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Literatur Leipziger Buchmesse

Dincer Gücyeter gewinnt Buchpreis in Leipzig

Redakteur im Feuilleton
Verleger, Dichter, Gablerstapler: Dinçer Güçyeter Verleger, Dichter, Gablerstapler: Dinçer Güçyeter
Verleger, Dichter, Gablerstapler: Dinçer Güçyeter
Quelle: dpa
Diner Gücyeter ist mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet worden. Seine Geschichte „Unser Deutschlandmärchen“ gehe uns alle an, urteilte die Jury. Zur Eröffnung der Buchmesse erklärte Maria Stepanova, warum wir Gedichte brauchen.

Endlich wieder Leipziger Buchmesse – die erste seit 2019, nach drei Jahren Pandemie-Pause hatte man es fast schon vergessen, dieses unbeschreibliche Menschenmassen-Rauschen in der tropischen Glashalle, in der am Messedonnerstag der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen wird. Oder soll man sagen: „hollywoodreif inszeniert“? Mit Countdown, Blumen und Kameraschwenkarm.

In der Kategorie Belletristik ging der Preis an Dincer Gücyeter, der mit „Unser Deutschlandmärchen“ (erschienen bei Mikrotext) ein Porträt seiner anatolischen Einwandererfamilie geschrieben hat. Gastarbeiterliteratur wäre als Etikett viel zu banal. Gücyeter, der 1979 in Nettetal (Nordrhein-Westfalen) geboren wurde, arbeitet bis heute als Gabelstaplerfahrer, ist aber auch Verleger und Lyriker. Als solcher wurde er 2022 mit dem renommierten Peter-Huchel-Preis ausgezeichnet.

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„Der Roman lässt die Worte zum Himmel fliegen, spart aber gleichzeitig die Demütigungen am Boden nicht aus“, hieß es in der Begründung der Jury über „Deutschlandmärchen“. Der Roman erzählt von einem Deutschland voller Risse. Dass dieser Roman einen der renommiertesten deutschen Literaturpreise bekommt, zeigt auch, dass sich der Literaturbetrieb peu à peu öffnet für Geschichten, die Deutschland und Europa seit Jahrzehnten prägen. In einer rührenden Geste bat der Preisträger erst seine Frau und später auch die Mitnominierten zum Fotoshooting auf die Bühne: Büchnerpreisträger Clemens J. Setz (nominiert mit „Monde vor der Landung“, Joshua Groß („Prana Extrem“), Ulrike Draesner („Die Verwandelten“) und Angela Steidele („Aufklärung. Ein Roman“).

Dinçer Güçyeter (3.v.l.) mit den anderen Nominierten der Kategorie Belletristik
Dinçer Güçyeter (3.v.l.) mit den anderen Nominierten der Kategorie Belletristik
Quelle: dpa
Dinçer Güçyeter umarmt seine Frau auf der Bühne
Dinçer Güçyeter umarmt seine Frau auf der Bühne
Quelle: dpa

In der Kategorie Sachbuch hatte mancher wohl auf Klassisches (die Wieland-Biografie von Jan Philipp Reemtsma) oder auf Debattiges („Gekränkte Freiheit“ von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey) getippt. Stattdessen machte Regina Scheer mit einer Biografie der jüdischen Exilantin und Kommunistin Herta Gordon-Walcher das Rennen. „Bittere Brunnen“ (Penguin Verlag) schildert das Leben einer Frau, die wie so viele Frauen des 20. Jahrhunderts in der zweiten Reihe stand. Sie war die Sekretärin von Clara Zetkin und stand in Austausch mit Rosa Luxemburg, Bertolt Brecht und Willy Brandt. Als ostdeutsche Autorin zeigt Scheer, dass selbst im Sozialismus der Feminismus außen vor blieb. Die Jury hat anregende Lesestoffe prämiert, nämlich Bücher mit unterbeleuchtete Sujets oder Personen – gute Machart immer vorausgesetzt. Für die beste Übersetzung wurde Johanna Schwerings Übertragung von Aurora Venturini „Die Cousinen“ (dtv) aus dem argentinischen Spanisch gekürt.

Maria Stepanova zur Eröffnung

Am Mittwochabend war die Buchmesse mit einem etwas länglichen Festakt im Leipziger Gewandhaus eröffnet worden – länglich wegen der Politikerreden. Konzert (Schuberts 6. Sinfonie) und Preis-Zeremonie gingen absolut in Ordnung. Die russisch-jüdische Schriftstellerin Maria Stepanova erhielt den Leipziger Buchpreis für europäische Verständigung. Die renommierte Auszeichnung wurde – wie die Preisträgerin selbst bemerkte – zum ersten Mal für einen Gedichtband verliehen. Gedichte, was könnten schon Gedichte, fragte die Lyrikerin, die seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in Berlin lebt, weil sie diesen Krieg zutiefst verurteilt und in Russland keinen Platz mehr für sich sieht. Noch bis Kriegsausbruch war sie Chefredakteurin des unabhängigen Portals colta.ru gewesen. „Könnte es sein, dass sich ausgerechnet Gedichte – mit ihrem begrenzten Publikum, ihren kleinen Auflagen, ihrer besonderen Sicht auf die Welt – als wichtig, ja sogar notwendig erweisen?“, fragte Stepanova.

Maria Stepanova erhielt den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung
Maria Stepanova erhielt den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung
Quelle: Hendrik Schmidt/dpa

Zuvor hatte Ilma Rakusa in ihrer Laudatio auf die Preisträgerin den Begriff „Weltpoesie“ geltend gemacht und Stepanova in eine Liga mit Dante und Goethe, Rilke und Walt Whitman, Emily Dickinson und T.S. Eliot, Ossip Mandelstam und Marina Zwetajewa gebracht. Schon durch ihre Art, Klassiker zu überschreiben, etwa Goethes Erlkönig („Wer reitet so spät durch Tümpel und Bach“), gelinge es Stepanova, der staatlichen Verfälschung von Geschichte etwas Individuelles entgegenzusetzen.

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Die Leipziger Buchmesse, die in Spitzenzeiten vor der Pandemie stets knapp 300.000 Besucher nach Leipzig lockte und mit „Leipzig liest“ (2400 Buch-Veranstaltungen an 300 Orten) parallel auch ein Lesefestival der Superlative veranstaltet, hofft, an alte Zeiten anknüpfen zu können. Einfacher geworden ist das reine Messegeschäft aber nicht: Waren es im Vorkrisenjahr 2019 noch 2500 Aussteller, sind es aktuell 2000 aus 40 Ländern. Und dabei fließen – letztmalig – Hilfsgelder aus dem Bundesfonds „Neustart Kultur“ in ermäßigte Standgebühren. Dass die Literaturbranche Spektakel wie Leipzig braucht, darin sind sich Politiker und Branchenvertreter, Literaten und Leser einig.

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