Dieser Bär berauscht sich nicht an Kokain, sondern an Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Er tötet keine Jogger, sondern lässt sich eine Zeit lang brav zum Tanzen für Geld zwingen. Und als er seinem Bärenführer endlich ausreißt, vergießt er kein Schafsblut, sondern es treibt ihn einzig und allein stracks zurück zu seinen Kindern.
Atta Troll in Heinrich Heines gleichnamigem Versepos ist ein sehr deutscher Bär. Er kann nicht tanzen, turnt wie Jahn und dessen Musterschüler Hans Ferdinand Maßmann, dessen Name wörtlich genannt wird, und lehnt Wasser und Seife als undeutsche gallische Verfeinerung ab, genau wie die beiden Turner – so behauptet es Heinrich Heine jedenfalls. „Atta Troll“, das 1841 geschrieben und 1843 erstmals publiziert wurde, ist ein Schlüssel-Epos. Auch deshalb und nicht nur, weil es von der Jagd auf einen die Menschen verstörenden Bären handelt, passt es gut in diese Woche.
„Atta Troll“ trägt den Untertitel „Ein Sommernachtstraum“ und weist sich damit aus als Heines Vorläufer zum ein Jahr später veröffentlichten, weitaus bekannteren Werk „Deutschland. Ein Wintermärchen“. Wenn die Nächte warm werden, kriechen die Bären aus ihren Höhlen hervor. Sie müssen sich neues Fett anfressen, und weh den Menschen oder Schafen, die ihnen dabei in die Quere geraten. Die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas passierte, war in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts allerdings geringer als heute. Der letzte Bär im Thüringer Wald war im 18. Jahrhundert geschossen worden. Heine musste sein Epos, auch wenn das Tier ein Symbol für deutsche Verhältnisse war, ins Grenzgebiet zwischen Spanien und Frankreich verlegen.
In den Pyrenäen kann der Dichter dafür märchenhafte Figuren auftreten lassen, die im von der Eisenbahn, der Frühindustrialisierung und dem vorrevolutionären Meinungskampf entzauberten Deutschland so nicht mehr vorstellbar wären. Der Erzähler geht mit Laskara, dem stummen Sohn der Hexe Uraka, auf Bärenjagd. Während die Hexe die magische Kugel gießt, unterhält er sich mit einem Mops, der sich als verzauberter schwäbischer Dichter entpuppt, der seine Tugend gegen die Übergriffe der Hexe verteidigen wollte.
Auch wenn Heine sich dagegen verwahrt, seinem „Atta Troll“ eine Botschaft zu unterlegen, mischt er sich in die literarisch-politischen Debatten seiner Zeit ein: Neben den Schwaben wird auch der Kollege Freiligrath für sein Gedicht „Der Mohrenfürst“ verhöhnt. Näher als diesen poetischen Kontrahenten fühlt sich Heine der Romantik, deren noch lebende Vertreter allerdings längst reaktionär und katholisch geworden sind. Heine beschwört noch einmal die Ironie, den formalen Reichtum und die erotische Freizügigkeit, die ja auch Elemente der Romantik waren: „Ich schrieb … in der grillenhaften Traumweise jener romantischen Schule, wo ich die angenehmsten Jugendjahre verlebt und zuletzt den Schulmeister geprügelt habe.“ Was er dort gelernt hat, zeigt Heine mit den vierhebigen, ungereimten Trochäen, in denen das Epos dahertanzt. Sie beweisen seine Virtuosität und wirken doch schwebend leicht.