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Kultur Vicky Leandros sagt Tschüss

Theo, ich liebe das Leben!

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Vicky Leandros während ihres „Ich liebe das Leben“-Konzerts in der Hamburger Elbphilharmonie Vicky Leandros während ihres „Ich liebe das Leben“-Konzerts in der Hamburger Elbphilharmonie
Vicky Leandros während ihres „Ich liebe das Leben“-Konzerts in der Hamburger Elbphilharmonie
Quelle: dpa/Markus Scholz
Zwischen Mitklatsch, Bouzouki und Chanson light: Vicky Leandros verabschiedet sich in der Elbphilharmonie nobel von über 50 Jahren Schlagerkarriere. „Ich will aufhören, solange meine Stimme noch mein Publikum zu berühren versteht“, sagte sie.

Vicky. Das geht allen gut von den Lippen. Leandros auch, so hieß nämlich ihr Papa mit Vornamen. Und weil das auf Deutsch „Mann des Volkes“ meint, konnte man es als gutes Omen für den Künstlernamen einer auf Popularität getrimmten weiblichen Sangeskünstlerin namens Vicky Leandros aus Korfu nehmen. Denn mit dem wirklichen, arg komplizierten Vassiliki Papathanasiou aus Paleokastritsa wollten sich die Deutschen nie aufhalten.

Nein, unsere Vicky ist zwar Griechin, aber eigentlich Deutsche. Denn schon sechs Jahre nach ihrer Geburt 1952 zog die Familie nach Hamburg-Wandsbek, ganz nahe an eine Bäckerei mit leckeren Rumkugeln – ohne Rum. Und in Hamburg, wenn auch edler, lebt sie mit beiden Pässen immer noch – nach einem zehnjährigen Berlin-Ausbüxer nach der zweiten Scheidung. Und natürlich auf Gut Basthorst im Lauenburger Land.

Denn Vicky Leandros hat ihren bürgerlichen Namen, Freifrau von Ruffin, auch nach der eher beiläufigen Trennung 2005 beibehalten, ebenso wie die Landabsteige. Das Gut hat längst schon die gemeinsame Tochter Milana von Papa Baron Enno übernommen. Und während die dort Märkte, Hundemessen, Musical-Dinner, Reitturniere, Konzerte, Firmenseminare, Hochzeitsfeiern rund ums Anwesen ausrichtet, zieht Mama gerade den Stecker ihrer Schlagerkarriere: „Ich will aufhören, solange meine Stimme noch mein Publikum zu berühren versteht.“

Der Deutschen Lieblingsgriechin hat also genug von der Bühne. Sie steht im 71. Lebensjahr, hat bald sechs Dekaden Tingeltangel hinter sich. Jetzt geht es noch einmal auf Tour. „Ich liebe das Leben“, so ist folgerichtig nach einem ihrer Ewig-Hits die finale Konzertreise betitelt. Es mussten bereits Zusatztermine gebucht werden. Allein in Hamburg heißt es in der Elbphilharmonie dreimal in zwei Tagen: „Ausverkauft“. 17 weitere Konzerte werden folgen, von Bad Vilbel bis Nürnberg, wo dann am 24. März 2024 in der Meistersingerhalle finito sein soll. Die kleine Lady im kleinen Schwarzen mit dem charaktervollen rechten Armschwung (gern auch mit Fingerschnipp aus dem Handgelenk heraus), sie will es so.

Der Deutschen Griechin ist auf immer Nana Mouskouri. Obwohl die hier nur Deutsch singen durfte, dabei in anderen Sprachen so viel kreativer ist. Der Deutschen eingemeindeter Grieche war Costa Cordalis. Und die deutsche Griechin, die eben nicht als Gastarbeiterin kam, sondern als Fernweh-Kunstgewerblerin, ist Vicky Leandros. Perfekt! Denn Dschungelkönig Costa schmeckte ein wenig nach öliger Taverne, die nobel alterslose Vicky ist Boutique Hotel auf Santorin.

Zunächst war sie ein wenig französisch fremdgegangen – zweimal Antritt für Luxemburg beim Grand Prix, 4. Platz 1967 und dann der Sieg 1972 in Edinburgh mit Papas Lied „Après toi“ – als „Dann kamst du“ immer noch ein Vicky-Klassiker. Anschließend konnte sie in den Seventies wunderbar auf der Ägäis-Welle wippen, weil Griechenland, nach Italien und Spanien, als der Deutschen liebstes Urlaubsland schwer aufholte. Und die von Bouzoukis scharf umzirpte Leandros war mit ihren sanft südlichen Mittanzschlagern immer die feinste Olive im Klangsalat auf der blauweißen After-Holiday-Party.

Der elbphiunerfahrene deutsche Mittelstand: Eher alt, Kreuzfahrtoptik in Ulla Popken und Gerry Weber

Hinter dicken Wimpern verlor man sich in der süßen Melancholie ihrer schwarzfeuchten Augen. Ein Madonnengesicht, umrahmt von vielen Locken. Das war die frühe, oft farbenfroh im Batikkaftan folkloresingende Vicky Leandros. Doch schnell folgte das uniformartige, dabei zeitlose Diseusen-Outfit zum glatter werdenden, stets halblang getragenen Haar, unter dem Kreolen funkelten. Leandros-Clips auf Youtube sind zeitlich schwer einzugrenzen: Ab den späten Siebzigern sieht sie – ohne viel Gedöns und Bühnenshow – immer gleich aus. Nur die Nasenlöcher dieser ätherisch schlanken Göttin vom Schlagerolymp wurden schmaler und höher.

Natürlich peitscht vor Konzertbeginn der Regen von elbrechts um die Kehrwiederspitze, der quakige Dudelsackspieler am Baumwall wirkt irgendwie falsch platziert. Unter den Schirmen pilgert der meistenteils elbphiunerfahrene deutsche Mittelstand zum Abschiedskonzert. Eher alt, Kreuzfahrtoptik in Ulla Popken und Gerry Weber. Männerpaare verjüngen. Außerordentlich viele Mutter-Sohn-Kombos (gern auch mit Pfauen-T-Shirt) Und Tweedsakko-Landadel aus Lauenburg. Ex-Bürgermeister Ole von Beust kommt mit großem Anhang („Ich habe für die Pause schon mal Wasser-Champagner bestellt, aber mehr Champagner“). Als es schon dunkel ist, huscht noch Baron Enno in die fünfte Reihe.

Zehn Musiker und eine Sängerin sind aufgeboten, darunter ein Streichquartett, für die ersten zwei Lieder sogar ein über 30-köpfiger Laienchor. La Leandros huscht herein, wortlos, Luftküsse sendend. Das kleine Schwarze ist diesmal ein bodenlang Goldschwarzes mit hohem Schlitz, das geht immer noch vorzüglich. Es hebt griechisch an, Mikis Theodorakis, „O Kaymos“, und geht dann deutsch weiter, „Ich hab‘ die Liebe gesehen.“ Sie räuspert sich, die Stimme ist noch nervositätsdünn, steigert sich schnell. Auch sie tönt scheinbar alterslos, mädchenhell. Sie kann gellen, besonders bei den harthellen griechischen Vokalen. Meist penetriert sie nur extrem fokussiert, mit höchster, einfacher Kunstfertigkeit.

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Ikone mag man Vicky Leandros nicht nennen. Dafür fehlt es ihr, man merkt es den zweieinhalbstündigen Abend über in all den hölzern liebenswürdigen Conférencen, an Persönlichkeit, Witz und Schlagfertigkeit. Aber sie besitzt eine der geschmackssichersten und beständigsten Stimmen des deutschen Schlagers.

In Deutschland hatte sie trotz ihrer 55 Millionen verkauften Platten und zwanzig Top-20-Hits nur einen Nummer-Eins-Seller, 1974 den Mitklatschgassenhauerbrüller „Theo, wir fahr’n nach Lodz“, der sogar den Griechen peinlich war. In der Schlusskurve ihrer Karriere aber möchte Vicky Leandros jetzt als international agierende Chansonsängerin ernst genommen werden, mit immerhin 454 weltweit in sieben Sprachen veröffentlichen Platten; der in Schkeuditz wohnende Herr in der ersten Reihe, der ihrem Fanclub vorsitzt, führt darüber akribisch Buch.

Deshalb singt sie kurz ihren ersten Teenager-Hit „Messer, Gabel Schere, Licht“, an, ebenso verflossene japanische Nummern, trällert gegen Krieg und Klimawandel („Verlorenes Paradies“, schon 1982) und für die Emanzipation und den „Tango d’amour“. Sie singt viel Englisch, Französisch, noch mehr Griechisch – auch Grönemeyers „Männer“.

Es gibt kaum noch eine wie sie: langlebig, zäh, zeitlos, zuverlässig

Sie kramt ihren von der Plattenfirma erst verworfenen Schwulen-Song heraus vom in der Wohnung über ihr geigenden „Valentin, haut mich um mit seinen Melodien“ und singt ihn untergehakt mit ihrem Bandmitgliedern. Dann trinkt sie Kaffee aus einer Thermoskanne („soll angeblich gut für die Stimme sein“) und lädt zum Karaoke für „L‘amour est bleu“, „aber lieber auf Deutsch“, also „Blau, blau wie das Meer“, ein paar vollstimmig Todesmutige ein. Das wäre fast zum Fremdschämen, wenn es nicht so herzlich gemeint wäre.

Hier ist einfach kein Podest zwischen dem Star und seinem Publikum. Als endlich „Die Bouzouki klang durch Sommernacht“ die Sehnsucht schürt, wandert sie schon wieder armschwenkend durch die Reihe. Aus den Rängen der plötzlich ganz intimen Elbphilharmonie ergießt sich Nostalgie pur, die erst reservierten Hamburger fließen Handylichter schwenkend dahin. Vicky ist eine von ihnen, gesamtdeutsches – sie war früh schon in „Ein Kessel Buntes“ – Singerinnerungsreservoir. Es gibt kaum noch eine wie sie. Langlebig, zäh, zeitlos, zuverlässig. Deutsche eben, nicht Griechin. Dann erst wieder Andrea Berg und Helene Fischer.

Vicky Leandros ist so ewig wie Attika, Schlager-Adel, Deutschland-DNA. Längst vergessen die zweieinhalb Politjahre als zweite Bürgermeisterin von Piräus, auch der alberne CDU-Versuch, sie 2006 neben Bürgermeisterkandidat Friedbert Pflüger als Berliner Kultursenatorin zu rekrutieren. Sie hatte Besseres zu tun, zwei Töchter großzuziehen etwa, wofür sie sich in den Achtzigern zehn Jahre zurückzog. Deswegen hört man sie immer noch so gern. Künftig will sie ein weiteres Kochbuch und ihre Biografie schreiben, Oma sein, ein Hotel in Athen planen.

Als sie zum offiziellen Konzertende endlich „Ich liebe das Leben“ schmettert, sie hatte es auch tränenfrei mit verändertem Text zur Beerdigung von Guido Westerwelle gesungen, ist der Saal nicht mehr zu halten. Ein letzter, mollseliger „La, lalalalalei“-Mitsingchor, jetzt wischt sie sich doch die Augen. Als Lied Nummer 20 gibt es nach zweieinhalb ehrlichen Konzertstunden Leonard Cohens „Halleluja“. Und den „Theo“, den hat Vicky Leandros diesmal eben nicht gesungen.

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