Ausstellung:Neugieriger Blick nach Innen

Ausstellung: Facettenreiches self-mining: Bildausschnitt aus Keren Cytters "Monkey 2".

Facettenreiches self-mining: Bildausschnitt aus Keren Cytters "Monkey 2".

(Foto: Keren Cytter)

Das Aachener Ludwig-Forum zeigt Werke von Keren Cytter aus 20 Jahren. Die Ausstellung "Bad Words" ist ein gigantisches Selbstbildnis der israelischen Künstlerin.

Von Alexander Menden

Drei Bilderbücher hat Keren Cytter geschrieben und illustriert. Eins davon heißt "The Curious Squirrel" (2015). Das titelgebende "neugierige Eichhörnchen" (curious kann allerdings auch "seltsam" bedeuten) soll für seine Eltern Milch kaufen. Doch die zwei Euro, die der Vater dem Eichhörnchen mitgibt, schwatzt ihm ein bettelnder Hase ab. Es folgt eine urbane Odyssee mit allerlei sinistren Begegnungen. Unter anderem trifft das Eichhörnchen eine mit Drogen handelnde Gans, die fragt, ob es so traurig sei, "weil deine Brüste so klein sind und dein Schweif so überentwickelt ist"? Am Ende kehrt die Protagonistin ohne Milch heim, hat aber eine wichtige Lektion gelernt: "Ich muss meinen eigenen Weg wählen und es akzeptieren, wenn ich stolpere, weil die Straße und ihr Ziel ein und dasselbe sind."

"The Curious Squirrel" als exemplarisch für das Werk der in Israel geborenen Künstlerin zu bezeichnen, wäre ebenso berechtigt wie verkürzend. Die bewusst amateurhaften Illustrationen, die quasi-autobiografische Mischung aus Kinder- und Erwachsenenthemen, die halbironische, Zen-artige Moral am Ende - das alles ist durchaus programmatisch. Doch wie sich beim Besuch von "Bad Words" herausstellt, einer ambitionierten Cytter-Überblicksausstellung im Aachener Ludwig-Forum, ist das Gesamtwerk der 44-Jährigen nicht auf ein Genre, eine Arbeit oder einen Stil reduzierbar.

In Karen Cytters Arbeiten fließen analoge und virtuelle Kommunikation ineinander

Keren Cytter wird meist als Videokünstlerin apostrophiert. Sie studierte in Tel Aviv und Amsterdam, lebte von 2005 bis 2012 in Berlin, seitdem ist sie in New York zu Hause. Mit Filmen ist sie bekannt geworden, einige ihrer Videoarbeiten waren bereits vor 13 Jahren bei der Biennale in Venedig zu sehen. Der Titel der Ausstellung selbst ist einer Videoarbeit von 2021 entlehnt. Doch Cytter hat auch Performances, Theaterstücke, Skulpturen, Zeichnungen, Fotoserien geschaffen, Romane, Life-Coaching- und eben Kinderbücher geschrieben.

Sie betreibt ein ungeheuer facettenreiches self-mining und erforscht zugleich menschliche Interaktion in einer technikbesessenen Epoche, in der virtuelle und analoge Kommunikation immer mehr ineinanderfließen, angetrieben vom Drang nach permanenter Präsenz im Leben anderer. Es wirkt sehr passend, dass diese die Grenzen aller Sparten weniger überschreitende als leichtfüßig hinüber- und herüberspringende Künstlerin nun ausgerechnet in Aachen einen solch großen Auftritt bekommt - in einem Grenzgebiet also, unweit des kunstsinnigen niederländischen Maastricht. Zu sehen sind Arbeiten, die in den vergangenen 20 Jahren entstanden.

Ausstellung: "Bad Words": Die Kinder- und die Erwachsenenwelt treffen aufeinander.

"Bad Words": Die Kinder- und die Erwachsenenwelt treffen aufeinander.

(Foto: Mareike Tocha/Keren Cytter)

Groß ist der Auftritt zweifellos: Kuratorin Eva Birkenstock, vom Düsseldorfer Kunstverein als Direktorin nach Aachen gewechselt, hat die Gelegenheit ergriffen, das gesamte Ludwig-Forum zu bespielen, vom Erdgeschoss bis in den zweiten Stock dieser ehemals größten Schirmfabrik Europas, deren obere Räume mehr als ein Jahrzehnt ungenutzt geblieben waren. Eröffnet mit dem Festival "Cold Summer", bei der befreundete Künstler lasen, Musik und Performances vortrugen, überträgt "Bad Words" gleichsam den Schwung performativer Kunst in eine statische Schau.

Verbindendes Element ist dabei ein einziger, riesiger Satz, der sich in Englisch und Deutsch über Wände und Fußboden vom ersten bis zum letzten Raum zieht. Der Versuch, ihn zu lesen, wird notwendigerweise scheitern. Aber einzelne Sinnabschnitte korrespondieren immer wieder mit den Stationen der Schau. Das beginnt mit einer Geburtsbeschreibung in der ersten Galerie, in der die Kinderbücher, deren animierte Umsetzungen auf Bildschirmen und Kindermobiliar ausgestellt sind, und endet bei einer abstrakten, kürzlich entstandenen Goldstiftzeichnung mit dem Titel "Nachttischlampe".

Manche Arbeiten wirken dezidiert amateurhaft - aber das ist Teil des Gesamtkonzepts

Auf den ersten Blick scheint die Schau die Überforderung des Besuchers durch Materialfülle zum Prinzip zu erheben. Allein die Videoarbeiten würden, wollte man sie genau studieren, einen eigenen Besuch erfordern. Schon das in Raum 2 zu sehende, einer Traumlogik folgende "Vier Jahreszeiten" (2009), in dem eine Frau ihren Nachbarn blutend in der Badewanne findet, ist so vollgestopft mit filmgeschichtlichen Assoziationen von "Endstation Sehnsucht" bis "Der Mieter", dass sich mehrmaliges Schauen durchaus lohnt. Die zahlreichen Bücher, die im Laufe der Ausstellung immer wieder ausliegen - darunter die Auswahlen "The Best" und "The Worst of Keren Cytter" -, kann man allenfalls einer kursorischen Lektüre unterziehen.

Ausstellung: Von Israel über Berlin nach New York: die Künstlerin Keren Cytter.

Von Israel über Berlin nach New York: die Künstlerin Keren Cytter.

(Foto: Albrecht Fuchs)

Doch die Themen, die immer wieder auftauchen - der Übergang von einem Lebensabschnitt zum nächsten, die Rückübersetzung des Digitalen ins Dingliche (abstrahierende Selbstporträts nennt Cytter konsequent "Selfies") und immer wieder die Zusammenarbeit mit Freunden und Kollegen - erleichtern es, in einer Art rezeptivem Fluss zu bleiben. So steht unter anderem die Abbildung der unmittelbaren Umgebung der Künstlerin immer wieder im Fokus: Das reicht von Buntstiftzeichnungen von Internet-Stills über die fein schraffierten, auf zusammengesetzte Einzelblätter verteilten Darstellungen ihrer New Yorker Wohnung bis hin zu Gelegenheits-"Doodles" und Zeichnungen von Geldscheinen, die man als Kommentar auf den Kunstmarkt ebenso verstehen kann wie als reine Übung in gegenständlicher Darstellung.

Das Vorwagen in alle Genres führt unvermeidlich zu gemischten Ergebnissen. So sind die gestapelten Epoxidharz-Abgüsse von Händen und Unterarmen, die Cytter mit ihrem amerikanischen Freund und Kollegen John Roebas geschaffen hat und die in Aachen unter dem Titel "Body Egos" versammelt sind, ein eher krudes, dekonstruierendes Spiel mit skulpturalen Traditionen. Auch die zwischen Schmuck und Schamanenfetischen changierenden Objekte aus Perlen und Hühnerknochen haben etwas dezidiert Amateurhaftes.

Doch die technische Uneinheitlichkeit ist in diesem Fall Teil des Gesamtkonzepts, bis hin zu instagramkompatiblen Schnappschüssen von Cytters diversen Katzen. Denn obwohl sie sich selbst sehr selten in ihren Arbeiten zeigt, ist "Bad Words" letztlich vor allem Ausdruck einer intensiven Autoreflexion dieser hochproduktiven Künstlerin - ein weitläufiges, assoziatives Selfie.

Keren Cytter: Bad Words. Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen. Bis 25. September.

Zur SZ-Startseite

MeinungDocumenta
:Eindeutig disqualifiziert

Endlich steht fest: Sabine Schormann wird als Generaldirektorin der Documenta abgelöst. Sie und die Politik hinterlassen ein Chaos, das nur schwer aufzuräumen sein wird.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: