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Kultur So war der Kieler „Tatort“

Hallo, hier spricht Klaus Borowski

Redakteur Feuilleton
Axel Milberg ist Klaus Borowski Axel Milberg ist Klaus Borowski
Axel Milberg ist Klaus Borowski
Quelle: NDR/ARD/Thorsten Jander
Gerade wurde angekündigt, dass Axel Milberg bald Schluss macht im Kieler „Tatort“-Kommissariat. In zwei Jahren ist die Ära des eigensüchtigen, eigenwilligen Klaus Borowski vorbei. Sein neuer Fall zeigt noch einmal, was ihn und seine Sonntagabend-Krimiwelt ausmachte.

„Ich höre“, sagt der Ermittler und schaut sein Smartphone an wie ein Gerät, das ausschließlich zur Kommunikation tauglich ist. Wie einer, der irgendwann in den Neunzigern hängen geblieben ist. Ungefähr zu der Zeit, als sein Auto, diese rote, kantige, schwedische Karre, der ihm passt wie ein Maßanzug, auf den Markt kam.

„Ich höre“ ist eine jener Marotten von Klaus Borowski, die wir vermissen werden, wenn es – wie es jetzt angekündigt wurde – 2025 nach fast zwei Dutzend Jahren vorbei sein wird mit der Ära des kolossal kauzigen Kommissars aus Kiel, den wiederum Axel Milberg in seinem späteren Leben kaum mehr losbekommen wird, weil er mit ihm eine geradezu erschütternde Symbiose eingegangen ist.

Wie wir ihn überhaupt vermissen werden, den eigensüchtigen, empathischen Kindskopf, dessen Fälle als einzige im Sonntagabendkrimiland mit dem Namen des Kommissars gezeichnet werden. Und die ganze gern spökenkiekerige, nach allen Seiten fürs Sozialanalytische wie fürs Surreale und Absonderliche offene Ermittlungsarbeit, deren Spielraum und Sonderstellung sich Milberg und die verantwortliche NDR-Redaktion in Jahrzehnten erarbeitet haben.

Aber für Nachrufe ist es eigentlich noch zu früh. Zurück also zum Fall. Zurück zum „Ich höre“. Und zu „Borowski und die große Wut“.

Da ist alles drin wie in einer Nussschale von der Methode Borowski. Und am Telefon hängt alles und am Hören, als ob es an der Entwickler-Wand der Redaktion eine Art Bucket-List gäbe jener Marotten, die Borowski noch abzuarbeiten hat bis zu seinem hoffentlich friedlichen Ende. Und in deren Folge er schließlich am Fuß des Podests seiner Selbstgefälligkeiten angekommen ist.

Und auf Augenhöhe mit Almila Bagriaciks Mila Sahin, der letzten seiner Kolleginnen, die versucht haben, in seinem Schatten zu überleben, es mit ihm auszuhalten. Dass der Kieler „Tatort“ nach 2025 immer „Sahin und …“ heißen wird, ist allerdings eher nicht zu erwarten. Aber das ist jetzt Spökenkiekerei.

Zurück zur Wut. Da passiert erst einmal einiges gleichzeitig, das gar nicht gleichzeitig passiert. Es ist ein heller Sommertag (was nicht so häufig vorkommt im ansonsten gern grauhimmligen Kosmos des Klaus Borowski). Eine Frau – offensichtlich ist es eine – stapft versteckt in einem grünen Hoodie rücksichtslos am Ufer der Förde entlang. Wütend ist sie, schubst eine Radfahrerin zur Seite. Die landet unter einem LKW, man hört Schreie, später sieht man ihre Hinterbliebenen, aber auf die kommt es diesmal nicht an.

Blutige Bilder, flackernde Bilder

Borowski steht vor einem Eigenheim, das in den späten Sechzigern mal ein Traum gewesen war, dessen Gartenpflegebemühungen aber ungefähr in der Zeit eingestellt wurden. Man sieht ihn durchs honigfarbene Milchglas an der Tür. Dann liegt er vor einer Kieler Klinik auf der Straße. Irgendwer hat ihm halb den Schädel eingeschlagen, weswegen sein Bewusstsein ihn noch seltsamere Bilder sehen lässt, Fetzen von Erinnerungen, als sowieso immer. Blutige Bilder, Bilder von Treppen und Bädern, flackernde Bilder.

„Ihr Hippocampus lacht Sie aus“, wird später die Frau zu ihm sagen, die wie ein Engel seinen Weg im Krankenhaus kreuzt. Und sie – Sophie von Kessel allein ist das Einschalten wert – hat recht. Und dann hört er einen seltsamen Klingelton. Riecht komische Dinge. Und dann klingelt sein Handy. Und dann sagt er, er hat ein hinten offenes Krankennachthemd an und einen netten Netzverband um den Kopf: „Ich höre“. Und dann hört er Finja und Celina.

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Halbschwestern sind sie. Celina hat gerade ihren Führerschein gemacht und ähnelt – wenn man den flackernden Videos glauben darf, die das einzige sind, auf denen man sie bis zum Ende dieses „Tatort“ zu Gesicht bekommt – stark der jungen Billie Eilish. Sie sind auf der Flucht. Dass sie es sind, hat mit Borowskis Horror-Haus zu tun, in dessen Bad eine Tote liegt, und mit der verunfallten Radlerin.

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Die Tote ist Celinas Oma, die Radlerin das Opfer von Celinas großer Wut, deren Ausmaß und Auslöser den Glutkern dieser Geschichte ausmacht. Es ist eine enge Welt da draußen und eine brutale. Die Mutter gibt es noch, die überfordert war mit Celina, dem Systemsprenger, den Stiefvater, der sie missbraucht hat, und den Nachbarn, der Borowski an der Klinik ablegte und den mit Celina auch etwas Finsteres verbindet. Praktischerweise ist er so eine Art Hausmeister im Krankenhaus.

Die Klinik wird zur Ermittlungszentrale. Borowski hört Celina zu, versucht ihr Vertrauen zu gewinnen, sie zur Vernunft zu bringen. Telefonseelsorge findet statt und Flirt. Borowski telefoniert im Krankenhaus-Keller (wie er da eine Verbindung hat, ist eines der großen Rätsel dieses Falls) und im Unterholz des klinikeigenen Blumenladens.

Borowski (Axel Milberg) und der Klinik-Enge (Sophie von Kessel)
Borowski (Axel Milberg) und der Klinik-Engel (Sophie von Kessel)
Quelle: NDR/ARD/Thorsten Jander

Um die tragischen, lustigen, verzweifelten Dialoge mit Celina, in deren Verlauf das Mädchen Teil jener obenerwähnten allmählichen Entlarvung der selbstgefälligen Methode Borowski wird, ohne dass er es merkt, haben Eva und Volker A. Zahn, die Drehbuchroutiniers, ein feines Gestrüpp von dramatischen und sehr feinen Seiten- und Nebenplots gestrickt.

Die vom Engel mit dem Hippocampus zum Beispiel, mit dem es zu einer herzzerreißenden und ein bisschen blasphemischen Szene in der Klinikkapelle kommt und von dem nur Borowski in seiner verblasenen Selbstbezogenheit nicht mitbekommt, dass sie mitnichten wegen eines alkoholbedingten Treppensturzes noch lädierter aussieht als Borowski.

Die von Sahin, die all jene ehrliche Ermittlungsarbeit übernimmt, die Borowski, das Genie am Telefon, nicht leisten kann und will, weil er sich in der ihm auch eigenen Arroganz eigentlich verachtet. Von der er, der Sahin immer noch manchmal derart gönnerhaft behandelt, dass man ihn schlagen möchte, aber schließlich zugeben muss, dass sie mehr zum halbwegs glücklichen Ende beigetragen hat als seine Standleitung zu einem Teenager, der ihn, den alten Hasen, wie einer besonders schönen Möhre hinterher auf Abwege geführt hat.

Und die Bilanz: Borowski ist wieder heil und seiner Menschwerdung durch Selbsterkenntnis einen gewaltigen Schritt näher. Borowskis kantige rote Karre ist kaputt. Und wir sind um einen schönen, versponnenen, seltsamen, seltsam leichten Abend reicher.

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