. Jhd. v. Chr.) oder dem ersten Globus, auf dem der amerikanische Kontinent eingezeichnet ist.

Gezeigt wird alles in der Galerie Mazarin, deren restaurierte, barocke Deckengemälde einzigartig in Paris sind. Der mächtige Jules Mazarin, der die Regierungsgeschäfte führte, bis 1661 der junge Ludwig XIV. die Herrschaft antrat, hatte für einen der Stadtschlösser der Rue Richelieu einen zusätzlichen Flügel bauen lassen.

Mazarin hätte gern Pierre de Cortone für die Deckengemälde gewonnen, doch der war schon mit der Decke des römischen Palazzo Barberini beschäftigt. Einer seiner Schüler, Giovanni Francesco Romanelli, übernahm deshalb Paris. Mazarins Neffe übermalte später die intimen Zonen der von Ovids „Metamorphosen“ inspirierten Nacktszenen mit sogenannten Keuschheitsschleiern. Die Restaurateure haben Brüste und Gesäße wieder freigelegt, aber Exemplare der Schleier aus historischen Gründen auch erhalten.

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Quelle: picture alliance / Xinhua News Agency

Während die Eröffnung des alten Hauses mit großem Pomp gefeiert wird, haben Bibliothekare der BnF nach massiven Stellenkürzungen einen Warnstreik angekündigt. Auch Wissenschaftlerinnen und Studenten protestieren gegen verkürzte Öffnungszeiten im anderen Haus, wo man nur noch an dreieinhalb Stunden pro Tag Bücher zur Konsultation bestellen kann.

„Das alte Haus hat jetzt eine schicke Fassade, hinter der sie schöne Dinge zeigen und viele Besucher anziehen werden, aber alles auf Kosten der eigentlichen Aufgabe einer Bibliothek“, protestiert ein Gewerkschafter. Der Schriftsteller Laurent Binet beklagt die „Disneylandisation“ der Pariser Nationalbibliothek.

Ein Buchkerker ist die Rue Richelieu sicher nicht mehr. Doch man habe, sagt Binet, aus dem ehrwürdigen Haus eine „Sehenswürdigkeit“ gemacht.

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