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Der Wolf in der Kulturgeschichte

Manasi Gopalakrishnan
4. April 2023

Blutrünstig und böse oder aufopfernd und loyal? Wölfe spielen seit der Antike eine zentrale Rolle in Mythen und Volksmärchen und haben auch in neuzeitlichen Büchern und Filmen ihren Platz erobert.

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Szene aus "Das Dschungelbuch" (2015) zeigt Mogli, der einen Wolf umarmt
Szene aus dem Dschungelbuch: Mogli und seine Wolfsmutter Raksha teilen einen intimen MomentBild: Disney Enterprises/dpa/picture alliance

Nachdem sie lange Zeit ausgerottet waren, leben heute schätzungsweise über 1200 Wölfe in Deutschlands Wäldern - und sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Häufig wird der Erfolg des Artenschutzes gelobt, aber auch von Angriffen auf Nutztiere oder Wanderer berichtet.

Die Rückkehr des Wolfes als dominierendes Lebewesen in den deutschen Wäldern scheint die Urängste und gleichzeitig den Respekt der Menschen vor dem Tier zu wecken. Die jahrhundertealte Faszination für den Wolf spiegelt sich in Geschichten, Mythen und Märchengestalten wider. Ein Überblick:

Lupa, die wohlwollende Wölfin

Fast jeder kennt den Mythos von Romulus und Remus, den Gründern der Stadt Rom, die von der Wölfin Lupa gesäugt wurden. Die Zwillinge kamen als Söhne von Rhea Silvia zur Welt, der Tochter des Königs Numitor von Alba Longa (einer antiken Stadt in der Nähe des heutigen Rom). Dieser war von seinem Bruder Amulius abgesetzt worden.

Bronzestatue einer Wölfin, die zwei Jungen säugt
Romulus und Remus, gesäugt von einer WölfinBild: Cheng Tingting/Xinhua/picture alliance

Der neue König befürchtete, dass Rheas Zwillinge, die vom Kriegsgott Mars gezeugt worden waren, eine Bedrohung für seinen Thron darstellen könnten. Daher befahl er, sie im Fluss Tiber zu ertränken. Die Jungen überlebten und wurden von Lupa und einem Specht gefunden, die sich um sie kümmerten, bis ein Hirte sich der Kinder annahm. 

Fenrir

Nicht zu verwechseln mit Fenrir Greyback aus Harry Potter (dazu kommen wir später), ist der Fenriswolf: Er war der Sohn des schelmischen Gottes Loki und der Riesin Angrboda.

Illustration: Zwei Männer - einer mit einem Schwert, der andere mit einem Knüppel - gehen auf einen Wolf los
Eine Illustration Fenris aus dem Codex Regius, einem altnordischen Manuskript aus dem späten 13. JahrhundertBild: CPA Media Co. Ltd/picture alliance

Der Fenriswolf, auch Fenrir genannt, hatte einen enormen Appetit, und die Götter, die seine Stärke und Größe fürchteten, fingen ihn und fesselten ihn an einen Baum. Er konnte sich schließlich befreien und tötete den Göttervater Odin, den Gott des Krieges und der Weisheit. Deshalb gilt Fenrir in der nordischen Mythologie als Symbol für "Ragnarök", den Untergang der Götter und Riesen.

Und obwohl Odins Feind also ein mächtiger Wolf war, besaß er selbst auch zwei Wolfsgefährten, Geri und Freki. 

Der Wolf nach Äsop

Der griechische Dichter soll im 6. Jahrhundert v. Chr. gelebt haben, um sein Leben ranken sich zahlreiche Legenden. Seine Fabeln - Erzählungen mit Tieren als Protagonisten, die menschliche Eigenschaften verkörpern - werden bis heute gelesen.

In Äsops Geschichten erscheint der Wolf oft als böses, intrigantes Tier, das sich zum Beispiel als Schaf verkleidet oder kleine Jungen als Beute anlockt. Daher auch die volkstümliche Redensart "der Wolf im Schafspelz".

Japans Wolfsgötter

In Japan werden Wölfe von den Ainu, einem indigenen Volk, das auf der Insel Hokkaido lebt, als "Horkew Kamuy" verehrt, was "kleiner heulender Gott" bedeutet.

Die Ainu waren dafür bekannt, dass sie Wolfsjunge als Jagdgefährten aufzogen und sogar ihre Hunde mit Wölfen paarten. Der Legende nach stiegen Wölfe vom Himmel herab, um heilige Berge und Wälder zu bewohnen. Man erzählte sich auch, dass eine ältere Ainu-Frau von einem Wolf vor einem wilden Bären gerettet wurde.

Doch mit der Modernisierung Japans zu Beginn des 20. Jahrhunderts gerieten Legenden und Bräuche in Vergessenheit, und auch die Wölfe starben in der Region aus. Derzeit laufen Bemühungen, die Tiere wieder anzusiedeln.

Rotkäppchen und der böse Wolf

"Aber Großmutter, warum hast du so ein entsetzlich großes Maul?", fragte Rotkäppchen. "Damit ich dich besser fressen kann!", sagte der Wolf, tat einen Satz aus dem Bette und verschlang das arme Rotkäppchen. Diese berühmte Passage stammt aus dem gleichnamigen Märchen. Es erzählt die Geschichte eines Mädchens, das seine Großmutter besuchen will - und dort stattdessen auf einen verkleideten Wolf trifft.

Illustration: Rotkäppchen trifft im Wald auf einen Wolf
Rotkäppchen trifft den Wolf Bild: Imago/United Archives

Die beiden bekanntesten Versionen des Märchens, das seinen Ursprung im 17. Jahrhundert hat, sind Charles Perraults "Le Petit Chaperon Rouge" aus dem Jahr 1697 und der Märchenband der Gebrüder Grimm aus dem Jahr 1812, der auch "Rotkäppchen" enthält.

Der Werwolf

Die Figur des Werwolfs hat seit der Antike zahlreiche Schriftsteller inspiriert. Einige Gelehrte glauben, dass die Idee des sich verwandelnden Raubtiers ihren Ursprung im Gilgamesch-Epos hat: Gilgamesch weigert sich, mit einer Frau zusammenzubleiben, nachdem sie ihren früheren Partner in einen Wolf verwandelt hat. 
Werwölfe tauchen auch in der griechischen Mythologie auf - und zwar in der Legende von Lykaon: Der Sohn des Pelasgos erzürnte den Gott Zeus, indem er ihm ein Mahl aus den Überresten eines geopferten Jungen anbot. Zeus verwandelte Lykaon und seine Söhne daraufhin in Wölfe. Daher stammt wohl der wissenschaftliche Name des Werwolfs, "Lykanthrop".

Jack Nicholson mit Wolfsaugen und -Gebiss
Im Film "Wolf" verwandelte sich ​​Jack Nicholson in einen WerwolfBild: Columbia/courtesy Everett Collection/picture alliance

Werwölfe kommen auch in der nordischen "Sage von den Wölfen" vor, in der ein Junge und sein Vater Wolfsfelle entdecken, die sie in Bestien verwandeln können. Und die Faszination der Menschen für Werwölfe hält bis heute an. Man denke nur an den Filmerfolg "Ein amerikanischer Werwolf in London" (1981), Jack Nicholson in "Wolf" (1994) oder in jüngerer Zeit an "Werewolves Within" (2021).

Harry-Potter-Fans werden sich natürlich an den Werwolf Fenrir Greyback erinnern. Er biss Remus Lupin, Harrys Lehrer und Freund seines Vaters, als dieser noch ein kleiner Junge war, und verwandelte ihn in einen Werwolf. Während Greyback aktiv nach seinen Opfern sucht, ist Lupin der "gute" Werwolf, der sich bei Vollmond versteckt und seine Kräfte nur für edle Zwecke einsetzt.

Akela aus "Das Dschungelbuch"

Rudyard Kipling ließ seiner Fantasie in dieser Geschichte über einen indischen Jungen, der von Wölfen im Wald aufgezogen wird, freien Lauf. In Anlehnung an die Geschichte von Romulus und Remus  erzählte Kipling die Geschichte eines Babys, das im Wald ausgesetzt und von Akela, einem Wolf, und seiner Frau gefunden wird, die sich um das "Menschenkind" kümmern. Sobald das Menschenkind erwachsen ist, muss es den Wald verlassen oder das Wolfsrudel der Grausamkeit von Shir Khan, dem Tiger, aussetzen. Shir Khan versucht verzweifelt, Mogli zu fangen und zu töten, und Akela fällt dieser Feindschaft zum Opfer.

"Canis dirus" - der Schattenwolf

Die Serie "Game of Thrones" machte das prähistorische Tier berühmt. In der Geschichte ist es das Symbol des Hauses Stark, der Herrscherfamilie des Nordens. Heute nehmen Wissenschaftler an, dass Schattenwölfe nicht, wie lange angenommen, Nachfahren der Wölfe waren, sondern Verwandte des Hundes. Diese riesigen Caniden waren im Pleistozän, also vor 2,5 Millionen Jahren, aktiv.

Die Illustration zeigt ein Rudel Canis dirus, die ihre Bisonbeute fressen, während sich zwei graue Wölfe nähern
Wölfe und "Schattenhunde" kämpfen um ein Beutetier Bild: Mauricio Antón/Nature/dpa/picture alliance

Wendy Wolf in "Peppa Wutz"

Erinnern Sie sich an den Wolf in "Die drei kleinen Schweinchen", der die Häuser der Schweinchen in die Luft jagen wollte? Wendy Wolf, die in der Kinder-Zeichentrickserie "Peppa Wutz" (im Original: "Peppa Pig") auftritt, ist eine kinderfreundlichere Version. Wendys Vater liebt es, zu schnaufen und gruselige Wölfe-und-Schweine-Witze zu machen, aber er nutzt seine Lungenkraft nur, um Wendys Schaukel anzuschieben. Seine Mutter, Wendys Oma, liebt es außerdem, Peppa und ihren Freunden beizubringen, nach Wolfsart zu heulen und auf Geburtstagsfeiern Kuchen zu "verschlingen".


Diese Liste hätte auch den Amarok erwähnen können, einen mythischen Wolf in der Inuit-Kultur; Es heißt, er jage und fresse jeden, der töricht genug ist, nachts allein auf Jagd zu gehen. Oder Wepwawet, einen Gott mit dem Kopf eines Wolfs, der von den alten Ägyptern verehrt wurde. Oder noch viele andere Wolfsgestalten, die die Menschen seit Urgedenken inspirieren.

Adaption aus dem Englischen: Maria John Sánchez und Sabine Oelze