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Meinung „Rock of Ages“

Völlig verbockt haben wir Alten es jedenfalls nicht

Protestieren können wir auch: „Rock of Ages“ auf Deutschlandtour Protestieren können wir auch: „Rock of Ages“ auf Deutschlandtour
Protestieren können wir auch: „Rock of Ages“ auf Deutschlandtour
Quelle: Nico Moser
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Die Rockmusik der Achtziger mag scheußlich gewesen sein – aber wir waren jung. Und sind wir Boomer heute auf eine gewisse Weise nicht auch die letzte Generation? „Rock of Ages“, eines der erfolgreichsten Musicals aller Zeiten, beantwortet die Frage nun auf Deutsch.

Wir sind extra einen Tag früher nach München gereist, um ein wenig Glamour zu erhaschen und uns einzustimmen auf das schwer sentimentalische Sleaze-Musical „Rock of Ages“, das hier seine Deutschland-Premiere feiert. Basst scho! Wenn es einstmals eine deutsche Stadt gab, die etwas von dem liederlichen Geist des Sunset Strip eingeatmet hatte, dann war es das bajuwarische Los Angeles.

Und wir haben Glück, die Sterne auf dem Hollywood Boulevard stehen günstig. Schon nachmittags in der Frauenkirche reitet ein katholischer Eleve die Hausorgel, als wäre er John Lord höchstselbst. Es ist Karwoche und der Gekreuzigte mit einer rosa Decke verhängt, damit er das nicht mitansehen muss. Aber es kommt alles noch viel besser. Nach dem Essen im Augustiner Bräu (Bar and Grill!) auf dem Weg zurück ins Hotel belauschen wir zwei Frauen beim Lästern. „Da heißt die Show schon ‚Rock of Ages‘, und dann spielen die nur Journey.“ Sie gehören zum Service-Staff vom Deutschen Theater, stellt sich auf Nachfrage heraus, haben die musikalischen Achtziger offensichtlich erlebt, auch wenn sie sich vielleicht nicht mehr daran erinnern können, und zeigen sich von den Proben nicht ganz so beeindruckt. „Aber trotzdem viel Spaß morgen!“ Und jetzt kommt doch tatsächlich langsam so etwas wie Vorfreude auf.

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Der Innenhof des Theaters ist schon eine halbe Stunde vorher gut gefüllt. Vor den Bewirtungstresen in der Lobby bilden sich lange Schlangen. Aber die Theaterleitung hat vorgesorgt und draußen noch eine weitere Getränkebude aufgestellt. Man rechnet mit Biertrinkerpublikum und täuscht sich ganz und gar nicht. Es ist das erwartbar heterogene Auditorium, das man auch auf jedem AC/DC-Konzert oder beim Wacken Open Air antrifft.

Die Graurücken in Bandshirts, mittlerweile mit kurzen, schütteren oder gar keinen Haaren mehr, bilden den harten Kern. Daneben, nicht selten mit ihnen verpartnert, ehemalige Rock-Ladies, die sich durchaus besser gehalten haben. Bisweilen haben sie ihre Kinder mitgebracht, die eigentlich eher HipHop hören, aber sich mitfreuen, wenn die Oldies diesen beseelten Blick bekommen. Das übliche Eventpublikum, das überall ist, wo man mal gewesen sein muss, findet sich ebenfalls ein, und sogar der ein oder andere Metalhead. Nur Kutten sieht man nicht. Wir sind hier schließlich nicht im Schlammloch vor der Festivalbühne, sondern im Deutschen Theater.

Chris DʼArienzos Musical „Rock of Ages“ landete nach Produktionen in Los Angeles und Las Vegas 2009 schließlich am Broadway, wo es sich mit weit über 2000 Shows zu einem der erfolgreichsten Musiktheaterstücke in der Broadway-Geschichte mauserte. Eine Hollywood-Verfilmung mit Allstar-Besetzung (Tom Cruise, Catherine Zeta-Jones, Alec Baldwin) gehörte ebenfalls zur stetig sich verlängernden Verwertungskette wie der Export der Show nach Südamerika, England, Kanada, Island und Polen. Jetzt ist Deutschland mal an der Reihe. München, Bremen, Berlin, Nürnberg, Bochum, Köln, Hamburg und so weiter.

Alec Baldwin (l.) als Dennis Dupree und Tom Cruise als Stacee Jaxx in der Musical-Verfilmung „Rock of Ages“ von 2012
Alec Baldwin (l.) als Dennis Dupree und Tom Cruise als Stacee Jaxx in der Musical-Verfilmung „Rock of Ages“ von 2012
Quelle: pa/dpa/Warner Bros.

Die Story ist in etwa so relevant wie die Lyrics in einem beliebigen Hair-Metal-Song der Achtziger. Der legendäre Live-Club Bourbon Room, „der letzte Ort, an dem die Menschen noch träumen dürfen“, wie Lonny Barnett (Timothy Roller), der „Sound-Gott“ und Erzähler, uns glauben machen will, ist in Gefahr. Schweizer Investoren, im Original waren es noch deutsche, wollen den gesamten Sunset Strip aufkaufen und gentrifizieren.

Vor diesem Hintergrund spielt die Liebesgeschichte zwischen Drew, dem Rocker in spe, der sich als Laufbursche im Club verdingt, und Sherrie, der hübschen Landpomeranze aus Kansas, die naturgemäß zum Film will und in der Stripbar landet. Die Tänzer halten bei ihrer Vorstellung ein Ortsschild von Paderborn hoch. Das ist nur einer von vielen kleinen Jokes und Brechtschen V-Effekten, die „Rock of Ages“ zu einer höchst ironischen, selbstreflexiven Veranstaltung machen.

Klar, Klischees

Das Stück weiß sehr genau, dass es alte Rockklischees heraufbeschwört, die einem heute eigentlich peinlich sein müssten, die aber, zumindest bei der entsprechenden Alterskohorte, nostalgische Gefühle wecken. Also bietet es einiges an Brachialkomik auf und forciert komödiantisches Overacting, um den Sexismus und die Homophobie jener Jahre so offensichtlich lächerlich zu machen, wie es nur geht.

Die Stadtplanerin Regina, die gegen den geschmierten Bürgermeister den Volkszorn mobilisiert, damit der Sunset Strip ein Sündenpfuhl bleiben kann, insistiert, man spreche ihren Namen „Ragina“ aus. Stacee Jaxx, der notgeile Rockstar, der Sherrie verführt und letztlich dafür sorgt, dass sie auf die schiefe Bahn gerät, hat ein dreckiges Geheimnis: „Gangbang mit dem Babylama!“ Und Sherrie bekommt schließlich ein Rollenangebot – von der Firma Bunga-Film.

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„Rock of Ages“ kann sich also nicht viel vorwerfen lassen, es entlarvt die Rock-Achtziger als das, was sie sicher auch waren – eine groteske Veranstaltung von Dicks. Aber am Ende hat die Ethikkommission, und auch das ist natürlich Kalkül, die Rechnung ohne die Stars des Abends gemacht – diese absurden, komplett blödsinnigen, niederste Instinkte bedienenden, grandiosen AOR-Heuler von Twisted Sister, Pat Benatar, Foreigner, Joan Jett, Whitesnake, Survivor, R.E.O. Speedwagon und ja eben auch Journey, die man spätestens nach der zweiten Wiederholung des Refrains nie wieder aus dem Kopf bekam.

Und schon stellt ein großer Teil des Auditoriums die Ironie mal schön hintenan und suhlt sich ohne Gewissensbisse in der wohltemperierten, sämigen Nostalgiesauce. Es ist nun mal unsere Jugend, wir haben nur diese, und die lassen wir uns nicht so einfach madig machen von ein paar schlechten Witzen.

Die Musik ist aber auch deshalb so überzeugend, weil die Band sie ganz unironisch, nämlich sehr überzeugend inszeniert. Dabei wird kaum ein Song wirklich ausgespielt, es geht hier in erster Linie um eine suggestive Zitat-Collage. Wie sie gleich am Anfang „Cum on Feel the Noize“ (Slade resp. Quite Riot), „Just Like Paradise“ (David Lee Roth) und „Nothinʼ But a Goodtime“ (Poison) zu einem großen Medley verschneiden, wie sie fließende Übergänge schaffen, aber auch harte Schnitte setzen für die entsprechenden Dialogpassagen, um es dann mit einer Reprise noch einmal knallen zu lassen, das ist nicht nur effektvoll arrangiert, sondern ebenso souverän umgesetzt. Und Leadgitarrist Patrick Sühl in gestreifter Stretchhose darf sich gelegentlich sogar für ein klassisches Heldensolo unter die Tanzenden mischen.

„Feel the Noize“: „Rock of Ages“ reist durch Deutschland
„Feel the Noize“: „Rock of Ages“ reist durch Deutschland
Quelle: Nico Moser

Aber „Every Rose Has it‘s Thorn“: Drew (Felix Freund) und Sherrie (Julia Taschler) sind gerade im härteren Fach etwas schwach auf der Brust, sie brauchen den vielköpfigen Chor, der regelmäßig beim Refrain hinzustößt und ihn auf Überlebensgröße aufpumpt, dringender als Sascha Lien, der seinen Klischeerocker Stacee Jaxx mit einer glaubwürdigen Shouterkehle ausstattet, die etwa bei Bon Jovis „Wanted Dead or Alive“ dem Original schon recht nahekommt.

Am Ende erklärt der Erzähler Lonny dem verzweifelten Drew, der Sherrie endgültig verloren zu haben glaubt, dass alles genauso habe kommen müssen, weil er nun einmal die Hauptfigur in einem Musical sei. Aber zum Glück hat der Drehbuchautor für die beiden ja einen versöhnlichen Schluss vorgesehen – sie kriegen sich doch, ziehen weg aus Hollywood und gründen eine Familie. Darauf läuft also wieder mal alles hinaus.

Aber ausgerechnet bei der größten aller Illusionen spart sich „Rock of Ages“ tatsächlich jegliche Distanzierung und ironische Augenzwinkerei. Damit die Mütter und Väter mit dem guten Gefühl nach Hause gehen dürfen, es im Grunde doch nicht völlig verbockt zu haben. Entsprechend frenetisch ist der Schlussapplaus.

Wieder draußen in den vorösterlichen Avenuen am Stachus wirft sich ein abgerissener Straßenmusiker in Pose und spielt eine schwermütige Akustikversion von „Rock You Like Hurricane“, die den Scorpions aus Hannover sehr zur Ehre gereicht. „Sieht man uns an, dass wir aus Niedersachsen kommen?“, fragt meine Begleiterin. „Mein Gott, ist das beziehungsreich – ich glaub, ich übergeb mich gleich“, dichtete einst Robert Gernhardt.

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