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Kultur „The Sandman“

Netflix‘ Albtraum

Feuilletonredakteur
Netflix-Serie „Sandman“

Die auf der preisgekrönten DC-Comicreihe des Autors Neil Gaiman basierende Serie „Sandman“ ist eine Mischung aus Mythos und dunkler Fantasy. Ab 5. August läuft „Sandman“ exklusiv auf Netflix.

Quelle: Netflix

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Fans warten seit Jahrzehnten, jetzt werden ihre Träume wahr: Netflix hat aus Neil Gaimans Kultcomic „Sandman“ eine sündhaft teure Serie gemacht. Die gute Nachricht: Sandman, der Herr der Träume, ist sich treu geblieben. Die schlechte wird in den Folgen eins bis sechs überbracht.

Fragen Sie nicht, warum. Fragen Sie schon gar nicht, wie genau. Mit manchen Comics ist es wie mit Märchen. Man küsst den Frosch, darf dreimal wünschen, ist nach Kontakt mit schwerem Wasser superschnell oder braucht drei „Insignien“, um über das Traumreich zu herrschen: einen Beutel Sand, einen funkelnd roten Rubin, einen Helm, der aussieht, als hätte man einer überdimensionierten Gasmaske einen Rüssel aus Dino-Knochen angeschraubt. Nach jahrzehntelanger Gefangenschaft – in einer Kristallkugel, im Keller eines englischen Herrenhauses – sind alle drei „Insignien“ weg, und ihr Eigentümer, Lord Morpheus, auch bekannt als Herr der Nachtmahre, als Sandmann oder Dream, muss um sie kämpfen.

So beginnt „Sandman“, ein Comic-Experiment, das der Superman- und Batman-Verlag DC im Epochenjahr 1989 wagte. Ein junger Journalist namens Neil Gaiman, bis dato Verfasser einer Duran-Duran-Biografie und eines Buchs über Douglas Adams, schrieb damals den Text, und so entstand über märchenhafte sieben Jahre, 75 Hefte und rund 2000 Seiten, was man in Ermangelung fassbarerer Begriffe einen „Kultcomic“ nennt: zu verrückt und zu verstiegen für jedermann, aber einer hartnäckigen Gemeinde unvergesslich. Gaiman zog weiter, um Fantasy-Bestseller wie „Coraline“ oder „American Gods“ zu schreiben, „Sandman“ kriegte statt einer Kristallkugel im Keller einen „Omnibus“ im Schuber und wartete ein paar Jahrzehnte auf seine Verfilmung.

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Und jetzt ist es endlich so weit. Für kolportierte 15 Millionen Dollar pro Folge (insgesamt sind es erstmal zehn) haben Netflix und Warner den Traum wahr gemacht, mit Gaiman als ausführendem Produzenten. Was der junge Mann schrieb, hat der alte verfilmt – und ist sich (wir kommen darauf zurück) dabei nibelungentreu geblieben. Zwar ist das Personal diverser und weiblicher geworden, sonst aber gilt Harry Potters Adaptionsgesetz: Ändern wäre Sünde. „Sandman“-Fans werden einzelne Panels aus den Comics wiedererkennen, „Sandman“-Literalisten großmütig darüber hinweggehen, dass Dream alias Lord Morpheus nicht mehr 1989, sondern in unserer digitalisierten Gegenwart erwacht und auch nicht mehr so aussieht, als ginge er gleich in einer Grufti-Bude tanzen.

Frosch geküsst, Prinz vergessen

In „Sandman“, der Serie, ist Darsteller Tom Sturridge einfach ein blasser junger Mann im langen schwarzen Mantel, der auch Banalitäten mit einiger Gravitas sagen kann und sonst, derselben Gravitas wegen, viel herumsteht: in den heiligen Hallen seines langsam wiederhergestellten Traumreichs, mit seinem sprechenden Raben Matthew in einer dunklen Londoner Nacht oder in Luzifers Thronsaal in der Hölle, wohin es (siehe oben) Morpheus‘ wunderlichen Helm verschlagen hat. Indem er sich in ein Wachtraumprodukt namens Hoffnung verwandelt, erobert er ihn zurück, um ihn danach allerdings kaum noch zu tragen. Der Helm, der Rubin, seine Diebin, ihr Sohn, das kommt und geht, als hätte die Prinzessin den Frosch geküsst und dann den Prinzen vergessen.

Ewige Geschwister Dream (Tom Sturridge) und Death (Kirby Howell-Baptiste)
Ewige Geschwister Dream (Tom Sturridge) und Death (Kirby Howell-Baptiste)
Quelle: 2022 Netflix, Inc.

Zur Folklore des „Sandman“-Comics gehört, dass er nur schwer in Gang kommt. „Bei den ersten Ausgaben“, schrieb etwa Gaiman, „lief es schwerfällig“, Autor, Zeichner, Tuscher hätten zunächst in verschiedene Richtungen gezerrt. „Sandman“ musste erst „Sandman“ werden, aber für Netflix hat Gaiman mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein auch seine Anfängerfehler von damals verfilmt. Und so kommt der Streamer-„Sandman“ sechs Folgen lang eher wie eine Anthologie-Serie daher, oft nicht mit mehr als ein paar Verweispfeilen verbunden.

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Das komische Duo Kain und Abel etwa, die einen Gargoyle (vulgo Drachen) namens Goldie hüten und täglich, aber nie vor zwölf den biblischen Mord nachspielen, bleiben ebenso Plot-Passanten wie „die Ewigen“, also die Geschwister von Dream, deren Namen leider nur im Englischen so hübsch alliterieren. Der lebenslustigen Death (Kirby Howell-Baptiste) bleibt eine Folge vorbehalten, deren Story in Staffel eins ohne Fortsetzung bleibt, den Zwillingsschwestern Desire (Mason Alexander Clark) und Despair (Donna Preston) bleibt nicht mehr als ein besserer Gastauftritt, die okkulte Detektivin Johanna (im Comic noch: John) Constantine (Jenna Coleman) wird immerhin in der historischen Shakespeare-Folge zweitverwertet, die dann allerdings auch unverbunden mit allem anderen bleibt.

Warten auf das Puppenhaus

„Präludien & Notturni“ heißt der „Sandman“-Sammelband, der der ersten Staffelhälfte zugrunde liegt, und der Titel spricht – wie könnte es anders sein? – Bände. „Sandman“ läuft und läuft und läuft sich warm. Fast ist es ein bisschen schade um die tollen Effekte (zu denen Rabe Matthew zählt) und das große Green-Screen-Theater, das herrliche Panoramen in Nachtblau, Nebelgrau und Höllenrot produziert. Das Pfund, mit dem die Streamer wuchern, ist schließlich das sogenannte Arch-TV, das Erzählen in langen, romanhaft geschwungenen Bögen, das das alte, rein episodenhafte Erzählen abgelöst hat. In „The Sandman“ aber bleiben die Bögen erstmal kurz, die Serie bleibt der Heftstruktur von damals verhaftet.

Und doch: Sie lesen hier keinen Verriss. Zum einen nämlich hat sich der Stoff seinen wunderlichen Charme bewahrt – der Mix aus Aberwitz und Kitsch, Splatter und Eklektizismus hat sich erhalten. Und zum andern: Auf Folge sechs folgt Folge sieben, der Sammelband „Präludien & Notturni“ geht zu Ende, der Sammelband „Das Puppenhaus“ beginnt, und plötzlich spannt „The Sandman“ über vier Folgen einen Bogen, mit Plotpoints, die man besser nicht verrät.

Ein entlaufener Albtraum: Boyd Holbrook als Korinther
Ein entlaufener Albtraum: Boyd Holbrook als Korinther
Quelle: 2022 Netflix, Inc.

Auf einmal kommt der entlaufene Albtraum namens Korinther (Boyd Holbrook, der einen echten DC-Superschurken gibt) nicht bloß zu Gastauftritten, sondern auch zu seinem Recht. Plötzlich spielt es wirklich eine Rolle, was zuvor geschehen ist. Zum Beispiel, dass die junge Rose Walker (Kyo Ra) ein gefährlicher „Traumwirbel“ ist (nein, stellen Sie jetzt bitte keine Fragen), ihren kleinen Bruder vermisst und ihn ausgerechnet auf einer Serienmörder-Convention in Georgia wiederfindet. Wunderbarerweise ermittelt hier der unnachahmliche Stephen Fry, der in „Sandman“ den unnachahmlichen Gilbert (K. Chesterton) gibt.

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Fragen Sie also weder warum noch wie genau und werden Sie überdies nicht vor der Zeit ungeduldig. Bis man einschläft, dauert es halt manchmal eine Weile, und bis man zu träumen beginnt, dauert es manchmal noch länger. In die REM-Phase tritt „Sandman“ dann mit der zweiten Staffel ein.

„The Sandman“ läuft ab dem 5. August auf Netflix.

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