Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Kultur
  3. Psychologie: Mein Hass auf Pferdemädchen

Meinung Psychologie

Der Hass auf Pferdemädchen

Auf Pferdehöfen begegnet man überwiegend Frauen Auf Pferdehöfen begegnet man überwiegend Frauen
Auf Pferdehöfen begegnet man überwiegend Frauen
Quelle: Getty Images/Bob Thomas
Pferdemädchen werden mit vielen Vorurteilen konfrontiert: Sie seien besser im Bett. Elitär und arrogant. Machtbesessen. Auch für unsere Autorin waren reitende Frauen immer ein Rätsel. Doch was ist dran an den Klischees? Ein Besuch auf einem Reiterhof.

Neulich verschlug es mich gedanklich in die frühen 2000er – die Zeit, in der ich mit meinen Eltern in einem Kaff bei Kassel als jüdischer Kontingentflüchtling gelandet war, in die Schule eingeschrieben wurde und am Integrationshorizont unter anderem die Frage nach Hobbys und der Freizeitgestaltung aufkam, die die Kinder natürlich auch hierzulande weiter ausüben sollten. Während meine Zeitgenossen in der zweiten Tageshälfte ins Ballett, zum Jazztanz, Handball, Fußball und Hockey gingen oder vielleicht zum nächsten Mozart am Klavier ausgebildet wurden, ging ich zum Blockflötenunterricht und pustete und sabberte eifrig ohrenbetäubende Töne, die sich nach „Alle meine Entchen“ anhören sollten. Der Musikunterricht war nicht frei gewählt, er fand in der evangelischen Kirche statt und war zu der Zeit und an dem Ort schlicht und einfach das einzige kostenlose Hobby im Angebot – sexy, witzig und cool war definitiv etwas anderes.

Fernsehen war somit mein zweites Hobby, nachmittags liefen Pokémon, Sailor Moon, Barbara Salesch und die Glücksbärchis, unterbrochen von der Meica-Würstchen-Werbung sowie der mit verheißungsvollem Geträller und Gedudel angekündigten Reklame für „Wendy“, das Pferdemagazin. Die dort repräsentierten Mädchen hatten für mich absolut gar nichts mit der Realität zu tun, ihre „Wendy“-Welt setzte sich scheinbar aus Pferden und den darauf abgestimmten Reitklamotten und pinken Glitzersternchen zusammen, die auf die Mädchen und Ponys wie Sternschnuppen beim Reiten herabrieseln würden. Probleme, da war ich mir zu 100 Prozent sicher, waren für sie ein Fremdwort.

Solche Girls fanden sich auch an meiner Schule wieder, dann texteten sie einen mal verträumt, mal arrogant über das Pferd zu, welches sehnsüchtig im Reitstall nach der Schule auf sie warten würde. Die ach so schmerzvoll ohne das geliebte Ross verbrachten Stunden wurden in den Schulpausen mit gleich gesinnten Pferdefreundinnen durch das Nachstellen des Reitens kompensiert: Schritt, Trab, Galopp hieß der Appell, und die Mädchen würden abwechselnd so tun, als ob sie das Pony wären und sich im Kreis dressieren und longieren lassen. Als Belohnung würde es dann ein Möhrchen aus der Tupperware geben!

Lesen Sie auch

Nicht, dass Magic-Karten spielen weniger peinlich war, aber mit ihren blonden Pferdezopfhaaren und der absichtlich oder naiv zur Schau gestellten fehlerfreien Bilderbuch-Hypermädchenhaftigkeit, die ich nie erfüllen würde, waren sie für mich der Inbegriff von Ausschluss, Arroganz und Privilegien, zu dieser Clique würde ich nie dazugehören. Ich projizierte den ganzen Frust einer Teenie-Migrantin auf die Pferdemädchen und hasste sie von ganzem Herzen.

Als ich 20 Jahre später den gespeicherten Hass in einer Instagram-Story verpackt wiederaufleben lasse, komme ich zu der überraschenden Erkenntnis, dass ich damals und heute nicht die einzige Person war, die sich Pferdemädchen zum Feindbild gemacht hatte. Pferdemädchen waren und sind nach wie vor der Inbegriff von „Cringeness“. Der Hass strickte und reproduzierte sich von allein, und ich wurde geradezu überflutet von ähnlichen „Eat the rich“-Erfahrungen aus der Schule, Bildern und Horse-Girl-Reels mit Comedy-Einschlag oder YouTube-Links zu Anti-Pferdemädchen-Songs, in denen man sich vom Hass nur so berieseln lassen konnte.

Doch es meldeten sich auch diejenigen, die öffentlich gemobbt wurden. Alles, was Frauen machen, würde immer peinlich sein, reitende Männer dagegen wären der Shit! Und ich würde mit meinen Schilderungen krasses Shaming betreiben, hieß es vorwurfsvoll. Diese ausgelutschte Frauen-vs.-Männer-Leier, dachte ich mir ganz cool. Man wird ja noch als Frau andere Frauen mobben dürfen! Insgeheim blieb die Kritik aber doch hängen. Was, wenn an der Sache etwas dran sein könnte? Geht es mir wirklich nur um Klassismuskritik, oder habe ich all die Jahre einfach internalisierte Misogynie reproduziert und es nicht mal gemerkt? Werden Pferdemädchen nur deshalb als peinlich bewertet, weil sie etwas machen, was Männer schon immer gemacht haben?

Sonja Yakovleva auf dem Reiterhof
Sonja Yakovleva auf dem Reiterhof
Quelle: Sonja Yakovleva

Beweist nicht gerade die Tatsache, dass Pferdehöfe überwiegend von Mädchen statt Jungen dominiert werden, genau das Gegenteil? Und was ist mit dem Pferdesport? Seit 1964 treten bei den Olympischen Spielen Frauen und Männer in gemischten Teams auf. Jetzt stelle man sich mal das Gleiche für Fußball vor, da würde man direkt mit Schaum vor dem Mund dessen absoluter Unmöglichkeit belehrt werden. Aber im Reitsport, da ist es möglich. Woher kommt also der Hass?

Ich hoffe auf intellektuelle Erleuchtung und tippe den Begriff „Pferdemädchen“ in den Katalog der Deutschen Nationalbibliothek ein und werde enttäuscht: Statt geistreicher Essays erscheinen bei 58 Einträgen genau die allseits bekannten stereotypen Titel wie: „Friends & Horses – Pferdemädchen küssen besser“, „Pferdestarke Girls – Pferde, Liebe, Liebesstress“ oder „Laura, vom Pferdemädchen zur Hure“, ein Erotikroman für das erwachsene Publikum, so nach dem Motto: „Du kannst doch bestimmt auch gut im Bett reiten!“ Das Buch „Mord am Pferdemädchen“ mit dem Untertitel „Blutiger Osten, die größten authentischen Kriminalfälle“ gibt mir den Rest.

Fast jede griechische Göttin hatte ein Pferd

Nach zahlreichen Wortkombinationen rund um „Pferd“ und „Frau“ werde ich aber dennoch fündig. In dem Buch „Von Pferden und Frauen“ mit dem Untertitel „Zur Geschichte einer besonderen Beziehung“ von Bärbel Wegner und Helga Steinmaier werden weibliche Spuren im Zusammenhang mit Pferden beschrieben. So war in der abendländischen Mythologie und den vor- und frühchristlichen Götter- und Heldensagen fast jede griechische Göttin im Besitz eines Pferdes oder war sogar gleich selbst eins. Die Fruchtbarkeitsgöttin Demeter war im antiken Mykene die Mutter der Kentauren und erschien auf alten Darstellungen mit ihrer Tochter Kore stets von Pferden umgeben oder gelegentlich selbst einen Pferdekopf tragend.

Anzeige

Eos, die Göttin der Morgenröte, verfügte über geflügelte Pferde, die ihren Wagen zogen. Epona, die als Tochter eines Menschen und einer Stute auf die Welt kam, war die keltische Schutzgöttin der Pferde, Esel und Maultiere sowie der Reiter und Pferdeknechte. Die berühmten Amazonen, ein ausschließlich weibliches Volk, dessen Existenz umstritten ist, bekamen bereits im Mädchenalter die rechte Brust ausgebrannt, damit sie ungehindert mit Schwert, Streitaxt und Bogen auf dem Pferd reitend in den Kampf ziehen konnten. Sie sollen auch als diejenigen gelten, die Pferde überhaupt gezähmt haben und die in der bewaffneten Reitkunst oft ihren Gegnern durch das harte Training im Vorteil waren.

Wo wir schon mal bei Krieg und Frauen sind, da wären noch die aus der nordischen Mythologie stammenden Walküren, die mit Speeren, Pfeilen und Schutzschilden auf Pferden reitenden Schlachtjungfern, die im Krieg die ehrenvoll Gefallenen auswählen, um sie ins Totenreich der Walhalla zu führen. Wären sie peinlich, dann hätte Wagner ihnen bestimmt keine Oper gewidmet.

Auch Marlene Baum sieht in dem Buch „Das Pferd als Symbol“ klare Verbindungen des Pferdes zum Weiblichen. Lange bevor es gefahren oder geritten wurde, galt das Pferd als heiliges Tier und diente zu kultischen Zwecken, wegen seiner halbmondförmigen Hufabdrücke war es dem Mond geweiht und stand somit im Dienste der Mondgöttin oder verkörperte sie sogar. Der Mond würde wiederum aufgrund seines zyklischen An- und Abschwellens dem weiblichen Zyklus und dem ewigen Kreislauf von Empfängnis, Schwangerschaft, Geburt und Tod entsprechen. Betrachte man die Verbindung des Pferdes zum Mond als dem Mutterrecht zugehörig und die Sonne als Folge der patriarchalen Errungenschaft, so erscheint das Pferd zum ersten Mal in vielen Mythen als Symbol für kulturellen Wandel und ließe sich als Auseinandersetzung zwischen dem herrschenden Mutterrecht und dem Eindringen der patriarchalen indogermanischen Völker ab dem 3. Jahrtausend v. Chr. deuten.

Mit der Ausbreitung des Christentums beginnt das Bild der aktiv reitenden Frau völlig zu kippen – Frau und Pferd werden zum Symbol für Hexen und Teufel. Die halbmondförmigen Pferdehufe und ihre Abdrücke verkörpern nicht mehr den Mond, sondern nun Teufelshörner und das Böse, das heilige Pferdeopfer wird zum Satanskult erklärt. Es kursieren groteske Vorstellungen von Frauen, die sich in Pferde verwandeln, um zur Walpurgisnacht zu reiten. Wer seine eigene Frau der Hexerei verdächtigte und sich dessen sicher sein wollte, der sollte sein Pferd vorher beschlagen und würde dann am nächsten Tag vielleicht tatsächlich die zurückverwandelte Frau mit schmerzenden Händen und Füßen oder gar Hufeisen vorfinden.

Das Pferd wird mit Leckerlis belohnt
Das Pferd wird mit Leckerlis belohnt
Quelle: Sonja Yakovleva

Beim Lesen der ganzen Schikanen gegen reitende Frauen fange ich langsam an, den Überblick zu verlieren. Ich bin entsetzt über die Erfindung des Damensattels und die Aussage eines Zeitzeugen, er würde sich lieber an den Hörnern eines angreifenden Bullen festhalten, als an denen eines Damensattels. Oder dass es ein Skandal war, wenn Frauen in für sie als bequemen, doch von außen als obszön geltenden Reiterhosen statt in sittlichen Kleidern ritten. Richtig absurd ist, dass das Kleid auch noch am Fuß mit einer Schlaufe festgebunden werden sollte, damit es nicht plötzlich im Wind die männlichen Reiter in Erregung versetzte.

Gefrustet packe ich die Bücher weg, das Thema könnte eine ganze Doktorarbeit füllen. Aber dazu müssten weitere Quellen befragt werden, denn die von mir gelesenen Bücher sind aus der klassischen Perspektive des weißen Feminismus geschrieben und können somit schwierig ein Gesamtbild ergeben. Frauen und Männer werden in diesen Erzählungen stets nach dem heteronormativen Modell getrennt, und das Ganze liest sich oft wie ein langweiliger Mädchen-gegen-Jungs-Kindergarten. Und obwohl der Einsatz des Pferdes für Menschen mit Behinderung in der Geschichte seit über 2000 Jahren zurückzuverfolgen ist, findet sich dazu kein einziger Held oder keine einzige Heldin. Zudem sind es viel zu viele weiße Frauen, die in den Geschichten das Ross bestiegen haben.

Ausgeburt patriarchaler Denkmuster?

Im 21. Jahrhundert wäre eine zeitgemäße Heldin zum Beispiel Brianna Noble, die sich selbst als Horseman beschreibt und Gründerin sowie Eigentümerin von Mulatto Meadows und Humble ist, einem Reitsportunternehmen, das sich dafür einsetzt, den Zugang zum Reiten und zur Reitkunst auf Gemeinschaften auszuweiten, die bisher von der Welt des Reitsports ausgeschlossen waren. Als sie 2020 bei einer Demonstration für George Floyd in Oakland mit ihrem Pferd teilnahm, dem sie ein Schild mit der Beschriftung „Black Lives Matter“ umhängte, war sie nicht nur für Frauen eine Inspiration und Quelle der Hoffnung.

Anzeige

Was den deutschen Reitsport angeht, beschreibt Pamela Owusu-Brenyah die äußere Wahrnehmung ihrer Anwesenheit im Voltigieren als ungewöhnlich. Bei allen Turnieren, zu denen sie in der Saison unterwegs war, gab es kein einziges schwarzes Mädchen. Trotz dieser Lücken, die mit der Zeit hoffentlich in neuen feministischen Erzählungen gefüllt werden, kann an der Behauptung, dass Frauen in Kombination mit Reiten per se eine negative Besetzung haben, definitiv etwas dran sein. Sind Pferdemädchen dann die aktuelle Ausgeburt von patriarchalen Denkmustern? Ist das verniedlichende Wort „Mädchen“ dazu da, die ebenbürtig starken Frauen kleinzuhalten? Um diese Frage zu klären, befrage ich meine Instagram Bubble und rufe ehemalige oder aktive Pferdemädchen auf, mit mir Interviews zu führen.

Cora, 26, Autorin von Beruf, schlägt für unser Gespräch ein Treffen auf dem Reiterhof vor, zu welchem sie am Wochenende zum Ausreiten fahren würde. Ich bin begeistert, ich war noch nie auf einem Reiterhof. Während der 30-minütigen Fahrt zum „Rosenhof“ unterhalten wir uns über das Pferdemädchen-Phänomen. Sie vermutet, dass viele Männer und sicherlich auch Frauen Angst vor Pferden haben und die Mädchen vielleicht verniedlichen, um sich nicht anmerken zu lassen, dass sie eigentlich Respekt vor der Sache empfinden. Wenn man nicht weiß, wie man mit einem Pferd umgehen muss, kann es auch nach hinten losgehen. Außerdem hat man beim Reiten die Zügel in der Hand. Cora weiß nicht, ob es die Leute so cool finden, wenn man Kontrolle hat.

Lesen Sie auch

Als wir auf dem Reiterhof ankommen, sehe ich schon von Weitem die Pferde, wie sie neugierig unsere Präsenz beobachten. Ich muss an den Spruch „Das Leben ist kein Ponyhof“ denken und verstehe endlich, was damit gemeint ist. Hier in diesem ländlichen Ambiente, mit den idyllischen Wölkchen und dem Sonnenschein, dem mit Blumen zugewachsenen Haus, der Geräuschkulisse aus zwitschernden Vögeln, den schnaubenden und wiehernden Pferden, kann man getrost alles um sich herum vergessen und sich damit befassen, ein Pferd stundenlang anzuglotzen, zu bürsten, mit Leckerlis zu belohnen oder es mit seinem Psychoschrott vollzulabern und fest daran zu glauben, dass es einen versteht.

Über den Hof rennen Hunde, ein Mädchen im Teenageralter, umringt von anderen Girls, hält schützend einen hellbraunen Welpen, der liebebedürftig und zum Auffressen mit seinem rosa Bauch in die Pferdekulisse schielt. Während Cora mit einer Bekannten ausreitet, gehe ich in die Reithalle, wo eine verunsicherte Jugendliche in einem überlangen T-Shirt, Sneakern und Shorts neben einem Pferd fraglos mitten in der Reithalle steht. Ihre Mutter mit dem Welpen auf dem Schoß erteilt aggressive Direktive: „Du gehst keinen Meter zurück! Mach mal den Arm höher, der sieht doch gar nicht, dass da eine Begrenzung ist!”

Die Mutter erklärt mir, dass das Pferd nicht gehorchen will und ihre Tochter verarscht. Zu Hilfe eilen in Reiterhosen, Tanktops und Stiefeln junge Girls heran, und alsbald hört man die Peitsche schwingen. Vielleicht eine zweite Peitsche?, schlägt ein Pferdemädchen vor. Peitsch, peitsch, peitsch! Der Versuch, das Pferd zu bändigen, bleibt ohne Erfolg. Während die Mädchen wieder ihren Reiterhoftätigkeiten nachgehen, ruft die Mutter entsetzt: „Das kann doch nicht sein! Ich würde ihn verprügeln! Mit Gewalt geht alles! Kann ja nicht sein, dass er hier zwei Weiber veräppelt.“ Die Tochter ist nicht so begeistert von der Idee, das Pferd durch Autorität und Gewalt zu bezwingen.

Doch lieber einen Welpen?
Doch lieber einen Welpen?
Quelle: Sonja Yakovleva

Doch da bekomme ich schon den Welpen in die Hand gedrückt, und die Mutter stampft wütend in Sandalen mit der Peitsche auf das Pferd zu, welches nun anfängt, brav im Kreis zu laufen, um eine Minute später plötzlich bockig wieder stehen zu bleiben. „Vielleicht rufst du mal Frauke, ich weiß nur, dass du so nicht aufhören sollst, sonst macht er das immer“, sagt eines der Mädchen, das nach dem misslungenen Fortschritt in der Reiterhalle vorbeischaut.

Frauke, das ist die Reitlehrerin auf dem Hof, sie ist 42 und unterrichtet seit 20 Jahren. Die Nachfrage nach Reiten wird immer größer – Schule, Ballett, Tennis, die Kinder stehen permanent unter Leistungsdruck. Auf dem Reiterhof lernen sie viel, haben aber auch Spaß und können abschalten, für viele ist es eine Art Sorgenfresser. Ich hake nach und beschreibe die Situation mit der Mutter, die ich gerade im Reitstall gesehen habe; nach Spaß sah das Ganze für mich überhaupt nicht aus. Frauke sagt, dass das Pferd zwar in der Tat frech sei, die Mutter aber gar keine Expertin, weil sie gar nicht reite. Das Problem sei das verunsichernde Teenie-Alter und die damit verbundene Körpersprache. Und Haltung sei das Wichtigste bei einem Pferd, die Anweisungen müssten klar und präzise sein, damit das Pferd sie verstehe und umsetzen könne.

Es gibt sogar Pferde-Workshops für Manager oder Leute in Führungspositionen. „Damit kannst du richtig Geld machen“, sagt Frauke. Man lernt dort, das Pferd zu führen, ohne es zu bestrafen. Die Manager kommen zu diesen Seminaren und sind völlig von der Rolle, weil das Pferd ihnen auf ihr Rumgeschreie hin nicht hinterherrennt und sie ignoriert. „Das steht im Gegensatz zu dem Image des naiven, verträumten Mädchens“, sage ich. Frauke meint, das komme daher, dass Menschen denken, man sitze auf dem Pferd und mache nichts. Dabei liegt ihre Herzfrequenz, wenn sie reitet, bei 120 bis 160 – man schwitzt ordentlich. Auf meine Frage, ob Reiten elitär sei, bestätigt Frauke, dass es früher so war, der Sport aber heute für die breite Masse eher zugänglich sei. Eine Reitstunde kostet 23 Euro. Eine Woche Reiturlaub ist kostspieliger: 500 Euro. Manche Ferienkinder sparen ein ganzes Jahr und lassen sich von Oma und Tante Geld zum Geburtstag schenken, damit sie sich das leisten können. Die Kindergruppen empfindet Frauke als divers, so kommen zum Reiten einige muslimische Jungs, auch ein Mädchen mit Kopftuch würde reiten.

Das Pferd an erster Stelle

Nach dem nächsten Gesprächspartner muss ich nicht lange suchen, ich finde ihn ebenfalls auf dem Reiterhof: Bendix, 28, Landwirt, ist als Sohn der Besitzerin auf dem Reiterhof aufgewachsen und nach der Ausbildung in den Hofbetrieb mit eingestiegen. Er selbst reitet nicht, als Kind hatte er es zwar gelernt und ist gerne mit seinem Vater ausgeritten, in dem Alter, als er es selbst entscheiden konnte, hat er aber aufgehört, zum Reitunterricht zu gehen. Weil er immer der einzige Junge war in der Gruppe zwischen den ganzen Mädels, die immer unter sich waren. Seine Aufgabe ist es, sich um die Infrastruktur des Pferdehofes zu kümmern: die Futterproduktion, Mistentsorgung, die Flächenbewirtschaftungen, die Maschinenpflege und Reparatur. „Man muss einen so großen Hof ja auch instand halten.“ In der Saison haben sie noch einen Mitarbeiter, weil er gerade in der Heuernte von morgens bis abends mit dem Traktor unterwegs ist und sonst alles untergehen würde.

Während Bendix das erzählt, läuft eine junge Frau mit einer Schubkarre von einer Pferdebox zur nächsten und entlädt frisches Heu. Sie ist muskulös und verliert beim Arbeiten keine einzige Sekunde. Ihr Aussehen hat überhaupt nichts mit dem Klischee eines vor sich hin träumenden Mädchens gemein. Ich frage Bendix, ob die Pferdemädchen mit ihrer Arbeitskraft dazu beitragen, einen Pferdehof zu erhalten. „Das ist ein FÖJ, ein freies ökologisches Jahr, was sie macht. Sie pflegt die Pferde, mistet aus, füttert, kümmert sich um die kranken Pferde. Es geschieht auf freiwilliger Basis und dauert ein Jahr. Die Mädchen bekommen Taschengeld und haben Kost und Logis frei, die meisten wohnen in der Nähe, aber können hier essen und schlafen. In den Ferien haben wir 40 Kinder, und da gibt es so viel zu tun, da muss man Bäder putzen, Mahlzeiten zubereiten, das Kinderprogramm und die Ausritte führen; das ist so viel Arbeit, und da ist man auf viele Helfer angewiesen.“

Hält er Pferdemädchen für peinlich? Bendix verneint die Frage entschlossen. Dass sie definitiv in einer anderen Welt leben, könne er aber schon behaupten. Er hatte Ex-Freundinnen, die waren Pferdemädchen, das war anstrengend, da stand das Pferd an erster Stelle, und er kam irgendwann danach. Warum Mädchen in der Überzahl auf den Reiterhöfen zu finden sind, weiß er nicht. Es sei auch komisch, denn die erfolgreichen Reiter sind in der Regel männlich, während der Hobbybereich von Frauen dominiert wird.

Lesen Sie auch

Ich verlasse den Pferdehof und habe ein kurzes Telefongespräch mit Josy. Sie ist 28, im digitalen Marketing tätig und wohnt seit fünf Jahren auf Malta, wo sie regelmäßig und leidenschaftlich seit zweieinhalb Jahren Polo spielt. Dass Frauen weniger im Reitsport vertreten sind als Männer, liegt ihrer Meinung nach daran, dass Frauen sich nicht über Leistung definieren, sondern über die Beziehung zum Pferd. Sie dagegen liebt den Wettkampf, und es geht ihr nicht nur darum, in der Pflege des Pferdes aufzugehen.

Interessant finde ich, wie ihre Familie zu ihrem Hobby stand: Als sie im Mädchenalter anfing zu reiten, wurde sie darin bestärkt und gefördert. Als ihr Cousin hingegen im gleichen Alter reiten wollte, wurde ihm empfohlen, lieber Fußball spielen zu gehen, das wäre eher etwas für Jungs. Je älter sie wurde, desto mehr wurde ihr nahegelegt, dass sie langsam was anderes machen solle. Sich am Reiten mit Schlamm und Dreck eingesaut zu erfreuen, wäre nicht feminin genug.

Beide sind trotz der von außen auferlegten Vorurteile, Projektionen und des Shamings den Pferden treu geblieben. Ihr Cousin machte eine Ausbildung zum Pferdewirt und besitzt jetzt einen Reiterhof. Polo hat zwar ein poshes Image, sagt Josy, aber niemand ist posh in dem Sport, wo man Knieschoner und Matsch an den Kleidern oder Schläge ins Gesicht bekommt. Ich muss an das westliche von „Polo Ralph Lauren“ usurpierte Logo denken und an den Polo spielenden Mann, der als Symbol für die Kaufkraft seiner Konsumenten stehen soll und gleichzeitig die Anfänge des Polospiels im Iran, Afghanistan, Kaschmir und Nordpakistan um ca. 600 v. Chr. und das Spiel als ein gemischtes verschleiert.

Auch die Pflege des Tieres gehören zum Reiten dazu
Auch die Pflege des Tieres gehört zum Reiten dazu
Quelle: Sonja Yakovleva

Zu dem poshen Image des Reitens hat Lana, 32 ihre eigene Geschichte. Zum Reiten ist sie gekommen, weil ihr damaliger Kinderarzt aufgrund einer Angststörung den Eltern riet, den Umgang mit Tieren zu versuchen, diese würden sich positiv auf die Psyche auswirken. In der Nähe befand sich ein Westernhof, und ihr damaliger Lehrer, eine Art Pferdeflüsterer, brachte ihr bei, dass es beim Reiten nicht um Herrschaft gehe, sondern darum, dem Pferd auf Augenhöhe zu begegnen. Das Pferd muss dir glauben, dass du deinen shit together hast, weil es sonst keinen Bock auf dich hat.

Sie ist dann mit Halsring geritten. Ein halbes Lasso um den Hals des Pferdes war das Einzige, was sie zu lenken hatte. Als sie mit der Familie später umgezogen ist und auf einem in der Nähe gelegenen Reiterhof jemand gesucht wurde, der sich um die Pferde kümmern sollte, ging sie in Erinnerung an die tolle Zeit auf dem Westernhof davon aus, dass es eine gute Gelegenheit sei. Stattdessen fand sie das absolute Gegenteil vor.

Als sie zum Aushelfen mit ihren Jeans, durchgelatschten Sneakern und einem Westernreitgürtel, wie sie es von damals kannte, aufschlug, fragte sie ein Pferdemädchen entsetzt, ob sie denn nicht wisse, dass man nicht mit Jeans reiten darf? Die Stimmung auf dem Reiterhof war stressig, die Pferde nervös, manche haben sogar gebissen. Sie hatte den Eindruck, dass die Mädchen geradezu besessen nach Macht über die Pferde oder ihre kleinen Jack Russels waren. Der Umgang mit den Tieren erinnerte sie an Tierquälerei. Sie empfand es als absurd, wie die bonzigen Bilderbuch-Pferdemädchen zum Dressur- und Springreiten durchgestylt von Kopf bis Fuß mit hochgestelltem Haarzopf auf dem Reiterhof aufkreuzten, um lieblos das Pferd zu putzen, zu stylen, zu reiten, um anschließend das durchgeschwitzte Tier in die dafür vorgesehenen Duschen reinzustellen und am Ende in Rotlichtkabinen wie Autos zum Trocknen zu parken, um in der Zwischenzeit mit anderen Girls über ihre Boys zu labern.

Woher kommt der Hass?

In der Schule hatte sie dann selbst Angst, zu sagen, dass sie reitet, weil man sie als Pferdemädchen und versnobt abstempeln würde, wobei die Art, wie sie es lernte, auf Pferden zu reiten, nichts damit zu tun hatte. Mittlerweile ist sie „pissed“, dass den Pferdemädchen und -frauen ein so negatives Image anhaftet und die Jungs sexistisch unterwegs sind, und was sie bis heute ebenso nervt, ist, dass Menschen beim Reiten sofort denken, es sei etwas Elitär-Weibliches und Durchgestyltes.

Meine heutige Freizeitbeschäftigung ist Boxen, ein Hobby mit dem Aufs-Maul-hauen-Image, das absolute Gegenteil von weiblich und elitär, zudem auch wieder voller Klischees und Vorurteile. Wenn ich etwa einem Typ, der mit mir flirtet, erzähle, dass ich boxe, dann ist es nichts, was Interesse weckt, sondern eher abschreckt. So als würde ich den Kerl im Bett hundertprozentig vermöbeln wollen. Ähnlich, wie wenn eine Frau auf ihrem Tinder-Profil unter Hobbys angibt, sie würde reiten, nur dass das nicht abschreckt, sondern als eine Einladung empfunden wird, seine sexistische Hirngrütze ungefragt abzuladen.

Boxen bei einem Mann dagegen wäre hot, weil maskulin und beschützend. Reiten würde vielleicht Fantasien von einem reichen adligen Prinzen hervorrufen. In diesem Sinne kann ich abschließend sagen, dass an der Behauptung, dass bestimmte Sachen, die Frauen machen, nur deshalb peinlich sind, weil sie von Frauen betrieben werden, etwas dran ist.

Mein Tipp wäre daher: Bevor man das nächste Mal Lust verspürt, sich an den etablierten Feindbildern unreflektiert hochzuziehen oder irgendetwas vermeintlich Negatives kommentieren zu müssen, es vielleicht einfach sein zu lassen und sich selbst zu fragen, woher der Hass kommt. Kritik am Reitsport ist wichtig, muss aber nicht bedeuten, dass die ominöse Pferdemädchenmasse an allem schuld ist. Vor ein paar Tagen wurde mir im Boxklub gesteckt, dass die Frau XYZ reiten geht, ich beobachtete sie beim Trainieren: aufrechte Haltung, rötlich blonde Haare, Pferdezopf, die muskulösesten Beine aus dem ganzen Klub, eine Maschine!

Vielleicht werden wir ja diesmal Freunde. Wenn sie mir mal etwas über ihr Hobby erzählt, werde ich auf jeden Fall sagen: „Reiten? Wow, megacool! Ich bin noch nie geritten. Meinst du, ich kann es auch mal ausprobieren? Ich hätte auf jeden Fall voll Bock!“

Hier können Sie unsere WELT-Podcasts hören
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

„Aha! Zehn Minuten Alltags-Wissen“ ist der Wissens-Podcast von WELT. Immer dienstags und donnerstags beantworten wir darin Alltagsfragen aus dem Bereich der Wissenschaft. Abonnieren Sie den Podcast unter anderem bei Spotify, Apple Podcasts, Deezer, Amazon Music oder direkt per RSS-Feed.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema