Sitzen zwei junge weiße Männer in der Psychiatrie. Sagt der eine. „Ich bin Céline Dion.“ Sagt der andere. „Ich bin ein großer schwarzer Mann.“ Kommt die Psychiaterin vorbei und sagt. „Hier ist ein Safe Space.“ Was wie ein böser Witz ohne Pointe über die abenteuerlichen Kapriolen der Selbstfindung in Zeiten identitätspolitischer Verwirrung klingt, ist das neueste Theaterstück von Yasmina Reza. In „James Brown trug Lockenwickler“ geht es um Menschen, die sich im falschen Körper geboren fühlen.
Wie Reza die Trans-Debatte auf die große Bühne holt, ist fast anstößig. In einer Zeit, in der die Selbstauskunft der Einzelnen als heilig gilt und das Selbstbild durch Widerspiegelung ungestört sein soll, nimmt Reza das Recht des Theaters in Anspruch, ausschließlich zu beschreiben. Sie nimmt keine Perspektive ein, außer die der Erzählinstanz, die mit lakonischem Humor über den einzelnen Personen und ihrem Glück oder Unglück schwebt. Wenn sie Partei ergreift, dann – anders als der Aktivismus – nur für die erzählte Wirklichkeit.
Obwohl in französischer Sprache geschrieben, feierte „James Brown“ in deutscher Übersetzung am Münchner Residenztheater seine Welturaufführung. Reza, eine der meistgespielten Dramatikerinnen der Gegenwart, scheint das deutsche Theater zu lieben – und wird zurück geliebt. Nach dem großen Erfolg von „Kunst“ wurde bereits „Gott des Gemetzels“ 2006 zuerst auf Deutsch aufgeführt, fünf Jahre und viele Hunderte Inszenierungen später folgte die Verfilmung von Roman Polanski mit Christoph Waltz und Kate Winslet. Damit wurde die in Paris geborene und ungern Interviews gebende Autorin weltberühmt.
In ihren Theaterstücken, aber auch in ihren Romanen und Erzählungen zeigt Reza Menschen, die sich in ihren Lebenslügen verheddern – bis zum grotesken Showdown wie in „Gott des Gemetzels“. Demaskieren und eskalieren, so geht Reza, dafür wird sie geliebt. In „Glücklich die Glücklichen“ ließ sie erstmals die Familie Hutner auftreten. Schon der kleine Jacob war ein Fan von Céline Dion. Eines Tages verkündete er, die Popsängerin zu sein. Die Eltern zeigen sich, gelinde gesagt, überfordert: „Wir lebten mit der Sängerin Céline Dion im Körper unseres Sohns Jacob.“
In „James Brown trug Lockenwickler“ ist Jacob nun in der Psychiatrie, wo er nicht nur betreut und von seinen Eltern besucht wird, sondern auch einen Freund findet. Es ist eine für Reza typische Anordnung mit wenigen Figuren und klarer Räumlichkeit. Der Regisseur Philipp Stölzl, der auch die Bühne entworfen hat, verlegt das Stück ins Surreale wie in einem Film von Lynch.
Eben nicht nur ein böser Witz
Der von Vincent zur Linden gespielte Jacob sitzt fröhlich und ohne großen Leidensdruck auf einer Schaukel. Seine Miene verfinstert sich nur, als seine Eltern ihn mit einem früheren Kosenamen und nicht mit Céline ansprechen. Dem von Michael Goldberg gespielten Vater sieht man beim nervösen Händekneten an, wie ihm das zu schaffen macht, er erlebt es als einen Verlust von Realität. Bei seiner von Juliane Köhler gespielten Frau löst diese Hilflosigkeit indessen Erheiterung aus, die sich bis ins Übersprungshafte steigert. Sie kann zwar über den sichtlich angeschlagenen Mann im Haus lachen, weniger hilflos ist sie jedoch nicht.
Jacobs Freund Philippe (Johannes Nussbaum) ist ein bis zum semantischen Verfolgungswahn empfindlicher Mensch, der beim Wort „Dschungel“ eine rassistische Bemerkung ahnt, die sich gegen ihn und seine angenommene Identität richtet. „In Ketten wie Ihre unglücklichen Vorfahren“, spottet die Psychiaterin, als er sich – wie aus der Zeit vor den „Klimaklebern“ – an einen Baum kettet. Lisa Wagner spielt die Psychiaterin als unbekümmerte Person: immer positiv, immer bestätigend.
Wenn die Frau vom Fach nicht gerade auf einem Roller in den Samtvorhängen verschwindet, taucht sie in Bademode mit Strandstühlchen auf. Oder sagt Sätze wie: „Von Philippe fühlt sich Céline als sie selbst akzeptiert. Fast hätte ich gesagt, als eine ganz gewöhnliche Frau.“ Oder: „Philippe ist ein junger Student, der Probleme mit seiner Identität als Schwarzer hat. Bei seiner Ankunft hier erklärte er sich als Antillaner, aber mittlerweile identifiziert er sich mit einer Schwarzen Welt in der Diaspora.“ Ob sich jemand für Napoleon, Jesus, Céline Dion oder einen Schwarzen hält, ist der Psychiaterin gleichgültig.
Am Ende verschwinden Jacob und Philippe im Nebel ihrer Traumwelt. Ein Hula-Hoop-Reifen dreht sich wie der Kreisel am Ende von „Inception“, der Vorhang fällt und alle Fragen bleiben offen. Nun kann man sich in die psychologische Deutung stürzen und die Psychosen der Kinder mit den Neurosen der Eltern erklären oder umgekehrt. Sind wir nicht alle ein bisschen im falschen Körper geboren? Warum identifiziert sich jemand mit einem Popstar so sehr, dass man ihn sich geradezu „einverleiben“ will – und diesen Selbstverlust als Selbstermächtigung feiert?
Antworten gibt das Stück keine. Das Schwebende, Träumerische und Sphärische von Stölzls Regie unterstreicht das. „James Brown trug Lockenwickler“ ist eben nicht nur ein böser Witz wie „South Park“, wo sich Cartman als „Transginger“ identifiziert oder Kyle ein großer schwarzer Basketballer werden will, während sein Vater sich zum Delfin operiert. Reza ist viel melancholischer, viel rätselhafter. „Viele Dinge sind uns unbegreiflich“, sagt sie selbst.