"Rimini" von Ulrich Seidl im Kino:Servus, Tristesse

"Rimini" von Ulrich Seidl im Kino: Dieser Mann ist eine Schau: Michael Thomas als Richie Bravo in "Rimini".

Dieser Mann ist eine Schau: Michael Thomas als Richie Bravo in "Rimini".

(Foto: Seidl Filmproduktion/Neue Visionen)

Ein Film über die winterlich trostlose Adriaküste, mit einem Schlager singenden Gigolo für österreichische Rentnerinnen. "Rimini" von Ulrich Seidl müsste schwer erträglich sein - ist aber seltsam faszinierend.

Von Tobias Kniebe

Wer hier zu lesen beginnt, angelockt vielleicht durch den Titel "Rimini", sollte gewarnt sein. Der Film spielt zwar wirklich in der Stadt an der Adriaküste, zumindest meistens. Um Italien geht es aber nicht, und um Italiener noch weniger. Zwei Einheimische dürfen ungefähr drei Sätze sagen, außerdem gibt es syrische Flüchtlinge, die aber stumm bleiben. "Rimini" ist eine innere Angelegenheit Österreichs.

Glaubt man dem Regisseur und Autor Ulrich Seidl, gibt es österreichische Pauschaltouristen im Rentenalter, die im Winter gern nach Rimini fahren. Dann stehen die Betonburgen mit Meerblick zwar leer, dichter Nebel liegt über der Stadt, und ein seelenzerstörender Wind pfeift über den Strand. Das stört diese Reisenden aber nicht, solange jemand in der Hotelbar "Amore" singt. Kein Italiener bitteschön, den würde man ja nicht verstehen. Sondern ein Österreicher mit Schlagerfuzzi-Vergangenheit. Auftritt Richie Bravo.

Richie Bravo ist nicht mehr jung, aber doch jünger als sein Publikum. Er war, wie man nicht nur in Österreich sagen würde, einst ein stattliches Mannsbild. Gegenwärtig fühlt er sich besser, wenn er Schlankheitsgürtel trägt. Es ist nicht ganz klar, ob er jemals wirklich erfolgreich war, aber er singt neben Udo Jürgens auch eigene Schlager, einige sogar, die speziell für den Film geschrieben wurden. Manchmal klingt sein Gesang so, als würde noch ein Traum von Musik in ihm glimmen. Meist aber ist da nur der tiefergelegte Schmelz eines routinierten Schwindlers.

Michael Thomas, Schauspieler, Sänger, Stuntman, einst österreichischer Vizestaatsmeister im Schwergewichtsboxen, spielt diesen Richie. Er ist eine Schau. Ulrich Seidl hat ihm die Rolle auf den mächtigen Leib geschrieben - im Grunde hat er den Mann sogar erfunden. Schon in Seidls Film "Import Export", vor siebzehn Jahren, tauchte Thomas auf. Im Grunde in derselben Rolle, als Kaventsmann mit prahlerisch beschworener, im Kern aber wackliger Libido und Persönlichkeit. Nach Drehschluss sang er damals Sinatra in der Hotelbar. So entstand die Idee für "Rimini".

Richie Bravo ist auch zur Stelle, wenn die Frauen Sex wollen

Noch etwas wackliger als Richie sind die Frauen, die sich von ihm einwickeln lassen. Er säuselt für sie ins Mikrofon und besucht sie in ihren Hotelzimmern, um Sex mit ihnen zu haben und Geld dafür zu kassieren. Ein spezieller Schlag Österreicherin im Rentenalter fährt im Winter anscheinend nach Rimini, um jene Sehnsüchte auszuleben, die Schlagermusik nun mal entfesselt. Mit Italienern aber bitteschön nicht, warum auch? Richie Bravo ist zur Stelle, er lebt ganzjährig in Rimini, in einer doch recht geräumigen Villa.

Ob man an die Existenz dieses Geschäftsmodells glaubt, ausgerechnet in Rimini, ist für den Film nicht so entscheidend. Ulrich Seidl braucht den Klang des Ortsnamens als Chiffre für bessere Zeiten - wie seine eigenen Sommerferien als Kind, die ihn einst nach Rimini führten. Vielleicht war er auch fasziniert von der speziellen Trostlosigkeit, die der einst legendäre Strand heute ausstrahlt, wenn er so kalt und verlassen und winterlich daliegt. Man kann darauf wetten, dass Seidl für seinen Film die absolut trostlosesten Ecken gefunden hat.

Auf diese Weise sieht Rimini genauso verloren aus wie das kalte Österreich, das Richie zweimal besucht, auf Heimaturlaub. Was einerseits ironisch und andererseits logisch ist. Er ist vor etwas geflohen, aber der Trostlosigkeit entkam er nicht. Das erkennt man, wenn er seinen dementen Vater im Rollstuhl durchs Altenheim schiebt, während dieser ein Lied aus der Hitlerjugend singt. Hartnäckig singt Richie dagegen an, sein eigenes Lied: "Amore Mio".

Hans-Michael Rehberg spielt diesen gebrechlichen Vater, der schon nicht mehr ganz von dieser Welt ist. Ein ebenso erschreckender wie berührender Auftritt, man spürt das Bewusstsein, dass dies seine letzte Rolle sein würde - er starb noch während der Dreharbeiten. Neben ihm taucht in den Österreich-Szenen auch Georg Friedrich auf, als Richies jüngerer Bruder. Dieser Bruder hat eine eigene Geschichte und einen eigenen Film, der "Sparta" heißt, bisher nur auf Festivals zu sehen war und doch schon Schlagzeilen gemacht hat.

Rumänische Kinderdarsteller und ihre Eltern haben Seidl und seinem Team im Spiegel vorgeworfen, sie beim Drehen von "Sparta" manipuliert und emotional überfordert zu haben, auch seien sie über einen Aspekt des Films, der von unausgelebter Pädophilie handelt, im Unklaren gelassen worden. Seidl weist diese Vorwürfe zurück, zuletzt in einem großen SZ-Interview. "Rimini" betrifft das nicht, hier wirken nur erwachsene und lebenserfahrene Schauspieler mit, die absolut wissen müssen, was sie da tun.

Die Stadt ist eine Chiffre für bessere Zeiten. Jetzt ist alles elend

Wie alle großen Schwindler des Kinos muss auch Richie mit sich selbst konfrontiert werden. Das erledigt schließlich seine Tochter (Tessa Göttlicher), gerade volljährig, aber schon sehr tough. Sie spürt ihn auf und fordert eine hohe Geldsumme, als Entschädigung für verweigerten Unterhalt und Nie-da-Sein und generelles Arschlochtum. Richie weint, sinkt auf die Knie und schaut reumütig, spürt aber, dass er diesmal zahlen muss. Nur leider ist er auch spielsüchtig und furchtbar klamm. Der Ausweg, scheint ihm, liegt in einer neuen Schweinerei.

Das alles dürfte eigentlich nicht funktionieren. Wie oft wurde die Schlagerwelt schon als verlogen gezeigt, vor dem Hintergrund kalter Tristesse? Zum wievielten Mal blickt man mit wohliger Angstlust auf die Hässlichkeit von Billighotels? Und der wieviel tausendste Nazivater ist hier zu sehen, der das Leben seiner Kinder ruiniert? Es funktioniert dann aber doch, vor allem weil der Film so gar keine Erlösung verspricht, und auch keine Erkenntnis. Alles ist so elend, wie's halt ist.

"Rimini" von Ulrich Seidl im Kino: Auch Rimini kann sehr kalt sein - Szene aus Ulrich Seidls gleichnamigem Film.

Auch Rimini kann sehr kalt sein - Szene aus Ulrich Seidls gleichnamigem Film.

(Foto: Seidl Filmproduktion/Neue Visionen)

Ganz besonders funktioniert "Rimini" durch die Bilder des Kameramanns Wolfgang Thaler. Der arbeitet schon ewig mit Ulrich Seidl zusammen, und schon immer hatten die beiden einen Hang zur statischen, gern auch symmetrischen Bildgestaltung. Mit den Jahren sind sie fotografisch immer strenger geworden - inzwischen filmen sie die Hässlichkeit wie einen Architekturprospekt, man findet in ihren Bildern keine stürzenden Linien mehr.

Diese sorgsamen Kompositionen scheinen nicht nur den Film zu halten, am Ende bannen sie sogar das Elend der Welt. Solange die Senkrechten in den Bildern millimetergenau senkrecht bleiben, lassen sich Chaos und Jammertal darin aushalten, blickt man darauf mit mathematischen Prinzipen, wie durchs Raster der Ewigkeit. Das ist, auf schwer erklärliche Weise, sehr beruhigend.

Rimini, Österreich, D, F 2022 - Regie: Ulrich Seidl. Buch: Veronika Franz, Seidl. Fritz Ostermayer, Herwig Zamernik. Kamera: Wolfgang Thaler. Mit Michael Thomas, Hans-Michael Rehberg, Tessa Göttlicher. Verleih: Neue Visionen, 116 Minuten. Kinostart: 06. 10. 2022.

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