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Literatur Exilant Lion Feuchtwanger

„Ich bin deutsch, und mein Herz schlägt jüdisch“

Freier Mitarbeiter im Feuilleton
Portrait de l'écrivain allemand Lion Feuchtwanger, auteur du 'Juif Suss', à Berlin, Allemagne en 1934. (Photo by Keystone-France/Gamma-Rapho via Getty Images) Portrait de l'écrivain allemand Lion Feuchtwanger, auteur du 'Juif Suss', à Berlin, Allemagne en 1934. (Photo by Keystone-France/Gamma-Rapho via Getty Images)
Von den Nazis verbannt: Lion Feuchtwanger
Quelle: Gamma-Keystone via Getty Images
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Sein Roman „Jud Süß“ war von den Nazis zum Propagandafilm verunstaltet worden. Wie Lion Feuchtwanger darauf reagierte, lässt sich jetzt in Briefen aus dem Exil nachlesen. Auch um die Schildkröten in seinem arisierten Haus sorgte er sich.

Seit seinem großen Roman „Erfolg“, der 1930 erschien und den er auch seinen „Hitler-Roman“ nannte, war Lion Feuchtwanger bei den Nazis verhasst. Seine Bücher wurden am 10. Mai 1933 unter johlendem Applaus verbrannt, er gehörte zu den ersten Deutschen, denen die Nazis die Staatsbürgerschaft entzogen – fortan lebte er – zum Zeitpunkt der „Machtergreifung“ gerade zu Vorträgen in den USA – als Staatenloser ohne Pass.

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Nach Deutschland sollte der 1884 in München geborene Schriftsteller nie mehr zurückkehren. Aus dem Exil kommentierte er die deutschen Verhältnisse mit klaren Worten, wie ein jetzt erscheinender Band mit Reden und Essays dokumentiert. Die Frage im Titel – „Bin ich deutscher oder jüdischer Schriftsteller?“ – muss sich Feuchtwanger in den 1920er-Jahren stellen, als sich die Stimmen mehren, die „beides“ als Antwort für kategorisch ausgeschlossen halten. Für Feuchtwanger ist die Verbindung aus deutschem und jüdischem Geist bis dahin eine glückliche gewesen, er verweist auf Heine und Marx, Freud und Einstein und viele andere Beispiele. Er sieht, dass diese Verbindung abzureißen droht. „Das Jahr 1933 ist seit fünfhundert Jahren das dunkelste in der Geschichte der deutschen Kultur und in der Geschichte der deutschen Juden“, schreibt Feuchtwanger.

Kampf mit Worten

Die Reden, Artikel und Aufsätze, die aus den Jahren 1931 bis 1949 stammen, zeigen den Schriftsteller als genauen Beobachter und entschiedenen Streiter. Obwohl er mit Worten kämpft, weiß er, dass das nicht ausreichen wird. „Jeder Verständigungsversuch gilt diesen Leuten nur als Zeichen von Schwäche: die einzige Sprache, die sie verstehen, ist die der Gewalt.“ Mit Geist und Sprache allein bleibt man ohnmächtig, für Schriftsteller wie Feuchtwanger ist das eine existenzielle Erfahrung, die der Filmemacher Woody Allen in „Manhattan“ mal in einen bitteren Gag gegossen hat: „Ich habe letztens einen Essay gegen Antisemitismus geschrieben.“ – „Wie schön! Ich bevorzuge Baseballschläger.“

Feuchtwanger beschreibt Nazi-Deutschland scharf und bissig: Hitler („ein Schauspieler mittleren Formats“), Göring („der reine, plumpe, stierhafte Ausdruck der nackten Gewalt“) und Goebbels („der kleine, hässliche, missgestaltete Goebbels“) verkörpern für ihn das System der Lüge und Gewalt, das „eine aus Pseudo-Zoologie und Bürokratie sinnlos gemischte Lehre von der Ungleichheit der Menschen zur Basis seiner Gesetze, seines Daseins“ gemacht habe. „Aller Saft Deutschlands dient heute der Vorbereitung des Krieges, alles übrige Leben verdorrt.“

Vor der Errichtung des Dritten Reichs hätten „Bücher von Thomas Mann, Heinrich Mann, Remarque, Feuchtwanger, Arnold Zweig, Stefan Zweig Auflagen erreicht, die um ein Vielfaches höher waren als die von ‚Mein Kampf‘“, schreibt Feuchtwanger. „Solange das deutsche Volk noch frei wählen konnte, hat es sich also für die Zivilisation und für die deutsche Sprache entschieden, gegen die Barbarei und das Gestammel.“ Deutsche Kultur war am größten, wo sie auf Weltteilhabe zielte, nicht auf Stammesdünkel. „Die am besten deutsch schrieben, Lessing, Goethe, Nietzsche, fühlten sich durchaus als Kosmopoliten.“

Zu den beeindruckendsten Dokumenten des Bandes gehören zwei offene Briefe. Der erste wendet sich „an den Bewohner meines Hauses Mahlerstraße 8 in Berlin“. An Feuchtwanger ehemaliger Adresse haust inzwischen ein Profiteur der „Arisierung“. Feuchtwanger erkundigt sich, ob die Nazis, wie er gehört habe, tatsächlich sogar seine Schildkröten totgeschlagen hätten.

„Wir werden uns wiedersehen“

In dem zweiten Brief adressiert er „sieben Berliner Schauspieler“, die in den Film „Jud Süß“ mitgewirkt haben, darunter Veit Harlan. Der Propagandafilm entstellte Feuchtwangers Romanvorlage bis zur Unkenntlichkeit. „Wird Ihnen nicht ein bisschen ungemütlich bei der Vorstellung, dass die andern, dass wir uns diesen Ihren Film anschauen, wenn das tausendjährige Reich verduftet ist?“, fragt Feuchtwanger die Schauspieler. Und prophezeit: „Wir werden uns wiedersehen, meine Herren, in Berlin, in einer Zeit, die vielleicht gar nicht so fern ist.“ Durch alle Texte zieht sich Feuchtwangers fester Glaube, dass die Herrschaft der Nazis ein baldiges Ende finden wird. Seine Hoffnung allerdings, man werde über diese Episode im Stile eines Aristophanes lachen können, erwies sich angesichts der Vernichtungslager und Massenerschießungen als falsch oder geradezu naiv.

Seit 1933 hatte Feuchtwanger wenig Zweifel, für welchen Kultur- und Zivilisationsbruch die Nazis sorgen würden. „Die höchste Autorität, vor der dieser Staat auf dem Bauch kriecht, ist der entfesselte Kleinbürger“, stellte Feuchtwanger fest. „So erklärt sich auch, dass die heutigen Regierenden keine Gegner mit wüsterem Hass verfolgen als den Geist, als das freie Wort. Die Vernichtung der Literatur im eigentlichen Wortsinn, die Verbrennung von Büchern, ist vielleicht das wichtigste Symbol ihrer Herrschaft.“ Feuchtwanger starb 1958 in Los Angeles, die Villa Aurora in den Hügeln von Pacific Palisades wurde zu einem Treffpunkt der Exilanten; andere – wie etwa Walter Benjamin oder Stefan Zweig – trieb die Exilsituation in den Selbstmord.

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Ob er nun am Ende Jude, Deutscher oder Weltbürger sei? Feuchtwanger gab eine kurze, gültige Antwort: „Ich bin ein deutscher Schriftsteller, mein Herz schlägt jüdisch, mein Denken gehört der Welt.“

Lion Feuchtwanger: Bin ich deutscher oder jüdischer Schriftsteller? Betrachtungen eines Kosmopoliten. Aufbau, 232 Seiten, 26 Euro

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