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Warum es kein längstes deutsches Wort geben kann

Feuilletonredakteur
Linguist Ralf Methling Linguist Ralf Methling
Linguist Ralf Methling
Quelle: Privat
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Woher kommen neuerdings die vielen Deppenleerzeichen? Der Experte Ralf Methling hat zwei Erklärungen dafür und sagt, warum er den Ausdruck unangebracht findet. Er weiß, warum auf „rummerkeln“ bald „lauterbachen“ folgen könnte. Und was das alles mit Rechtsköpfigkeit zu tun hat.

Deutsche Wörter faszinieren die Welt. Lisa Simpson brachte ihrem Vater Homer das Wort Schadenfreude bei – und damit auch Millionen anderen Amerikanern. Im Internet kursierte eine Zeichnung des „New Yorker“-Cartoonisten Peter Kuper, in der ein Paar einen Clown beobachtet, der auf einer Bananenschale ausrutscht, während ihm gleichzeitig von oben ein Geldschrank auf den Kopf fällt. Der Mann sagt zur Frau: „There‘s gotta be a german word for that.“ Offenbar verfügt die deutsche Sprache über eine ganz besondere Fähigkeit, neue Wörter bilden. Warum die dann manchmal noch länger sind als Rinderkennzeichnungsfleischetikettierungs-überwachungsaufgaben-übertragungsgesetz weiß der Linguist Ralf Methling, der die Wortbildungsregeln in einem neuen Buch erklärt.

WELT: Was ist überhaupt ein Wort?

Ralf Methling: Das ist tatsächlich eine Frage, die man nicht so leicht beantworten kann. Im Alltag ist durch den Kontext meistens deutlich, was mit einem „Wort“ in einer bestimmten Gesprächssituation gemeint ist. Doch in der Linguistik benötigt man eine genaue Definition. Zudem sollte diese dann auch möglichst auf alle Sprachen der Welt anwendbar sein. Das macht die Beantwortung der Frage noch schwieriger.

Die meisten Menschen werden spontan antworten, dass ein Wort das ist, was durch Leerzeichen getrennt wird. Aber Leerzeichen eignen sich nicht, um zu entscheiden, ob es sich um ein Wort oder um mehrere handelt. Der Satz: „Drehe den Wasserhahn zu!“, enthält das Verb „zudrehen“. Handelt es sich dabei um ein Wort oder um zwei? Im Beispielsatz wird es getrennt voneinander geschrieben, in seiner Grundform zusammen. Vor allem, wenn man eine sprachübergreifende Definition für den Begriff „Wort“ sucht, wird deutlich, dass Leerzeichen nicht zwingend Wörter trennen. So ist im Englischen ein Ehering ein wedding ring und das Japanische verwendet eine Silbenschrift, bei der Leerzeichen ebenso wenig zum Trennen von Wörtern eingesetzt werden.

Aber in unserem Schriftsystem stehen die Leerzeichen nicht völlig willkürlich, sondern fast immer zwischen Bedeutungseinheiten und der Begriff „Bedeutungseinheit“ lässt sich tatsächlich als Umschreibung für den Begriff „Wort“ verwenden. Ein Wort ist also eine Bedeutungseinheit. In der Linguistik spricht man übrigens nicht von einem „Wort“, sondern von einem „Lexem“, um Missverständnisse zu vermeiden.

WELT: In Ihrem Buch nennen Sie die Zahl von 19 Vokalen im Deutschen. Normalerweise geht man von A-E-I-O-U aus. Wie kommen Sie auf die höhere Zahl?

Methling: Zunächst muss man zwischen Lauten und Buchstaben unterscheiden. Laute werden gesprochen, Buchstaben geschrieben. Laute haben in der Linguistik eine Sonderrolle, weil es gesprochene Sprache vor geschriebener Sprache gab. Auch Kinder lernen erst sprechen, bevor sie schreiben lernen. Sprache ist also hauptsächlich mündlich.

Wenn man die Vokale einer Sprache zählt, dann geht man darum vorrangig von den Lauten aus. Die Vokale A-E-I-O-U dahingegen sind nur die Vokalbuchstaben. Es wäre praktisch, wenn es eine 1:1-Beziehung zwischen Lauten und Buchstaben gäbe, nur leider gibt es mehr Vokallaute als Vokalbuchstaben. So entspricht der Buchstabe e nicht immer auch dem gesprochenen Laut e wie in beten, sondern klingt im Wort Bett anders. Je nachdem also, ob er weiter vorn oder hinten im Mundraum gebildet wird und wie geschlossen oder offen der Mund dabei ist, handelt es sich um einen anderen Laut und entsprechend um einen anderen Vokal.

Wie viele Vokale die deutsche Sprache genau hat, kann man übrigens nicht genau sagen. Auf jeden Fall kann man 16 Monophthonge, also „einfache Vokale“ unterscheiden. Daneben gibt es Diphthonge, also Doppellaute wie „au“ zum Beispiel.

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WELT: Was halten sie vom Aufkommen des sogenannten „Deppenleerzeichens“, also eines Leerzeichens zwischen zwei Wörtern, die normalerweise im Deutschen als Kompositum geschrieben werden?

Methling: Ich bin der Meinung, dass die Linguistik in ihrem Kern eine deskriptive Wissenschaft ist. Sie beschreibt sprachliche Phänomene und schreibt nicht vor, was richtig oder falsch ist. Dieses Leerzeichen, von dem einige der Meinung sind, dass es nur in ganz bestimmten Fällen in einem zusammengesetzten Wort (einem Kompositum) stehen darf, ist für mich nichts anderes als eine gleichwertige alternative Schreibweise zur Zusammenschreibung. Von mir aus braucht sich keiner an Rechtschreibregeln zu halten und ist man auch kein „Depp“, wenn man unnötige Leerzeichen verwendet, aber dann sollte man sich auch bewusst darüber sein, dass man dann eventuell nicht ernst genommen wird und von anderen als „dumm“ abgestempelt wird.

WELT: Wie erklären Sie sich diesen Trend?

Methling: Es gibt viele Faktoren, die diesen Trend beeinflussen. Einer der wichtigsten ist wohl, dass Sprachen immer in Kontakt zueinander stehen. Sie beeinflussen einander. Je häufiger wir mit englischen Begriffen wie car wash konfrontiert werden, desto akzeptabler werden auch Schreibweisen wie Auto Waschanlage.

Zweitens feuert auch das Internet und unser technologischer Fortschritt diesen Trend an. Dadurch, dass wir auf automatische Übersetzung, Spracherkennung und Rechtschreibprogramme vertrauen, kann die eigenen Rechtschreibunfähigkeiten leicht kaschiert werden. Ein Wort wie Stadt Bibliothek würde vom Computer oft einfach also korrekt durchgehen und nach vielen Berufsjahren hinter dem Computer mit Rechtschreibprogramm fehlen die eigenen Rechtschreibkenntnisse, um solche Fehler selbst zu entdecken.

WELT: Warum sind deutsche Wörter manchmal so lang?

Methling: Das liegt daran, dass im Deutschen Wörter mithilfe der Komposition gebildet werden können. Dieser Wortbildungstyp kommt sehr häufig vor. Aus einer Tasche wird mithilfe der Komposition z. B. eine Tragetasche und daraus kann das Tragetaschenmaterial oder das Tragetaschenmaterialherstellungs-prozessprotokoll werden. Man könnte dieses Wort alternativ auch in einem sehr langen Satz umschreiben, aber es ist auch als Zusammensetzung noch relativ gut verständlich.

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WELT: Welches ist das längste deutsche Wort?

Methling: Das längste deutsche Wort kann es nicht geben. Es wäre immer möglich, ein noch längeres Wort zu bilden. Wenn man beispielsweise das Wort Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung nimmt, kann man daraus Aufmerksamkeitsdefizit-hyperaktivitätsstörungen machen. Oder man erweitert es mit einem weiteren Wort: Aufmerksamkeitsdefizit-hyperaktivitätsstörungstherapie.

Das Wortbildungsprinzip, das hierfür verantwortlich ist, ist die Komposition. Allerdings wird mit der Frage nach dem längsten deutschen Wort oft implizit nach dem längsten deutschen Wort in einem Wörterbuch gefragt. Das ist je nach Wörterbuch unterschiedlich. Im Duden ist es Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung. Allerdings muss man beachten, dass in Wörterbüchern nur Wörter stehen, die mit einer gewissen Häufigkeit in Texten publiziert wurden und „in aller Munde“ sind. Fachausdrücke und ganz bestimmte Gesetze und Verordnungen wie die Grundstücksverkehrsgenehmigungs-zuständigkeitsübertragungsverordnung stehen nicht im Duden.

Allerdings arbeitet die Dudenredaktion mit einem Korpus, einer großen Sammlung verschiedenster Texte, in dem das Wort Rinderkennzeichnungsfleischetikettierungs-überwachungsaufgabenübertragungsgesetz mindestens fünfmal auftritt. Dieses Wort könnte also das längste deutsche Wort sein, allerdings könnte es auch Wörter geben, die noch länger sind, aber aufgrund ihrer geringen Häufigkeit nicht registriert werden.

WELT: Gibt es eine Obergrenze für die Länge deutscher Wörter?

Methling: Es gibt keine Obergrenze. Jedes Wort kann im Deutschen mit einem weiteren Wort verlängert werden. Allerdings sind diese Wörter ab einer gewissen Länge nicht mehr verständlich und werden unpraktisch. Wörter, die häufig vorkommen und im Vergleich zu den anderen Wörtern im Gebrauchswortschatz lang sind, werden darum oft zu Kurzwörtern. Zur Kindertagesstätte sagt man darum auch Kita, die Kanzlerfrage ist auch die K-Frage.

WELT: Warum gibt es besonders viele lange Wörter in der Rechts- und Verwaltungssprache?

Methling: In der Rechts- und Verwaltungssprache kommt es auf Genauigkeit an. Da bei einem Kompositum der Kopf, also das Wort, das rechts steht, genauer beschrieben wird, sind Komposita ein beliebtes Mittel um juristisch kurz und kompakt genau zu beschreiben, auf was man sich bezieht. Ein Kindergeldantragssteller ist wesentlich genauer als ein Antragssteller und kürzer als Person, die einen Antrag für die Auszahlung von Kindergeld stellt.

WELT: Was ist Rechtsköpfigkeit?

Methling: Der Kern eines Kompositums ist im Deutschen das Wort, das an letzter Stelle steht. Da wir von links nach rechts lesen, ist der Kern also das Wort, das rechts steht. Man nennt diesen Teil auch „Kopf“. Dieser regelmäßige Aufbau macht es uns sehr leicht, auch lange Wörter zu verstehen. Eine Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung ist also ganz klar eine Störung. Doch nicht in allen Sprachen gilt das Prinzip der Rechtsköpfigkeit. Ein café-filtre ist im Französischen kein Kaffeefilter, wie man denken könnte, sondern Filterkaffee.

WELT: Über das Verb feinden in einem Gedichtsatz von August Stramm, der lautet „Die Steine feinden“ werden viele Leser erst mal stolpern. Es steht in keinem Wörterbuch. Warum ist es dennoch ein korrektes, im Zusammenhang verständliches deutsches Wort?

Methling: Wir Menschen stolpern generell fast nie über unbekannte Wörter, weil wir die Regeln der Wortbildung verinnerlicht haben. Ende 2020 fingen die ersten Zeitungen an, gehäuft über Impfzentren zu schreiben, ein neues Wort, das bis dahin fast keiner (mehr) kannte, und ich glaube kaum einer hat im Wörterbuch nachschlagen müssen, was damit gemeint ist.

Auch feinden ist ganz regelmäßig nach den Regeln der deutschen Wortbildung aufgebaut. Es handelt sich um eine Ableitung vom Substantiv Feind. Um ein Verb zu bilden, kann im Deutschen die typische Endung -en verwendet werden und so wird aus dem Feind das, was ein Feind tut. Er feindet, d. h. er verhält sich z. B. feindselig.

WELT: Warum ist Garage im Deutschen nicht maskulin wie im Französischen?

Methling: Garage ist ein Fremdwort aus dem Französischen, das im deutschen Wortschatz gefestigt ist und darum mittlerweile ein Lehnwort ist. Dabei hat es auch einen Artikel bekommen, denn alle deutschen Substantive benötigen einen Artikel. Weil das Wort auf -e endet und viele deutsche Substantive auf -e weiblich sind, haben die Menschen gehäuft die Garage verwendet und so hat es sich dann auch im deutschen Wortschatz gefestigt. Wenn Fremdwörter in den deutschen Wortschatz importiert werden, können sie also neue grammatische Eigenschaften erhalten. Nicht immer wird die Grammatik aus der Sprache, aus der das Wort stammt, übernommen.

WELT: Es gibt Grenzen, der Zusammensetzungsmöglichkeiten im Deutschen. Warum entsprechen die Wörter Wunderbarzeit, Ärgerlichwut oder Traurigtag nicht den deutschen Wortbildungsregeln?

Methling: Das Interessante ist, dass es bei der Bildung von Komposita kaum Grenzen gibt. Alle Wortarten lassen sich mithilfe der Komposition zu neuen Wörtern verbinden. Auch ein Wort wie Nein-Erziehung, das ich mir gerade ausgedacht habe, wäre, je nach Kontext, logisch.

Sehr selten sind Komposita, die nur aus Adjektiven bestehen wie höflichbestimmt. Adjektive, die von einem Substantiv abgeleitet wurden und zum Beispiel auf -bar, -lich oder -ig enden, lassen sich generell nicht weiter kombinieren. Aber das könnte man ja ändern. Wenn genug Leute diese Wortneuschöpfungen verwenden, werden sie es vielleicht in den deutschen Wortschatz schaffen.

WELT: Was bedeutet rummerkeln?

Methling: Rummerkeln ist ein Beispiel für das Phänomen, Politiker zu Paten für Wortneuschöpfungen zu machen. Rummerkeln bedeutet, dass man sich verhält wie Angela Merkel. Man sitzt Probleme einfach aus, sagt nichts und wenn, dann sind es Floskeln. Aber man kann auch einen Text guttenbergen und wahrscheinlich bald jemanden oder etwas lauterbachen. Was auch immer das dann bedeuten mag.

Ralf Methling: Warum die Wörter im Deutschen so lang sind. Von Bandwurmwörtern und skurrilen Wortschöpfungen*, Duden, 144 Seite, 12 Euro.

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