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  3. Ein bisschen Mafia, ein bisschen von allem: So wird der neue Zürcher „Tatort“

Kultur Mord unter Millionären

So wird das nichts mit dem Zürcher „Tatort“

Redakteur Feuilleton
Die Kommissarinnen Ott (Carol Schuler, l.) und Grandjean (Anna Pieri Zuercher) Die Kommissarinnen Ott (Carol Schuler, l.) und Grandjean (Anna Pieri Zuercher)
Die Kommissarinnen Ott (Carol Schuler, l.) und Grandjean (Anna Pieri Zuercher)
Quelle: Sava Hlavacek/SRF/ARD Degeto
Was soll man von Zürich erzählen? Schon wieder irgendwas mit Mafia, von der Verkommenheit des Geldadels? Oder vielleicht mal was ganz anderes? Der Schweizer „Tatort“ war schon immer ein Sorgenkind des Sonntagabendkrimis. Mit „Seilschaft“ ist er es erst recht.

Es ist nicht schön, was den Menschen geschieht. Das ist es in Kriminalfilmen ja nie. Ein Mann sitzt in einem Stuhl. Wir sind in einer Zürcher Hotel-Suite. Der Mann hat am Abend vorher eine Spenden-Gala moderiert für Kinder in Afrika.

Die sah man in herzergreifenden Bilder in ihrem sonnenumstrahlten Elend, während dazu Mozarts Klarinettenkonzert lief, was cineastisch einigermaßen Gebildete im Publikum schon hätte warnen können vor der moralischen eurozentristischen Verkommenheit der Veranstaltung („Jenseits von Afrika“, ein Film gegen den Postkolonialisten heute Mahnmärsche organisieren würden).

Dem Mann hat wer den Kopf mit einem Bolzenschussgerät sauber perforiert (was, lernt man in diesem „Tatort“, nicht ganz einfach ist, weil, wenn man’s falsch anstellt, wird der Kopf… nun, ja). Anschließend wurden ihm fünf Zehen mit chirurgischer Präzision entfernt.

Einem Ruderer auf dem Zürich-See ergeht es wenig später nicht sehr viel besser, er war der Hauptsponsor der Gala, ein wahrer Wohltäter in Afrika. Und einer Frau – danach schläft man wirklich erstmal schlecht – wird alsbald ein Eichenprozessionsspinner in die Kehle gepresst, was wirklich unangenehme Folgen hat.

Vielleicht erklärt man, was schiefging an diesem Zürcher „Tatort“ mal an einem Whiteboard. Das ist so ein magnetisches Ding, da hängt man Papiere auf und Bilder und dann kann man mit Markern Linien ziehen und Verbindungen herstellen. „Seilschaft“, wie wir uns das jetzt mal ganz naiv vorstellen, ist nun so entstanden, wie manchmal, wenn wir keine Zeit hatten zum Einkaufen, unsere Nachtessen (so nennt man in der Schweiz, was man Dinner oder Abendbrot nennt). Irgendwer hat was hinterlassen, und wir machen was draus.

Im Fall von „Seilschaft“ hat jemand ans Whiteboard „Mafia“ geschrieben und „Green-Washing“ und seitenweise Material angeheftet über den neuen Kolonialismus, die fortgesetzte Ausbeutung der Armen in Afrika durch Mikrokredite und mafiöse Hedgefonds, die vorgeben, Gutes zu tun, aber nur – it’s Capitalism, Baby – an die Profitoptimierung ihrer Anleger denken. Und dann steht da noch „Irgendwas mit Kindesmissbrauch“ und „RACHE“. Daraus sollten Karin Heberlein und Claudia Pütz, naja, ein Drehbuch kochen.

Eine Geschichte wie aus unserm Kühlschrank

Herausgekommen ist etwas, das man in seiner seltsamen Unausbalanciertheit schon fast für das Porträt des Landes seiner Herkunft halten könnte, das gerade auch den Eindruck macht, aus seiner Mitte geraten zu sein. Statt nun aber – man muss ja nicht alles nehmen, was da grad im Kühlschrank herumliegt – die Mafia beispielsweise zu ignorieren und sich auf die Rache-Geschichte zu konzentrieren, versuchen Heberlein und Pütz, was ja sehr ehrenvoll ist, partout alles in eins zu bekommen. Was schiefgeht, was fad schmeckt, nach nichts Halbem und nichts Ganzem.

Das geht ungefähr so. Weil Zehenabschneiden eine Mafia-Methode ist (und man wohl die Staatsanwältin mit einem Love-Interest versorgen wollte), wird ein Mafia-Experte eingeflogen, der kluge Dinge über die ‘N drangheta sagt, ansonsten aber gleich wieder hinterm Whiteboard verschwindet. Im Zürcher Mafia-Milieu gibt es Zoff zwischen Albanern und Italienern. Und in diversen Erklärbär-Dialogen wird das System der afrikanischen Aktivitäten der Mafia aufgedröselt.

Möglicherweise, weil man das nicht ganz falsche Gefühl hatte, nicht schon wieder in einem Zürcher „Tatort“ nur die Reichen und meistens nicht ganz so Schönen zu dämonisieren, schwenkt „Seilschaft“ allmählich ins Privatistische. Das ist fadenscheinig angelegt in Tessa Ott (Carol Schuster). Die bildet – neben Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) – das einzige rein weibliche Ermittler-Duo im „Tatort“.

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In Zürich ist Ott fürs Emotionale zuständig, für den flammenden Hass auf die oberen Fünftausend, den sie hat, weil sie selbst da herkommt. Tessa hat einen Verdacht, der Mafia-Theorie misstraut sie. Da ist was andres im Gange. Eine sattsam bekannte Geschichte – deswegen gleicht „Seilschaft“ ja so einer faden Suppe aus eher angejahrten Zutaten – von Machtmissbrauch, Perversion und Vertuschung wittert sie.

Weil sie, das ist der leise horizontale Faden, der sich durch den jüngeren Zürcher „Tatort“ zieht, das alles als Spross des prinzipiell moralisch anrüchigen Geldadels von der Goldküste sehr gut kennt. Und ein widerspenstiges, stacheliges Empathiemonster ist sie auch.

Was sie auf Abwege bringt und „Seilschaften“ zu einer Dringlichkeit der Erzählung, die das Beste ist an diesem „Tatort“. Retten kann sie ihn nicht. Zu retten wäre diese Whiteboard-Katastrophe auch nicht mit dem Einsatz eines Dutzends von Drehbuchdefibrillatoren.

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Der Schweizer „Tatort“ war – allein schon durch seine akustische Künstlichkeit, weil er jedesmal synchronisiert wird – schon immer das Sorgenkind des Sonntagabendkrimis. Manchmal zu verschnarcht, nicht selten unausgegoren, häufig schlicht langweilig, ohne Linie und halbwegs konsistente ästhetische Richtung.

Mit seiner Verpflanzung von Luzern nach Zürich und der Bestallung von Grandjean und Ott hatte man das Beste gehofft. Irgendwas wie Wien hätte es werden können.

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