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Medien Dirk Kurbjuweit

Eine Edelfeder als „Spiegel“-Chef

Medienredakteur
Der Nächste bitte: Dirk Kurbjuweit Der Nächste bitte: Dirk Kurbjuweit
Der Nächste bitte: Dirk Kurbjuweit
Quelle: akg-images / Susanne Schleyer
Der „Spiegel“ bekommt wieder einen neuen Chefredakteur. Steffen Klusmann, seit mehr als vier Jahren an der Spitze des Hamburger Nachrichtenmagazins, muss gehen. Der Vorgang irritiert Redaktion wie Branche – und ist erklärungsbedürftig.

Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ bekommt einen neuen Chefredakteur. Es handelt sich nicht um einen frisch eingeflogenen Jungstar mit digitalen Meriten, sondern um eine sogenannte Edelfeder aus den eigenen Reihen. Dirk Kurbjuweit, 60, wird den Posten von dem seit 2019 amtierenden Chefredakteur Steffen Klusmann übernehmen. Die Entscheidung für einen ausgewiesenen Print-Mann ist erklärungsbedürftig.

Denn zwar hat Kurbjuweit einige Führungserfahrung, er war Leiter des Hauptstadtbüros und stellvertretender Chefredakteur des Magazins. Aber der mit Journalistenpreisen mehrfach ausgezeichnete Autor steht vor allem für die klassische „Spiegel“-Kultur und weniger für Aufbruch und digitale Innovation. Das ist als Signal an die Verfechter von Printmagazinen natürlich nicht geringzuschätzen – aber für die Rolle des Chefredakteurs eines der wichtigsten Nachrichtenangebote der Republik im Jahr 2023 schon ein Malus.

Es sei denn, der nebenberufliche Romanautor Kurbjuweit (zuletzt erschien 2022 „Der Ausflug“) soll sich tatsächlich vor allem oder ausschließlich um die gedruckte Ausgabe des „Spiegel“ kümmern, die im ersten Quartal des Jahres bei wöchentlich rund 700.000 verkauften Exemplare lag. In einem Essay von 2014, „Das Prinzip von Print“, schrieb Kurbjuweit: „Nennt mich meinetwegen eine fat cat, aber seid nicht so ignorant gegenüber Print. Denn dann seid ihr ignorant gegenüber der Zeit und dem Wunder der Buchstaben.“ Kurbjuweit, betont der Spiegel-Verlag derweil, solle allerdings keineswegs nur das Print-Geschäft übernehmen, sondern sich auch um die digitale Strategie kümmern.

Kurbjuweits Vorgänger Klusmann, 57, der sich als Autor zurückhielt, hat sich seit seinem Antritt intensiv um die Verzahnung der Print- und Onlineredaktionen, die bis dahin getrennt operierten, gekümmert. Ob er diese Zusammenlegung, die einen internen Kraftakt sondergleichen bedeutet, nun gut, zufriedenstellend oder zu langsam vorangetrieben hat, wird unterschiedlich beurteilt – klar ist aber, dass er das unter vorigen Chefredakteuren gescheiterte Projekt tatsächlich umgesetzt bekommen hat. Fast schon selbstverständlich allerdings, dass solch ein Prozess beispielsweise bei der Besetzung von Ressortleiterstellen auch Unmut schafft ­– bei denen, die ihre Posten verlieren.

Nach dem Fall Relotius

Ein Pluspunkt im Klusmann‘schen Zeugnis ist, dass er den Skandal um den Geschichtenerfinder Claas Relotius erstaunlich gut gehandhabt hat. Die Fälschungen wurden Ende 2018, also nahezu zeitgleich mit seinem Antritt publik, eine eilig einberufene Kommission recherchierte in eigener Sache und legte einen Abschlussbericht vor. Die Redaktionsabläufe und die Faktenchecks sollen schließlich angepasst worden sein. Wirtschaftlich scheint der Skandal dem Magazin nie wirklich geschadet zu haben.

War seit 2019 Chefredakteur des „Spiegel“: Steffen Klusmann
War seit 2019 Chefredakteur des „Spiegel“: Steffen Klusmann
Quelle: dpa/Marcus Brandt

Interessant ist allerdings, dass auch Dirk Kurbjuweit im Relotius-Abschlussbericht vorkommt. Einmal namentlich, einmal ohne namentliche Nennung. Namentlich genannt wird Kurbjuweit, der zu dieser Zeit Mitglied der Chefredaktion des „Spiegel“ war, weil er „leise Zweifel“ an einer Geschichte gehabt habe: „So wunderte sich Kurbjuweit über die mangelnde Qualität eines Textes von Relotius, den er selbst bei ihm in Auftrag gegeben hatte.“ Über die Fälschungen selbst wurde er damals erst zwei Tage vor der öffentlichen Enthüllung des Skandals informiert.

Nicht namentlich genannt wird Kurbjuweit in dem Bericht als Autor des Textes „Schlangen und Gespenster“ von 2004. Es geht um einen „Ortstermin“ auf der Frankfurter Buchmesse. In dem Teil des Relotius-Berichts werden „weitere Fälle“ und „Manipulationen aus dramaturgischen Gründen“ genannt. „Manche Autoren“, heißt es da, „entwickeln bei der Gestaltung der Dramaturgie große Kunstfertigkeit.“ Zitiert wird dann der Einstieg von Kurbjuweits Text: „Als Martin Walser das Gerücht hört, dass er den Nobelpreis für Literatur nicht gewonnen hat, erstarrt er für einen langen Augenblick. Sein Gesicht wird zu Marmor, glatt, reglos, undurchdringlich. Er schweigt, dann sieht es so aus, als richte er ein paar Worte an sich selbst. Er nickt. Elfriede Jelinek hat gewonnen, eine Österreicherin, eine Frau, die Deutsch schreibt.“

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Martin Walser habe laut Bericht einen „ungehaltenen“ Leserbrief an den „Spiegel“ geschrieben. Kurbjuweit sei demnach in dem beschriebenen Moment gar nicht bei oder mit Walser zusammen gewesen: „Diese Tragödienmimik, die mir der Spiegel-Kollege in mein brav bleibendes Gesicht inszeniert, kommt mir erfunden vor“, schrieb Walser in dem Brief.

Auf Nachfrage der Untersuchungskommission antwortete Kurbjuweit laut dem Bericht, er habe in dem Text auch nicht geschrieben, dass Walser durch ihn selbst vom Gewinn Jelineks gehört habe: „Im ersten Absatz werde ausschließlich und korrekt geschildert, wie Walser auf das Gerücht reagierte, jemand anderes habe gewonnen.“ Dennoch wird ein anderer Eindruck erweckt, worauf der Autor antwortete: „Das ist etwas kompliziert, vielleicht auch etwas krumm, aber falsch ist hier nichts.“

Machtkampf hinter den Kulissen

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Dass es überhaupt zu einem Wechsel an der Spitze des „Spiegel“ kommt, hat seine Ursache in einem Machtkampf, der sich hinter den Kulissen des Verlags abspielt. So soll es in den vergangenen Monaten zunehmend zu Auseinandersetzungen zwischen Steffen Klusmann und Stefan Ottlitz gekommen sein, einem von zwei Geschäftsführern des Verlags. Zwar konnte die Geschäftsführung am Mittwoch eine gute Bilanz für das vergangene Jahr verkünden, mit einem Gewinn über 40 Millionen Euro, verbunden mit einem Dank auch an die Chefredaktion.

Tatsächlich geht es aber um die Frage, wer bei der Umsetzung der digitalen Transformation im Haus die Richtung vorgibt – die Geschäftsführung oder die Chefredaktion. Die Mitarbeiter KG, die 50,5 Prozent und damit eine Mehrheit am Verlag besitzt, hat sich offenbar auf die Seite der Geschäftsführung und damit gegen den aktuellen Chefredakteur gestellt.

Steffen Klusmann, hieß es am Donnerstagabend, verlasse den Verlag „im gegenseitigen Einvernehmen“. Co-Geschäftsführer Thomas Hass sagt: „Wir sind Steffen Klusmann zu großem Dank verpflichtet für seine wegweisende Arbeit in den vergangenen fast fünf Jahren, allem voran für die Zusammenführung der Print- und Online-Redaktion und die Erfolge in unserer digitalen Abo-Strategie.“

Und weiter: „Wir hätten uns in den vergangenen Jahren keinen Besseren vorstellen können und bedauern sehr, dass es am Ende nicht gelungen ist, unsere immer sehr gute Zusammenarbeit für die Zukunft fortzusetzen. Wir wünschen Steffen nur das Beste.“

Klusmann selbst wird in der Mitteilung so zitiert: „Es war mir eine große Ehre, in den vergangenen fast fünf Jahren für die Spiegel-Redaktion gearbeitet zu haben. Wir haben eine ganze Menge gemeinsam erreicht. Zuletzt haben Geschäftsführung und ich in entscheidenden strategischen Fragen allerdings allzu oft keine Einigkeit erzielt – was nun mein Ausscheiden zur Folge hat.“

Über den neuen Chefredakteur Dirk Kurbjuweit sagt Stefan Ottlitz: „Dirk Kurbjuweit hat ein klares Bild davon, wie unser Journalismus im Digitalen wie in Print weiterzuentwickeln ist zwischen Tempo und Tiefe, und er hat sowohl als Autor als auch in Leitungsfunktionen vorgemacht, wie man das Profil des Spiegel schärft.“ Kurbjuweit selbst wird folgendermaßen zitiert: „Gerade in diesen bewegten Zeiten muss der Anspruch des Spiegel sein, im Netz jeden Tag und am Kiosk jede Woche die bestmögliche journalistische Qualität zu liefern und damit dem Vertrauen unserer Leserinnen und Leser gerecht zu werden.“

Viel warme Worte nach einer sehr frostigen Zeit.

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