Es waren zwei Ohrfeigen, um genau zu sein. Der Vorfall ereignete sich im Wiener „Café Griensteidl“, das heute nur noch dem Namen nach existiert. Im alten „Griensteidl“ (Spitzname: „Café Größenwahn“) verkehrte bis zum Abriss 1897 das Who’s who der damaligen Literatenszene. Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Hermann Bahr, Max Reinhardt. Man nannte sie die „Jung-Wiener“. Karl Kraus, noch jünger als der Rest der Clique, stieß ab den frühen 1890er-Jahren hinzu und fiel dadurch auf, dass er als Publizist selbst unter Freunden kein Blatt vor den Mund nahm.
Er spottete über Schnitzler und düpierte seinen Kumpel Felix Salten. Der, 1869 in Pest (Ungarn) als Sohn einer jüdischen Familie unter den Namen Siegmund Salzmann geboren, war im Fin de Siècle einer der wichtigsten Wiener Kaffeehausliteraten. Sein Name ist heute nicht jedem geläufig, doch sein berühmtestes Werk kennt jedes Kind: „Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde“ gab die literarische Vorlage für einen der berühmtesten Stoffe der Kinogeschichte.
Saltens Roman über das Rehkitz war 1922 in der Wiener „Neuen Freien Presse“ vorabgedruckt worden und 1923 als Buch im Berliner Ullstein-Verlag erschienen. Es wurde ein Flop, Experten werten es bis heute als Fehler, dass Ullstein auf die Abbildung eines Rehkitzes auf dem Cover verzichtet hatte. Und dann die Inflation: Saltens Realhonorare schmolzen wie Schnee im April. 1926 erschien eine „Bambi“-Neuausgabe bei Zsolnay in Wien, 1928 folgte die Übersetzung („Bambi. A Life in the Woods“) bei Simon & Schuster.
Der Welterfolg „Bambi“
Mit der amerikanischen Ausgabe war der Grundstein für die Disney-Verfilmung gelegt. „Bambi“ (1942) wurde eine der ersten großen Zeichentrickproduktionen überhaupt. Wobei Salten die Rechte 1933 eher verschenkt als verkauft hatte – an den MGM-Mann Sidney Franklin. Zeit seines Lebens konnte Felix Salten, obwohl als Verfasser von Theaterstücken, Kritiken, Kurzgeschichten und später auch Tierromanen ultraproduktiv, kaum je vom Schreiben leben. Dass Salten hinter dem ihm zugeschriebenen pornografischen Werk „Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne“ (1906) steckt, konnte nie verifiziert werden. Sicher ist nur, dass er und Schnitzler sich in den 1890er-Jahren manche Frau teilten.
Auch Salten und Kraus waren eine Zeit lang ziemlich beste Freunde, doch schon bald kühlte sich ihr Verhältnis ab. Kraus hatte Salten wegen seiner Sprachfloskeln und Stilblüten garstig seziert, in seinem satirischen Text „Die demolirte Literatur“ vom Dezember 1896 nahm Kraus die Jung-Wiener Kaffeehausclique seitenlang aufs Korn und machte Saltens bis dato geheime Liaison mit der Burgschauspielerin Ottilie Metzl öffentlich.
Daraufhin betrat Salten am 14. Dezember 1896 das „Café Griensteidl“ und verpasste Kraus vor aller Augen eine Ohrfeige. Und noch eine, „was allseits freudig begrüßt wurde“, so Augenzeuge Schnitzler später in seinem Tagebuch.
Der Vorfall hatte ein juristisches Nachspiel. Salten wurde am 25. Februar 1897 zu einer Geldstrafe von 20 Gulden oder vier Tagen Arrest verurteilt. Zeitgemäß wäre der Beef als Duell ausgetragen worden, doch Kraus brachte ein ärztliches Attest bei: Danach litt er an einer schweren Rückgratverkrümmung, die ihm die „Satisfaction“ durch ein Duell unmöglich mache. Kraus starb 1936 – 620 Mal hat er Salten in seiner medienkritischen Zeitschrift „Die Fackel“ erwähnt, nie positiv. Salten emigrierte nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland in die Schweiz. 1945 starb er verbittert und vereinsamt in Zürich, wo ihn der Bambi-Brunnen im Stadtteil Oberstrass bis heute ehrt.
Alles Schriftstellerleben sei Papier, heißt es. In dieser Reihe treten wir den Gegenbeweis an.