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Literatur Bernd Begemann

„Balzac ist vielleicht nicht der beste. Aber der größte!“

Sänger und Entertainer: Bernd Begemann Sänger und Entertainer: Bernd Begemann
Sänger und Entertainer: Bernd Begemann
Quelle: Bertold Fabricius / WELT
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Der Liedermacher Bernd Begemann hat in mehr als 20 Alben die Liebe besungen. Hier gibt er ein Ständchen auf seine liebsten Bücher: von John Updike bis Martin Walser und von Irmgard Keun bis Ursula K. Le Guin.

Bernd Begemann ist trotz seiner inzwischen 60 Jahre ein „Junge aus der Provinz“, wie er nicht müde wird zu betonen, aus Ostwestfalen genauer gesagt. Der erste Punk von Bad Salzuflen war er obendrein. Tocotronic und all die Konjunkturritter der Hamburger Schule sind ohne Begemann und sein urbanes Folk-Elektro-Album namens „Rezession, Baby!“ von 1993 nicht denkbar. Er ist Vorreiter und auch ein wenig Ritter von der traurigen Gestalt, so unerschütterlich eigen galoppiert er durch die Musiklandschaft, immer eine Nasenspitze voraus, häufig einen Galoppsprung zu weit. Da können viele nicht mithalten und kassieren genau deshalb Ruhm und Ehre ein.

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Immerhin war er letztes Jahr als Botschafter des deutschen Liedguts in Japan unterwegs und durfte seine asiatischen Fans beglücken. Man könnte ihm Edelmut andichten, denn nichts ist ihm wohl mehr zuwider als Kleinherzigkeit und Gefühlsgeiz. Glück und Überschwang des Publikums sind sein Manna, Konzerte von dreieinhalb Stunden keine Seltenheit.

In mehr als 20 Alben und über 400 Songs besingt er die Liebe, zieht es vor, „Zweimal zweite Wahl“ zu sein, anstatt sich mit der Monotonie der Monogamie zu begnügen. Im November des vergangenen Jahres erschienen ausgewählte Songtexte im Ventilverlag, Titel und Untertitel sprechen Bände: „Gib mir eine zwölfte Chance“ und „Ich enttäusche dich so, wie nur ich es kann“.

Der Mann mit dem goldenen Seidenhemd ist Charmeur und Crooner, wild at heart und irgendwie, dem Edelmut sei Dank, auch Feminist, denn den Frauen lässt er in Lied und Leben die Qual der Wahl. Er verehrt Bert Kaempfert und bietet Berlin, Pasing, Barmstedt und Ostfildern Einblicke in das, was nicht so laut und grell daherkommt im Leben: ein großes Herz, einen edelmütigen Geist, Dramoletti und Cappricci. Geschärft hat er seine Sinne als Leser an Balzac, Updike und, ganz ritterlich, Prinz Eisenherz, wie er nachstehend in eigenen Worten erläutert.

Hal Foster: Prinz Eisenherz

Das erste epische Werk, das mich wirklich erreicht hat. Der Comic-Klassiker ist sehr kunstvoll erzählt. Ich habe ihn wieder besichtigt vor ein paar Jahren. Das Buch gibt Beispiele dafür, was heroisches Handeln ist: Nicht nur siegreich in der Schlacht zu sein, sondern gerecht zu handeln, umsichtig zu handeln, für eine Gemeinschaft zu handeln. Es werden viele moralische Fragen gestellt, auch sehr viele ökologische Fragen angesprochen. Es gibt einige Stellen, an denen der Wald abgeholzt wird, an denen Prinz Eisenherz sich fragt, ob das jetzt eine Verbesserung ist. Wirklich sehr gut!

Martin Walser: Ehen in Philippsburg

Ein prägendes Buch für mich. Die imaginäre Stadt Philippsburg, eine Art Quersumme aller deutschen Städte. Kleine Anmerkung: In Wirklichkeit ist die Quersumme aller deutschen Städte Bielefeld, wie Statistiker herausgefunden haben. Die durchschnittliche Anzahl, die durchschnittliche Zusammensetzung der Bevölkerung, die durchschnittliche Quadratmeterzahl Kino pro Bevölkerung …

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Ich stelle mir vor, dass das Philippsburg Martin Walsers eigentlich Bielefeld wäre. Es funktioniert als Melodram, als Satire. Es ist auch ein leicht kabarettistisches Buch, zeigt aber viel von dem, was die alte, untergegangene Bundesrepublik zusammengehalten hat, was sie in ihren Grundfesten immer angegriffen hat. Wie jedes gute Buch zeigt es das Verborgene.

John Updike: Ehepaare

Ein brillanter Schriftsteller, der heute scheinbar gar nicht mehr gelesen wird, was eine Schande ist. Vielleicht, weil es die Art von Beziehung, um die seine Bücher kreisen, augenscheinlich nicht mehr gibt. Doch natürlich sind die Muster in monogamen Paarbeziehungen immer noch dieselben, es sind die süßen Vergeblichkeiten, eingebettet in die Struktur einer Nachbarschaft, einer Stadt, eines Wirtschaftskreislaufs. John Updike zeigt uns das mit Leichtigkeit. Er ist im Grunde der Blueprint für Jonathan Franzen und so weiter.

Ich glaube „Ehepaare“ von 1968 ist Updikes erstes großes Hit-Buch, noch vor der „Rabbit“-Reihe. Zum damaligen Zeitpunkt war es eine stille Revolution. Es passieren ja keine lauten Dinge in dem Buch, keine großen Explosionen, keine Zugentgleisungen. Er sagt, wie wir leben – und das ist atemberaubend und das ist sehr gefährlich, obwohl es so geordnet aussieht. Ich schätze das Buch sehr.

Irmgard Keun: Das kunstseidene Mädchen

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Ja, es ist ein bisschen ein überpräsentes Buch. Viele Leute nehmen es nicht ernst als Literatur. Es ist ein Kolportageroman, ein Unterhaltungsroman, aber mit so viel Verve und Feuer und Empathie geschrieben! Mir hat „Das kunstseidene Mädchen“ gezeigt, dass man sich geografisch verändern kann, irgendwo hingehen kann, sich tummeln kann, um was aus seinem Leben zu machen, Abenteuer erleben kann, und dass man wahrscheinlich einen Preis wird bezahlen müssen. Dass das aber okay ist, denn das ist lebendiger, als sich erst gar nicht in Bewegung zu setzen. Keun scheint uns eine spezielle Frau vorzuführen und erreicht damit eine grundsätzliche Beschreibung von großstädtischem Leben und von großen Ambitionen, die realistischerweise selten alle erfüllt werden.

Ursula K. Le Guin: Winterplanet

Ursula K. Le Guins Romane haben mich beeinflusst. Rückblickend ist es irre, wie fortschrittlich sie war, wie viele Themen sie zuerst angesprochen hat, immer in ihrer leichten, hellen Prosa. Ich schätze sie sehr. Man könnte jedes Buch rauspicken von ihr. „Winterplanet“ von 1969 ist vielleicht das zurzeit fortschrittlichste. Es geht um eine Gesellschaft, in der die Bewohner ihr Geschlecht wechseln. Ursula K. Le Guin deutet an, dass sie das zu kompletteren Wesen macht, zu freieren Wesen. Das ist ein schöner Gedanke, und weil die Autorin Ursula K. Le Guin ist, befragt sie das Konzept gnadenlos. Sie traut ihrem eigenen Entwurf nicht. Sie macht den Lackmustest. Sie wirft ihre Utopie gegen die Wand, und es bleiben nicht nur gute Dinge hängen.

Honoré de Balzac: Glanz und Elend der Kurtisanen

Alle Balzac-Bücher, die in der Großstadt spielen, sind fantastisch. Seine Kleinstadt-Romane sind genauso quälend wie die Kleinstädte selbst, in denen sie spielen, aber von seinen Großstadtromanen kann man praktisch alle auswählen. Ich nehm’ jetzt mal „Glanz und Elend der Kurtisanen“. Niemand hat mehr geliebt als Balzac. Proust zum Beispiel verachtet alle Menschen, die nicht er sind. Er beschreibt Menschen genau, aber ohne Empathie. Für Proust sind andere meistens lästige Erscheinungen, Hindernisse in seiner eigenen Welt. Für Balzac hingegen sind die Menschen, die seine Romane bevölkern – und zwar alle, vom einfachsten Kutscher bis zur Adligen – die ganze Welt. Das ist alles, was wir haben, suggeriert er.

Diese Menschen in unserer Umgebung – wir müssen sie genauer betrachten. Balzac war ja ein voyeuristischer Flaneur, wie er selbst zugegeben hat. Er folgte Fremden durch die Seitengassen, er lauschte an ihren Fenstern … und dann brachte er die Beute heim zu uns und lässt uns teilhaben und lässt uns niedersitzen in den Stuben, lässt uns hasserfüllte Schwüre und Flüche mithören und die zartesten Liebesgeständnisse. Balzac möchte uns überall hinbringen – und er tut es. Deshalb ist er der Größte. Er war vielleicht nicht der Beste. Es gab stilistisch vielleicht überlegenere Schriftsteller, aber er ist der Größte, weil er das größte Herz hatte.

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