Kultur in Russland:Ausgetanzt

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Die Premiere 2017 war erst eine Zitterpartie, dann ein Society-Event: "Nurejew", inszeniert von Kirill Serebrennikow. (Foto: Sergek Karpukhin/Reuters)

Das Moskauer Bolschoi nimmt das Ballett "Nurejew" über einen queeren Sowjetflüchtling aus dem Repertoire. Angesichts des Kahlschlags in der Kultur lautet die Frage: Jetzt erst?

Von Sonja Zekri

Das Moskauer Bolschoi-Ballett hat Kirill Serebrennikows Ballett "Nurejew" aus dem Repertoire genommen, und die einzig logische Reaktion ist eigentlich: Jetzt erst? Der Regisseur Kirill Serebrennikow inszeniert auf der ganzen Welt und lebt inzwischen im Ausland, in Deutschland oder Frankreich. Der Titelheld Rudolf Nurejew war ein queerer Sowjetflüchtling, der 1993 in Paris an Aids starb. Die Darstellung oder auch nur Erwähnung von Homosexualität hat es seit Jahren in Russland schwer, und noch schwerer, seit Präsident Wladimir Putin im Dezember ein Gesetz unterzeichnete, das bereits die Erwähnung der LGBT-Community in Russland als Gesetzesverstoß mit hohen Geldstrafen ahndet.

Für "Nurejew" war es ein Tod auf Raten. Seit einem Jahr hatte das Bolschoi das Stück nicht mehr gespielt, Serebrennikows Name war von der Bolschoi-Homepage entfernt worden. Im russischen Kulturministerium war das begrüßt worden, es sei "absolut logisch", die Namen von Personen aus Ankündigungen zu entfernen, die "sich von Russland losgesagt" hätten.

Die Entfernung "Nurejews" aus dem Repertoire nun präsentierte Bolschoi-Direktor Wladimir Utkin in Moskau als alternativlosen Schritt. Was die "Propaganda nicht-traditioneller Werte" angehe, sei das Gesetz eindeutig, so Utkin: "Es war nur selbstverständlich, dass sich das Theater sofort nach der Unterzeichnung des Gesetzes entschied, das Stück aus dem Repertoire zu entfernen".

"Nurejew" war immer ein Problem für die konservativen Eliten gewesen, anders ausgedrückt, ein Gradmesser für die Freiheit der Kunst und die Freiheit der Liebe in Russland. Bereits die Premiere 2017 war eine Zitterpartie. Serebrennikow stand damals unter Hausarrest, weil man ihm die Veruntreuung von Geldern vorwarf. Er verfolgte die Proben aus der Ferne und durfte nicht zur Premiere kommen.

Ein Kreml-Sprecher sprach damals von einem "Weltereignis" - heute undenkbar

Auf Anweisung des damaligen Kulturministers Wladimir Medinskij - einer Hassfigur der Kulturschaffenden - war die Aufführung um Monate verschoben worden, was die Spannung nur hatte wachsen lassen. Die Premiere selbst war ein Society-Event. Celebrities aus Kultur, Politik und Business bejubelten das aufgetakelte, aufwendige Spektakel aus Ballett, Gesang, Akrobatik und Rezitationen. Am Ende traten die Künstler mit Serebrennikow-T-Shirts vor den Vorhang und forderten "Freiheit für den Regisseur". Und trotz dieser rebellischen Geste nannte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow "Nurejew" ein "Weltereignis". All dies wäre heute selbstverständlich völlig undenkbar.

An der Spitze des Kulturministeriums steht Olga Ljubimowa, eine Politikerin, die bekannt ist für die Verachtung von Oper und Ballett. Bereits vor dem Krieg formulierte sie Leitlinien zur Festigung traditioneller russischer Werte, die sich grob als opferbereiter Patriotismus zusammenfassen lassen. Viele Intellektuelle und Künstler flohen ins Ausland.

Andere wurden trotz Exzellenz und Anpassungsbereitschaft verdrängt. Im Februar war die international hochgeachtete Direktorin der Moskauer Tretjakow-Galerie, Selfira Tregulowa, durch die Tochter eines ehemaligen Geheimdienst-Beamten ersetzt worden. Im März traf es Marina Loschak, die Direktorin des Puschkin-Museums in Moskau. An ihrer Stelle installierte das Kulturministerium Jelisaweta Lichatschowa, die das Schtschusew-Architekturmuseum geleitet hatte. Davor allerdings, so hatte die investigative Seite Agentstvo herausgefunden, hatte sie als Polizistin gearbeitet. Vorübergehend sei sie zudem bei der Kreml-Jugendbewegung "Zusammen gehen" angestellt gewesen. Dass "Nurejew" sich in diesem Klima so lange im Bolschoi-Repertoire hatte halten können - ein Wunder.

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